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Der Geist verläßt den Körper

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Künstliche Wesen, intelligente Computer. Die Wissenschaft geht daran, Maschinen mit menschlicher Intelligenz auszustatten.

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Künstliche Wesen, intelligente Computer. Die Wissenschaft geht daran, Maschinen mit menschlicher Intelligenz auszustatten.

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Der Weltmeister wurde immer nervöser. Erbarmungslos und zielstrebig zerpflückte der Gegner sein Spiel. Nach 37 Zügen schließlich vjar Garri Kasparow matt. Doch der siegreiche Herausforderer brach nicht | in Jubel aus, denn nicht ein Mensch, sondern ein Computerprogramm namens „Deep BlugJ' hatte Kasparow in die Knie gezwungen. Zum erstenmal hatte ein Programm einenj Schachweltmeister unter Turnierbedingungen besiegt; ein Triumph für jene Forschungsdisziplin, zu der die Entwicklung meisterlicher Schachprogramme zählt: Künstliche Intelligenz (KI).

Nachdem Kasparow das Turnier letztendlich durch zwei Siege für sich entschieden hatte, analysierte er den Verlauf des Wettkampfes: „In den ersten beiden Spielen wollte ich erfühlen, welche Prioritäten er setzt. Dann habe ich mich zurückgezogen und Deep Blue die Initiative überlassen. Ich habe ihn aus der Beserve gelockt" - wie einen menschlichen Gegner.

Schon der Vater der KI, der englische Mathematiker Alan Turing, hatte eip ähnliches Verfahren vorgeschlagen. Der Titel seines bahnbrechenden Aufsatzes aus dem Jahre 1950 lautete: „Kann eine Maschine denken?" Turings Antwort: „Wenn sich eine Maschine in einem Gespräch intelligent verhält ist sie tatsächlich intelligent. Wenn sich eine Maschine in einer Unterhaltung mit einem Menschen erfolgreich als ebensolcher ausgibt, dann verfügt sie, ebenso wie ihr Gesprächspartner, über Verstand."

Diese Gleichwertigkeit von echter und simulierter Intelligenz ist eine Grundannahme der KI.

Bald nachdem der amerikanische Computerwissenschaftler John McCarthy im Jahre 1956 den Begriff der Künstlichen Intelligenz (Artificial Intelligence) geprägt hatte, wurde daraus eine umfangreiche Forschungsdisziplin, die begann, sich mit der Herstellung intelligenter Computer, mit der Entwicklung von Computermodellen des menschlichen Denkens und mit dem Bau von Robotern zu befassen.

Zu Beginn ging es bei KI vor allem um die Darstellung von Wissen und um das Lösen von Problemen. Einem Programm namens SHRDLU zum Beispiel gelang es in den sechziger Jahren erfolgreich, sich in einem abgeschlossenen Raum voller Spielzeugbauklötze zurechtzufinden und Aufgaben wie den Bau von Pyramiden aus den Klötzchen zu lösen.

Von Anfang an war es auch ein Ziel der KI, intelligente Maschinen zu erschaffen. Robert Trappl vom Osterreichischen Forschungsinstitut für Artificial Intellegence (ÖFAI) glaubt, daß die KI dereinst Wesen hervorbringen könne, die auf gleicher Stufe wie der Mensch stünden. Zur Zeit wird jedoch nur das Terrain der Science Fiction von solchen Kreaturen bevölkert. So ist beispielsweise der zweite Offizier des allnachmittäglich den Weltraum durchkreuzenden Raumschiffes Enterprise ein Android, ein menschenähnlicher Roboter namens Data, was einen wichtigen Restandteil der vielschichtigen Dramaturgie der Fernsehserie darstellt.

Trappl allerdings hält es für keine gute Idee, den Menschen einfach zu kopieren. „Ich fände es interessanter, wenn diese Konstruktionen anders als wir sind. Ich würde mir neue Eigenschaften wünschen, die uns faszinieren und bezaubern", träumt der voll-bärtige Wissenschaftler.

