Der Mann für die ANDERSWELT

19451960198020002020

Wolf-Dieter Storl erkundet in wilder Feldforschung jene obskuren Bereiche, die der Vernunft verschlossen bleiben. Porträt eines esoterischen Pflanzenfreunds.

19451960198020002020

Wolf-Dieter Storl erkundet in wilder Feldforschung jene obskuren Bereiche, die der Vernunft verschlossen bleiben. Porträt eines esoterischen Pflanzenfreunds.

Werbung
Werbung
Werbung

Der Mann mit den Zottelhaaren und dem weißen Rauschebart ist eine urige Erscheinung, die nur auf den ersten Blick die Anmutung eines modernen "Wurzelsepps" verströmt. Mit alpenländischen Klischees hat er wenig gemein; das liegt wohl an der exotischen und esoterischen Aura, die ihn umgibt. Vor kurzem ist Wolf-Dieter Storl 72 Jahre alt geworden, und wenn man über ihn sagt, er blicke auf ein bewegtes Leben zurück, dann ist das in diesem Fall keine hohle Phrase.

Als Elfjähriger war er mit seinen Eltern von Sachsen nach Ohio in den USA ausgewandert; dort fand er Inspiration in der urwüchsigen Waldwildnis. Als junger Mann hat er seine wissenschaftliche Laufbahn nicht weiter verfolgt und sich stattdessen für ein einsiedlerisches, naturnahes Leben entschieden: Der Doktor der Ethnologie wanderte mit den Schamanen der Cheyenne-Indianer in den USA und mit den Bettelmönchen (Sadhus) in Indien, arbeitete bei Schweizer Bergbauern und als Gärtner einer anthroposophischen Landkommune. Sein kunterbuntes Wissen verbreitet er nicht an der Universität, sondern in Büchern, Vorträgen und Kräuterseminaren.

Dunkles Wissen

Es sind freilich abseitige, teils höchst obskure Wissensbereiche, auf die sich Storl spezialisiert hat: eine wilde Mischung aus Kräuterkunde, Mythologie, Volksmedizin und Kulturanthropologie. Sein historisches Interesse gilt den Schamanen, Druiden, Hexen und all jenen Grenzgängern, die in Bereiche weit jenseits der Vernunft zu blicken vermochten -dort, wo sich die "Anderswelt" der "Götter, Geister und Ahnen" befindet, die den Menschen durch die Entzauberung der Welt immer mehr abhanden gekommen sei. In einer Geo-Reportage wurde er als "Schamane aus dem Allgäu" gehandelt, wo er seit 1988 mit seiner Familie lebt.

Das war gut für die Verkaufszahlen der Bücher und die Buchungen der Kräuterwanderungen; er selbst sieht sich jedoch nicht als Schamane: "Ich bin lediglich Schriftsteller, Pflanzenfreund und eine Art Christopherus, der (...) den Weg über den Strom weist."

Storls Bücher erscheinen eigentlich wie Auszüge aus einem Endlostext, in denen der weit Gereiste die immer gleichen Themen immer wieder neu zu erzählen weiß: uralte Sagen, Mythen und Märchen quer durch die Kulturen, in denen zeitlose Weisheiten zum Ausdruck kommen. Oder, wie man mit dem Schweizer Seelenforscher Carl Gustav Jung sagen könnte, die tiefsten Schichten unseres kollektiven Unbewussten.

Im Dialog mit den Pflanzen

Als alter Spurensucher will Storl nicht nur über "blühende Wiesen, durch moosbewachsene Wälder und in dunkle Schluchten" führen, sondern auch "in die Tiefen unseres eigenen Wesens". Denn mythische Urbilder erhellen "unseren kulturellen Werdegang, verbinden uns mit unseren Vorfahren und zuletzt mit den Bildern unserer innersten Seele." So heißt es im bislang jüngsten Werk über die indigenen europäischen Waldvölker ("Die alte Göttin und ihre Pflanzen", 2014).

Und es sind vor allem seine "grünen Gurus" und "pflanzlichen Verbündeten", auf die er immer wieder zu sprechen kommt und von denen er so manche Erlebnisse zu berichten weiß - Heilkräuter und "Zauberpflanzen" wie der "Knochenheiler" Beinwell, die vitalisierende Engelwurz, das Schamanenkraut Beifuß oder die gefährliche Tollkirsche. "Storl hat eine besondere Gabe: Er redet mit den Pflanzen und hört ihnen zu", schrieb das Magazin Geo. Und da kommt es schon einmal vor, dass ein Pflanzengeist in den Tierkörper eines Marders schlüpft und diesen als Medium benutzt, um den menschlichen Dialogpartner von außen zu beäugen.

Tiefenökologische Botschaft

Über die spirituellen, "geistigseelischen Dimensionen" der Pflanzen hat Storl nicht nur von den traditionellen Völkern in Amerika, Asien und Afrika gelernt, sondern ebenso von den Überlieferungen europäischer Bauern und Kräuterkundigen, wie es in den biographischen Angaben heißt. Es sind die "schamanischen Wurzeln unserer Kultur" sowie die daraus abgeleiteten Botschaften an die moderne, technokratische Welt, die er in Büchern und Vorträgen vermitteln will: also eine Form von tiefenökologischem "Wir sind Natur", oder, wie es im Titel der 2003 erschienenen Lebenserinnerungen heißt: "Ich bin ein Teil des Waldes". Wer Pflanzen und Tiere nicht nur als botanische und zoologische Objekte, sondern auch als beseelte Wesen ansieht, wird dazu geneigt sein, einen achtsameren und wertschätzenderen Umgang mit ihnen zu pflegen. Dazu leistet der Mann mit dem Rauschebart seinen Beitrag.

Dass Storl aber auch dazu anleitete, eine Infektionskrankheit wie die Borreliose mit einer Kräutertinktur statt mit Antibiotika zu heilen, hat ihm empörte Kritik eingebracht - nicht nur von Gesundheitsbehörden und Ärzten, sondern auch von Pflanzenheilkundlern, die davon überzeugt sind, dass unnötige Antibiotika-Therapien zu vermeiden sind. Storls Empfehlung sei gesundheitsgefährdend: "Entgegen den Behauptungen Storls, der Antibiotika als machtlos gegenüber den Borreliose-Erregern bezeichnet, ist die Krankheit im Frühstadium durch eine Antibiotika-Therapie in den allermeisten Fällen heilbar", kritisiert etwa Martin Konradi, Dozent für Heilpflanzenkunde in der Schweiz. "In Sachen Ethnobotanik kann man zweifellos viel von ihm lernen, in medizinischen Fragen aber scheint ihm die Reflexionsfähigkeit zu fehlen."

Storls Auflagen-starke Bücher treffen einen Nerv der Zeit - und sprechen offensichtlich nicht nur jene an, die sich mit der "kulturellen und mythologischen Identität der Pflanzen" vertraut machen wollen, sondern auch all jene, die Bio-Kost schätzen und im eigenen Garten die partielle Selbstversorgung ins Auge fassen. Oder nach dem langen Aufenthalt in Büroräumen einfach das Bedürfnis verspüren, einmal zu gärtnern, barfuß über die Wiesen zu laufen und durch die Wälder zu streifen. Das jedenfalls macht Wolf-Dieter Storl, wenn er nicht gerade auf Seminar-Tour ist oder an den Büchern schreibt, recht erfolgreich.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung