Der Afrikaner in mir

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Das Schlossmuseum Linz bietet zurzeit eine genetische Analyse an, die die eigene DNA-Geschichte offenlegt. Thomas Mündle ließ sich testen.

Wer bin ich? Das ist eine der ganz großen existenziellen Fragen. Eng verbunden damit ist eine zweite Frage: Woher komme ich? Dass sich nicht bloß philosophische Geister für eine präzise Antwort interessieren, beweist etwa meine kleine Heimat-Gemeinde. Dort führen schon seit langem einige Hobby-Genealogen genauestens Buch über Herkunft und Entwicklung aller Familien im Dorf. Und jeder Haushalt besitzt ein Exemplar dieses Stammbaum-Buchs.

Bauernkind mit …

In der neuesten Auflage, die vor wenigen Jahren erschienen ist, wird erstmals den Wurzeln der mütterlichen Seite nachgegangen; früher wurden im Familien-Stammbaum nur die Männer mit Ehefrauen und ihren Söhnen gelistet. Dank dieses Buchs - und weil meine Familie ihre Geschichte stets weitererzählte - weiß ich heute relativ viel über meine Vorfahren: Zum Beispiel die Namen meiner Ururgroßmutter, ja sogar meiner Urururgroßmutter. Irgendwann verlieren sich aber die Spuren meiner Ahnen im Dunkeln der Vergangenheit. Über das Familienwappen mit dem Helm einer Ritterrüstung und der Jahreszahl 1455 kann mir heute selbst mein 86-jähriger Großvater keine Auskunft mehr geben. Als Kind dachte ich oft, dass wir vielleicht im Mittelalter einmal edle Rittersleut waren - schönes Wunschdenken eines kleinen Bauernsohnes.

… blaublütigen Vorfahren

Umso mehr hat es mich gefreut, als ich das Ergebnis der Gen-Analyse erhielt, die das Linzer Schlossmuseum im Rahmen ihrer Ausstellung "Phänomen Leben - Evolution und moderne Genetik" anbietet (übrigens: noch bis 25. März). Denn tatsächlich fließt blaues Blut durch meine Adern. Ich bin mit Marie Antoinette (1755-1793), Erzherzogin von Österreich und Königin von Frankreich und Navarra, verwandt. Wobei das mit der Blutsverwandtschaft nicht so wirklich stimmt. Genau genommen handelt es sich um eine genetische Familienbande: Marie-Antoinette und ich gehören beide zur Haplogruppe H.

Mit dem Begriff Haplogruppen bezeichnet die heutige Wissenschaft größere, biologisch verwandte Gruppen. Interessanterweise deckt sich das Konzept der Haplogruppen nicht mit dem von Rassen. Ja, die moderne Genetik kennt keine Rassen. So etwas wie den "Europiden" (ein Begriff aus der Rassenlehre) gibt es also nicht. Die Europäer sind - rein genetisch gesehen - keine distinkte Gruppe. Doch immerhin hat jeder zweite Europäer eine Veränderung in seinem Erbgut, die ihn zum Mitglied der Haplogruppe H macht. Die Zugehörigkeit zur Haplogruppe H ist an ein bestimmtes genetisches Muster auf der mitochondrialen DNA (kurz: mtDNA) geknüpft.

Mitochondriale Eva

Die mtDNA, die sich in den Mitochondrien (den Kraftwerken der Zelle) befindet, ist in mehrerlei Hinsicht etwas Besonderes. So wird sie etwa immer und ausschließlich von der Mutter an ihre Kinder vererbt. Meine Verwandtschaft mit Marie Antoinette beruht folglich darauf, dass wir eine gemeinsame Ur-Mutter haben. Helena nennt sie der britische Genetiker Bryan Sykes - in Anlehnung an die Haplogruppe H. Ihre sechs Geschwister heißen (wiederum dem Buchstaben der Haplogruppe entsprechend) Ursula, Xenia, Velda, Tara, Katrin und Jasmin. Jeder der 650 Millionen Europäer hat eine dieser sieben Frauen zur (Ur-)Mutter. Die Europäer sind erstaunlich nah miteinander verwandt - als wäre Europa ein kleines Dorf.

