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Der Markt des Teufels

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FAHRIG SIND DIE HÄNDE DES MITTELGROSSEN MANNES, der mit flackerndem Blick trotz des schönen Frühlingstages im Inneren eines Cafes auf den Champs Elysees sitzt, anstatt, so wie alle anderen Gäste, die Terrasse vorzuziehen. Flehend schaut er auf den Ober, wenn dieser vorbeigeht, doch die Antwort besteht jedes Mal nur aus einem stummen Kopfschütteln. Qualvolle Viertelstunden vergehen für diesen Mann. Dann eilt auf einmal der Ober herbei, legt ein Päckchen auf den Tisch, kassiert dafür einen höheren Geldbetrag und verschwindet. Der Gast geht eilig auf die Toilette, kommt wenige Minuten später wieder zurück und verläßt das Lokal. Sein Gehaben hat sich geändert. Der Bück ist ruhig, die Augen haben einen eigentümlichen Glanz.

Dieser Mann ist einer von vielen jener menschlichen Wracks, die dem Dämon Rauschgift verfallen sind. Wie furchtbar das Rauschgiftunwesen ist, läßt sich aus der Tatsache erklären, daß wegen des Genusses verschiedener Drogen mehr Menschen moralisch und körperlich zugrunde gehen als durch alle bekannten Krankheiten. Nur merkt man es nicht. Es darf daher nur gutgeheißen werden, daß die Regierungen aller zivilisierten Staaten ihre Polizei mit der Bekämpfung des Rauschgiftunwesens beauftragt haben und diesen Kampf mit allen Mittein auch unterstützen.

Zu diesem Zweck wurde vor kurzem in Genf eine bedeutende internationale Konferenz der Rauschgiftkommission der Vereinten Nationen abgehalten, auf der wichtige Beschlüsse zur Koordinierung der Bekämpfung des weltweiten, illegalen Rauschgifthandels festgelegt wurden.

Rauschgiftdelikte sind international, und die Interpol spielt in der Bekämpfung des Rauschgifthandels eine bedeutende Rolle als Nachrichtenzentrale und Fahndungsstelle. Im Interpol-Hauptquartier in der Rue Valery in Paris hängt eine übergroße Weltkarte, auf der der gesamte „Rauschgiftverkehr“ — man kann getrost Schmuggel sagen — samt seinen Ümschlageplätzen, Erzeugungsgebieten und Herstellungslaboratorien bis ins Detail zu überblicken ist. Anbaugebiete für Pflanzen, aus denen Rauschgift gewonnen wird, liegen hauptsächlich in China, Afghanistan und in der Türkei. Die großen Umschlageplätze sind Hongkong, Macao, Bangkok, Karachi, Bombay, Beirut, Triest, Genua und Marseille. Auf der Weltkarte lassen sich auch die Routen erkennen, die Schmuggler zu Land, zu Wasser und in der Luft nehmen um das Gift an seinen Bestimmungsort zu transportieren, wo es meist schon sehnsüchtig erwartet wird. Als Rohopium kommt das Rauschgift aus dem Fernen und Nahen Osten nach Italien und Frankreich, um dort in geheimen Laboratorien zu Heroin und Morphium verarbeitet zu werden. Der größte Teil dieser — nun schon gebrauchsfertigen — Drogen geht nach den Vereinigten Staaten und nach Kanada, den Hauptabsatzgebieten des internationalen Rauschgifthandels.

DIE ARBEIT DER INTERPOL hat dazu geführt, daß die Polizeibehörden der verschiedenen Länder im Jahre 1959 beispielsweise 112 Beschlagnahmungen durchführen und 184 Verhaftungen vornehmen konnte. Die Menge des Rauschgiftes, das der Polizei in die Hände fiel, belief sich auf rund 4200 Kilogramm Opium und 2250 Kilogramm Haschisch. 32 Schiffe, die Rauschgift transportierten, wurden aufgebracht. 20 davon fuhren unter britischer Flagge. Verläßlichen Schätzungen zur Folge stellen die entdeckten Mengen nur ein Zehntel des gesamten illegalen Rauschgifthandels dar. Die Beträge, die für das Gift gezahlt werden, sind enorm. Rohopium kostet in den Ländern an der Mittelmeerküste etwa 20.000 Schilling pro Kilogramm. In Paris und anderen Städten, die nicht direkt an der Küste liegen, bewegt sich der Handelspreis — en gros natürlich — bei 40.000 Schilling. Verkauft wird das zu Heroin und Morphium verarbeitete Rohopium in den Vereinigten Staaten dann allerdings um 250.000 Schilling pro Kilo-

gramm. Millionenverdienste sind in dieser Branche handelsüblich! Inoffizielle Schätzungen ergaben, daß pro Jahr rund 50 Milliarden Schilling an Rauschgift umgesetzt werden — das ist ein Jahresbudget der Republik Österreich!

