Der Mensch als Beherrscher der Welt

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Amerikanische Wissenschaftler weisen mit nüchternen Fakten nach, wie sehr der Mensch die Vorgänge auf der Erde beeinflußt, wie sehr er den blauen Planeten okkupiert hat.

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Amerikanische Wissenschaftler weisen mit nüchternen Fakten nach, wie sehr der Mensch die Vorgänge auf der Erde beeinflußt, wie sehr er den blauen Planeten okkupiert hat.

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Wir haben uns die Erde unterworfen, aber wir müssen schaudern, wenn man uns wissenschaftlich-objektiv aufzeigt, in welchem Ausmaß wir es getan haben. Vier amerikanische Wissenschaftler, Peter M. Vitousek, Harold A. Mooney, Jane Lubchenco und Jerry M. Melillo, schrieben in ihrem Artikel im Magazin "Sience": "Die Menschheit dominiert viele Ökosysteme unmittelbar, und kein Ökosystem auf der Erdoberfläche ist frei von menschlichem Einfluß".

Jeder Organismus verändert seine Umwelt. Elefanten fällen Bäume, schaffen Lichtungen im Urwald, Vögel nisten zu zigtausenden auf Felsinseln im Ozean und lassen Tonnen von Kot zurück. Doch kein Organismus, kein Tier wandelt die Welt so sehr und nachhaltig wie der Mensch. "Schätzungen über den Anteil des Landes, das vom Menschen gestaltet und benutzt wird, liegen zwischen 39 und 50 Prozent". "In den USA fließt das Wasser von nur zwei Prozent der Flüsse unbehindert (von menschlichen Eingriffen)". Die Menschen hätten 50 Prozent der Mangrovenwälder zerstört. Wir hätten den Kohlendioxidanteil in der Atmosphäre von etwa 280 ppm (Teil pro Million) auf 362 ppm erhöht. Seit der Mensch die Erde beherrscht, würden zwischen 100- und 1.000mal mehr Arten aussterben.

Die frühen Menschen beeinflußten ihre Umwelt kaum. Sie waren auch insofern Teil ursprünglicher, natürlicher Prozesse auf der Erde. Als die Menschen Häuser bauten, Äcker bestellten, Tiere domestizierten, vollzogen sie eine Zäsur. Römer holzten den Apennin ab. Englische Auswanderer brachten Kaninchen nach Australien und schafften eine Plage. Weiße Nordamerikaner jagten Buffalos: 1.000 von ehemals 50 Millionen Bisons überlebten. Doch erst das teils exponentielle Wachstum sowie der technische Fortschritt in den vergangenen 50 Jahren veränderten die Erde drastisch. Und diese vom Menschen verursachten Modifikationen unserer Umwelt gehen - entgegen aller Öko-Optimismen - weiter. Wenn auch gesagt werden soll, daß mancher Homo faber sich bemüht, sein schädigendes Handeln gering zu halten. Ja, es gibt Versuche die Umwelt zu renaturieren, indem man Flußregulierungen rückbaut oder in den Alpen Bartgeier ansiedelt.

Überbevölkerte Küstengebiete Landumwandlung und -nutzung stellt zufolge der "Sience"-Autoren den wesentlichen menschlichen Eingriff in das System Erde dar. Landnutzung ändere die Struktur und die Funktion der Ökosysteme, aber sie ändere auch deren Wechselwirkung mit der Atmosphäre, mit den Meeren und mit dem umliegenden Land. Zehn bis 15 Prozent der Landoberfläche machen Äcker oder Siedlungs- und Industriegebiete aus. Sechs bis acht Prozent sind Weiden. Neben diesen vollständig transformierten Flächen nutzen wir Wälder, Grasland und Gebiete, die bejagt werden. Zusammen machen sie die Mehrheit der bewachsenen Erdoberfläche aus. Wenn Landnutzung wenig erschlossene Gebiete segmentiert, zerstört sie im weiten Kreis intakte Ökosysteme. Eine Kleinbauern-Parzelle im Amazonasregenwald verändert noch in kilometerweiter Entfernung den Lebensraum der Indianer und der Tiere.