Zusätzlich haben alle diese sieben Frauen eine einzige Mutter: Die mitochondriale Eva. Ihre Existenz kam für die Wissenschaft überraschend und beendete auf einen Schlag einen langjährigen Streit zwischen den Paläontologen. Die eine Fraktion, die Multiregionalisten, ging davon aus, dass der Homo sapiens in verschiedenen Erdteilen zugleich aus seinem Vorgänger, dem Homo erectus hervorgegangen ist. Die andere Fraktion, die Anhänger der "Out-of-Africa"-Theorie, meinte, dass der Homo sapiens in Afrika entstanden und von dort aus die Welt erobert hat. Die moderne Genetik gibt letzterer Recht.

Romantisches Ur-Pärchen?

So anschaulich die Geschichte der mitochondrialen Eva auch ist, so irreführend ist die mythologisierende Bezeichnung, wenn man daraus auf ein prähistorisches Ur-Pärchen schließt oder darin gar einen Beweis für die biblische Geschichte von Adam und Eva sieht. Die mitochondriale Eva war nicht die einzige (und auch nicht die erste) Frau, die vor rund 130.000 bis 170.000 Jahren in Ostafrika lebte. Vagen Schätzungen nach existierten damals rund 1000 bis 2000 Individuen. Dabei führt nur eine einzige Abstammungslinie bis ins Heute. Theoretisch könnten wir alle Nachfahren einer einzigen Frau sein, wahrscheinlicher ist jedoch, dass es mehrere waren, die in einer relativ kleinen Schar von Jägern und Sammlern zusammenlebten. Sie gaben die gleiche Ur-Version der mtDNA an ihre Kinder weiter. Alle anderen Sippen sind früher oder später ausgestorben. Homo sapiens überlebte scheinbar nur mit einer großen Portion Glück.

Im Laufe der Zeit traten Mutationen in der mtDNA auf, die wiederum weitervererbt wurden. Aufgrund dieser genetischen Veränderungen können Wissenschafter heute Rückschlüsse über die geografischen Wanderungen von Populationen machen; gleichzeitig dienen die Mutationen als "molekulare Uhr", das heißt sie liefern eine (ungefähre) Zeitskala.

Raus aus Afrika

Demnach erblickte vor rund 80.000 Jahren eine neue wichtige Vorfahrin das Licht der Welt: Sie wanderte mit ihren Stammesbrüdern und -schwestern von Afrika aus nach Norden. Diese so genannte Haplogruppe L3 spaltete sich später in Haplogruppe M und N auf. Erstere reisten der Küste entlang und schafften es bis Australien und Polynesien - eigentlich eine unglaubliche Leistung. Aus letzterer ging eine neue Gruppe hervor, die sich im Nahen Osten niederließ. Von dort aus gelang der Sprung nach Europa. Während der Eiszeit vor 20.000 Jahren zog sich diese Gruppe HV in den Süden Europas zurück. Als die Eismassen vor 15.000 Jahren wegschmolzen, begann eine Re-Kolonialisierung von Europas Norden. Andere Gruppen (wie etwa Gruppe T) wanderten erst tausende Jahre später in Europa ein. Die Mitglieder der Gruppe HV stellen also eine Art Ur-Europäer dar. Zu ihren Nachfahren - den Gruppen H und V - zählen drei Viertel aller heute lebenden Europäer.

Ich gehöre, wie gesagt, der Gruppe H an. Und obwohl ich in einem kleinen Dorf aufgewachsen bin, wo kaum über die engen Dorfgrenzen hinaus geheiratet wurde, bin ich damit - zumindest aus genetischer Sicht - ein richtiger Ur-Europäer. Irgendwie gefällt mir dieser Gedanke.

Linktipp:

www.schlossmuseum.at

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