Der Süchtige, der so sehnsüchtig auf neuen „Stoff“ wartet, ist für die Polizei nur in zweiter Linie interessant. Für sie geht es vor allem darum, das Übel an der Wurzel zu packen, an die Lieferanten heranzukommen, die Hintermänner zu erwischen. Eine Aufdeckung eines Rauschgiftringes ist deshalb so schwierig, weil der Schmuggel in Händen großer und mächtiger Organisationen liegt, deren Drahtzieher sich nicht selten hinter der Fassade ehrbarer Geschäftsleute verbergen, die aus diesem „Geschäft“ für sich einen jährlichen, natürlich steuerfreien Verdienst von mehreren Millionen Schilling herausschlagen.

AM KAMPF GEGEN DAS RAUSCHGIFT ist Amerika sehr interessiert, da die Vereinigten Staaten das größte Absatzgebiet stellen. Die amerikanische Rauschgiftbekämpfung, die vom „Bureau of Narcotics“ geführt wird, erstreckt sich bis nach Europa, wobei natürlich entsprechend die Hilfe der Interpol in Anspruch genommen wird. Der „kalte Krieg“ gegen das Rauschgift und seine Verteiler findet mit unvorstellbarer Härte statt, daß ein Außenstehender gar keine Ahnung hat, wie groß die Bedeutung deT Rauschgiftbekämpfung für die Amerikaner in den letzten zwei Jahrzehnten geworden ist. Das „Bureau of Narcotics“ schmuggelt seine Agenten m Rauschgifthändlerkreise, schickt Spezialbeamte nach Europa und in den Fernen Osten. Mit dieser amerikanischen Polizeistelle sind übrigens die meisten nationalen, der Interpol angehörenden Polizeiorganisationen verbündet.

Rauschgiftschmuggel ist nicht nur ein Verbrechen schlechthin, es hat

sich nach dem Krieg auch zu einem Politikum entwickelt. Das kommunistische China tritt im internationalen Rauschgifthandel als Produzent von Rohopium auf und überflutet die freie Welt mit diesem grausamen Gift, um sie zu demoralisieren. In erster Linie geht es den Rotchinesen aber darum, durch diesen illegalen Handel die für sie lebenswichtigen und dringendst benötigten Devisen zu bekommen, da es

um den legalen Außenhandel des roten Reiches der Mitte sehr schlecht bestellt ist. Die Devisen aber werden gebraucht, um Importwaren zu beschaffen, um die kommunistische Wühlarbeit in Asien zu finanzieren und um Waffen von der Sowjetunion anzukaufen, die auf Grund eines Abkom-

mens vom Jahr 1950 zum größten Teil in Gold und amerikanischen Dollars bezahlt werden müssen.

VOR DEM ZWEITEN WELTKRIEG war der Rauschgiftschmuggel auf der ganzen Welt im Abflauen begriffen. Bis 1939 sank die Opiumerzeugung des damals noch freien Chinas auf 1200 Tonnen im Jahr. Heute schätzen Fachleute die Opiumproduktion des kommunistischen Chinas auf über 6000 Tonnen, von denen weit mehr als 2000 Tonnen exportiert werden, sei es nun als Rohopium, Heroin oder Morphium. Diese Menge ist mehr als die Hälfte der in den übrigen Staaten schwarz hergestellten Drogen. Diese erschreckende Tatsache kann deshalb mit solcher Sicherheit behauptet werden, weil man, abgesehen von der verräterischen Beschaffenheit und der speziellen Farbe des aus China stammenden Rauschgiftes, auch an Hand von Aussagen verhafteter Rauschgift-Schmuggler den Weg dieser Gifte feststellen konnte. In der letzten Zeit haben allerdings die Aussagen der Ver-

hafteten sehr zu wünschen übriggelassen, da sie die grausame Rache der Führer der Schmugglerorgarüsationen an Leuten, die nicht dichtgehalten haben, fürchten und lieber eine lange Kerkerstrafe auf sich nehmen als auch nur ein Sterbenswörtchen zu verraten.

MITTEL UND WEGE, DAS RAUSCHGIFT ZU SCHMUGGELN sind so vielfältig, daß man damit ein mehrbändiges Lexikon füllen könnte.