Wissenschaftler tun sich schwer, den Einfluß des Menschen auf die Ozeane zu beobachten und zu messen. Da 60 Prozent der Weltbevölkerung in einem 100 Kilometer breiten Streifen um die Meere leben, ist anzunehmen, daß die Beeinträchtigung erheblich ist. Ein Problem ist das Überfischen der Meere. Dabei läßt sich nicht jeder Fang verkaufen. 27 Millionen Tonnen oder fast ein Drittel des jährlichen Fanges sind Abfall.

Seit 1800 steigt der Kohlendioxid- oder CO2-Anteil in der Atmosphäre exponentiell, das bedeutet eine sich beschleunigende Zunahme dieses Treibhausgases. Das Anwachsen von 280 ppm auf 362 ppm sei das deutlichste und am besten dokumentierte Zeichen des vom Menschen bewirkten Wandels. Eine Isotopen-Untersuchung zeige, daß vor allem das Verbrennen fossiler Brennstoffe die CO2 Zunahme verursache. Klimaexperten würden übereinstimmen, daß der Treibhauseffekt wahrscheinlich schon heute das Klima beeinflusse und es im nächsten Jahrhundert wesentlich ändern werde. Wie warm wird es werden, nachdem ein, zwei Milliarden Menschen in den gering industrialisierten Ländern den US-amerikanischen oder westeuropäischen Lebensstandard übernehmen?

"Weltweit verwenden Menschen mehr als die Hälfte des Wassers von billig zugängigen Fließgewässern". 36.000 Stauwerke gäbe es, und es würden noch mehr werden. Wasser ist ein knappes Gut, das noch knapper werden wird. So knapp, daß wir Kriege um Wasser führen werden.

Auch den Stickstoffkreislauf bringen wir Menschen durcheinander, was Treibhausgase namentlich Lachgas N2O und sauren Regen zunehmen läßt. Flüsse werden eutroph, Algen wachsen, Fische sterben. Schwefel, Phosphor, und Metalle vom Menschen freigesetzt vergiften die Umwelt. Die Industrie produziert jährlich 100 Millionen Tonnen organischer Chemikalien. 70.000 gibt es, 1.000 neue entwickelt sie jedes Jahr.

Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKWs) zerstören stratosphärisches Ozon, das Schutzschild der Erde gegen UV-B-Strahlen. Wobei die vier Autoren meinen: "Die Reaktion der internationalen Politik auf diese Entdeckung ist das beste Beispiel, daß auf globale Umweltveränderungen effektiv reagiert werden kann".

25 Prozent der Vogelarten ausgestorben Gänzlich unumkehrbar ist der Verlust an biologischer Vielfalt durch das Aussterben von Arten. Das bedeutet einen Verlust genetischen Materials. Niemand kann sagen, wieviel verschiedenartiges Leben für immer von der Erde verschwindet, auch deshalb nicht, weil wir nicht einmal die Hälfte der Spezien identifiziert haben. Genauer weiß man es bei Vögeln. Ein Viertel der Vogelarten sind in den vergangenen 2.000 Jahren ausgestorben.

Der Mensch durchmischt die biologischen Systeme auf der Erde, indem er Organismen in fremde Lebensräume einführt. Die Invasoren, Bakterien, Pflanzen und Tiere, ändern den neuen Lebensraum nachhaltig. Die indigenen oder heimischen Tiere auf früher isolierten Inseln wie den Galapagos kannten keine Katzen oder Hunde und haben entsprechend auch keine Verteidigungsstrategien entwickelt. Sie sind diesen eingeführten Räubern ausgeliefert. Oft führt ein derartiger Transfer von Lebewesen zu einem Aussterben örtlich begrenzter Arten.

"Das Ausmaß, der Maßstab, die Art und die Kombinationen von Veränderungen, die heute geschehen, unterscheiden sich grundlegend von jenen in der Vergangenheit: Wir ändern die Welt schneller, als wir sie verstehen lernen". Selbstauferlegter Zwang zu Wachstum wird den menschlichen Einfluß noch verstärken. Eine Frage drängt sich auf: Kann die Erde die Menschheit noch ertragen?

Die vier Wissenschaftler schließen mit drei Empfehlungen: Wir können das Ausmaß reduzieren, mit welchem wir das System Erde ändern. Wir können unsere Anstrengungen ankurbeln, die Ökosysteme der Erde zu verstehen, und lernen, wie sie auf die vielen Weisen der menschlichen Einwirkung reagieren.

Letztlich bedeutet die menschliche Dominanz auf der Erde, daß wir der Verantwortung für den Planeten nicht entkommen können.

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