Einstweilen jedoch gibt sich Trappl mit einfacheren Aufgaben zufrieden. Neben vielen anderen Projekten wird an seinem Institut an lebensecht wirkenden, jedoch nur im Computer existierenden Schauspielern gearbeitet. Statt daß Graphiker jede Bewegung und jeden Gesichtszug einzeln programmieren, sollen diese virtuellen Schauspieler mit Hilfe von künstlicher Intelligenz ihre Mimik und Gestik selbständig ausführen. Die Regieanweisung „Dir wurde gerade eine traurige Nachricht mitgeteilt" soll dann genügen, um den künstlichen Mimen in Tränen ausbrechen und mit den Händen ringen zu lassen.

„In zehn bis 15 Jahren wird man echte und computergenerierte Darsteller in Filmen nicht mehr unterscheiden können", sagt Trappl. Ein Film, in dem Marilyn Monroe, Mari-ka Rökk und John Travolta die Hauptrollen spielen, könnte also schon bald in unsere Kinos kommen.

Kritik an der KI gibt es natürlich auch. Der amerikanische Philosoph John R. Searle etwa bezweifelte, daß

die erfolgreiche Simulation von Intelligenz mit wirklicher Intelligenz gleichzusetzen sei.

Sein Landsmann Roger Penrose, ein bedeutender Physiker, ging davon aus, daß eine Maschine nur mittels Beweis Schritt für Schritt herausfinden könne, ob eine bestimmte Aussage wahr oder falsch sei. Der Mensch hingegen könne die Wahrheit einer Aussage feststellen, auch wenn er sie nicht zu beweisen vermag. Penrose zog daraus den Schluß, daß der Mensch Dinge verstehen kann, die kein Computer je begreifen wird.

Auch sind einige der gewagten Visionen mancher KI-Forscher auf ein negatives Echo gestoßen. Der in Österreich geborene amerikanische Kl-Star Hans Moravec etwa hatte prophezeit, daß der Mensch sich in Zukunft völlig von seinem Körper befreien werde. Der in ein Computerprogramm umgewandelte Geist des Homo Sapiens werde sich dann künstliche Körper nach Bedarf zulegen - so wie man sich heutzutage alle paar Jahre ein neues Auto kauft. Der amerikanische KI-Kritiker Joseph Weizenbaum interpretierte solche Vorstellungen als Aufforderung zum Völkermord und griff flugs zum Vergleich mit Adolf Hitler.

Doch auch innerhalb der KI gibt es kritische Stimmen: „Man kann von der Tatsache, daß der Mensch sich mit einem Körper durch die Welt bewegt, nicht abstrahieren", sagt Erich Prem vom ÖFAI, der am Massa-chussets Institute of Technology in Boston an der Entwicklung des And-roiden Cog beteiligt ist (siehe Seite 15). Auch andere Wissenschaftler sind der Meinung, daß die KI den zweiten vor dem ersten Schritt tue: Nicht die am weitesten entwickelte Form des Bewußtseins, die menschlichen Intelligenz, sondern einfaches Leben gelte es zu simulieren.

Auf der Linzer Ars Electronica 1995 präsentierte der belgische Medienwissenschaftler Luc Steels eine Gruppe von Bobotern, die um Nahrung in Form von Energie wetteiferten, mit energiefressenden Parasiten zu kämpfen hatten und dabei komplexe Verhaltensmuster entwickelten, bis hin zur Zusammenarbeit. Schon vor drei Jahren stand das Linzer Festival ganz im Zeichen des künstlichen Lebens: Insektenartige Roboter versuchten sich damals in unwegsamem Gelände zurechtzufinden, und virtuelle Lebewesen mit der Intelligenz von Bakterien tummelten sich auf Bildschirmen.

Möglicherweise stehen diese einfachen, künstlichen Lebewesen am Beginn einer Evolution, die einmal zu wirklicher Intelligenz führen wird. Für Erich Prem steht jedenfalls fest, daß der Versuch, künstliches Leben zu entwickeln, die klassische KI hinter sich läßt. „Das ist nicht nur ein Angriff auf die KI, sondern auf die gesamte Wissenschaft, die des Menschen Körperlichkeit ignoriert", gibt er nach längerem Zögern zu. Denn schließlich arbeitet er am Österreichischen Forschungsinstitut für Artificial Intelligence.

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