Um nur einige Beispiele aus den Praktiken der Schmuggler zu erwähnen: Bücher werden versandt, bei denen aus den Seiten ein kleiner Raum herausgeschnitten ist und in dem Heroin im Wert einiger tausend Dollars liegt; Kamelen werden handgroße Bleibehälter in den Magen gesteckt, in denen Rohopium auf diese Art über die nordafrikanischen Grenzen geschmuggelt wird. Schmuggler haben Koffer mit doppeltem Boden, sie bedienen sich des diplomatischen Gepäcks, füllen ausgehöhlte Schuhsohlen mit Morphium oder stopfen Ersatzreifen von Autos mit diesen tödlichen Giften voll. So scharf die Kontrollen auch sind und so gewitzt die untersuchenden Beamten arbeiten, den Rauschgifthändlern bleiben immer noch genügend Wege offen, ihr teuflisches Produkt unter die Menschen zu bringen. Die Behörden schlafen aber auch nicht: in den Informationsblättern der Interpol wird sofort jede neue Rauschgiftschmuggelmethode verzeichnet und an die Mitgiiedstaaten weitergegeben, so wie jeder, der einmal mit Rauschgift zu tun hatte, durch die Mitteilungsblätter internationale Popularität erfährt.

ÖSTTERREICH BLEIBT - und das hoffentlich auch in Zukunft — von Rauschgiftschmugglerorganisationen weitgehendst verschont. Das läßt sich daraus erklären, daß es hierzulande in den letzten Jahren keine größeren Affären um das „weiße Gift“ gab. Diese Tatsache schließt aber nicht aus, daß sich Österreicher an dem überaus einträglichen aber auch gefahrvollen Geschäft des Schmuggels im Ausland beteiligen und dafür aber auch bezahlen müssen. Mit ihrem Leben.

Beirut: In einer eleganten Straße der libanesischen Hauptstadt liegt eine Tote, eine Wienerin, schon weit über eine Stunde auf dem Pflaster. Die Leute munkeln, daß dieses Mädchen ihrem Leben ein Ende bereiten wollte und dies wahrscheinlich auch getan hat. Der Polizeikommissar jedoch ist anderer Ansicht und macht hinter die Frage nach der Todesursache ein großes Fragezeichen. Selbstmord schien ausgeschlossen, denn die Begleitumstände sprechen eher für ein Verbrechen. Die Polizeimaschinerie beginnt zu arbeiten, Spezialbeamte gehen den Spuren nach. Ein halbes Jahr dauert es, bis Licht in diese Affäre gebracht wird.

Als Tänzerin, den Kopf voller Rosinen, glaubte ein Wiener Mädchen namens Gerti im Nahen Osten das Paradies aus Tausendundeiner Nacht zu finden. Mit einer Tanztruppe kam sie nach Beirut, wo sie in einer zweitklassigen Bar spärlich bekleidet über die Bühne huschen mußte. Es dauerte jedoch nicht lange, da hatte Gerti ein ansehnliches Bankkonto, einen Pelzmantel und andere „Kleinigkeiten“. Offiziell war sie die Freundin eines reichen Kaufmannes, in dessen Wohnung sie lebte. Mit diesem gesellschaftlichen „Aufstieg“ sah die kleine Tänzerin ihre große Chance gekommen und war entschlossen, sie mit beiden Händen zu ergreifen. Ihr Freund beauftragte sie mehrere Male, nach Ägypten zu reisen. Auf jeder dieser Fahrten trug sie ein paar kleine Nylonbeutel mit sich, die mit Rauschgift gefüllt waren. Gerti wollte dieses Geheimnis in klingende Münze umsetzen und erpreßte ihren Freund, einen großen Mann jener Organisation von Rauschgifthändlern, die den Vorderen Orient beliefert. Dann geschah der tragische „Unfall“: vom achten Stock eines Wohnhauses stürzte das Mädchen auf die Straße. Eine kleine Wienerin sollte nicht das Geschäft stören... ^

VON ANDEREN FÄLLEN, von denen man zeitweise hört, ist nicht viel mehr bekannt, als daß eben Österreicher in eine Rauschgiftaffäre verwickelt sind. Es liegt gar nicht im Interesse der Rauschgiftabwehrstellen, über dieses Kapitel Einzelheiten publik zu machen. Auf Grund des österreichischen Suchtgiftgesetzes vom Jahre 1951 und der daraus entstandenen Suchtgiftverordnung wurde sowohl um die herkömmlichen, als auch um die synthetisch hergestellten Rauschgifte ein derart enges Abwehrnetz gezogen, daß es für normal Sterbliche gar nicht möglich ist, in den Besitz einer Droge zu kommen. Jedes Gramm unterliegt einer strengen Überwachung, die bei der Herstellung beginnt und bei der Ver-schreibung durch den Arzt endet. Denn nur so wurde es möglich, den Stand der Rauschgiftsüchtigen in Österreich nicht über 100 Personen anwachsen zu lassen, was im Vergleich zu anderen Staaten ein verschwindend geringer Prozentsatz ist.

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