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Der Mensch als Material

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Ein weiterer Schritt in Richtung Patentierung von Leben: Grünes Licht durch den EU-Rat für eine wirtschaftsfreundliche Regelung - und Österreichs Regierung spielt mit.

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Ein weiterer Schritt in Richtung Patentierung von Leben: Grünes Licht durch den EU-Rat für eine wirtschaftsfreundliche Regelung - und Österreichs Regierung spielt mit.

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Keine Patente auf Leben, war eine der Forderungen, die immerhin 1,2 Millionen Österreicher im Gentechnik-Volksbegehren unterstützt hatten. Für den Hauptausschuß des Nationalrates offenbar nicht gewichtig genug. Vorige Woche beschloß er mit den Stimmen der Koalition die Annahme des Entwurfs einer „Richtlinie zum Schutz biotechnologischer Erfindungen”. Über ihn entscheidet der EU-Rat am 27. November.

Die' Geschichte dieses Entwurfs ist bemerkenswert, zeigt sie doch, wie konsequent sich wirtschaftliche Interessen heute durchsetzen: hartnäckig, ohne Rücksicht auf die öffentliche Meinung und gegen fundamentale Rechtsgrundsätze.

Eigentlich ist in Sachen Patentierung von Leben die Rechtslage eindeutig: In der Europäischen Patentübereinkunft heißt es im Artikel 53 (b): „Europäische Patente werden nicht erteilt für ... Pflanzensorten oder Tierrassen sowie für im wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflan -zen und Tieren.”

Diese Regelung stört aber in einer Zeit, in der die Gentechnik als Zukunftsindustrie schlechthin angesehen wird und in der die USA Patente auf Pflanzen und Tiere erteilen. Daher wird die Patentierung von Leben auch in Europa ge-pusht. Seit Jahren wird sie im Europaparlament verhandelt, und im März 1995 wurde der erste Entwurf einer „Richtlinie zum Schutz biotechnologischer Erfindungen” nach achtjähriger Debatte abgelehnt.

Das schreckte jene, die sich als Vollstrecker des Fortschritts fühlen, allerdings nicht: 1996 brachte die Kommission einen neuen, ähnlichen Entwurf ein.

Diesmal klappte es: Am 16. Juli 1997 nahm das Parlament den Entwurf an - allerdings mit 66 Abänderungen. Schon diese Abstimmung war zusammen mit der Bioethik-Konvention des Europarates ein Dammbruch (Furche 31/1997).

Die vom Parlament votierten Abänderungen gingen der Kommission allerdings zu weit. Der nun von ihr neuerlich überarbeitete Entwurf, über den der Rat abzustimmen hat, ist eine liberalisierte Fassung der ohnedies schon bedenklichen Fassung des EU-Parlaments. So sieht Artikel 4 jetzt die Patentierung von Tieren und Pflanzen vor und nicht (wie das Parlament gefordert hatte) nur die Patentierung „neuer Gene”. Oder: Artikel 6 ist so wenig eindeutig formuliert, daß die Klonierung für menschliche Zellen nicht restlos von der Patentierung ausgeschlossen ist.

Wie sehr das wirtschaftliche Denken tonangebend ist, zeigt die Ablehnung des Änderungsantrags 76 des EU-Parlaments durch die Kommission. Danach sollte biologisches Material nur dann patentfähig sein, wenn der Zugang dazu legal erreicht und dessen Ursprung publik gemacht wird. Bei biologischem Material menschlichen Ursprungs sollte die Zustimmung der Person, von der es stammt, vorliegen. Diese Auflagen entfallen nunmehr.

Wirklich gravierend ist jedoch, daß die Bichtlinie mit einem Grundsatz bricht, nämlich nur Erfindungen, nicht aber Entdeckungen einen Patentschutz zu erteilen. Erfindungen sind kreative, geistige Leistungen, technische Hervorbringungen (Erzeugnisse, Vorrichtungen, Verfahren), die wirtschaftlich genutzt werden können. Keinen Schutz genießen bisher Entdeckungen, also Forschungsergebnisse, die bestehende Gegebenheiten und Gesetzmäßigkeiten ans Tageslicht fördern. Letztere verändern nichts an dem, was im Lebensraum vorkommt und fügen ihm nichts hinzu.

Gene, also Teile der Erbinformation von Lebewesen, kann man daher grundsätzlich nur entdecken. Sie sind eine in der Natur vorhandene Gegebenheit. Auch wenn es sich um eine Struktur handelt, die nur mit großem Forschungsaufwand entdeckt wird, ändert das nichts an der Tatsache, daß da von einer Erfindung nicht die

Rede sein kann. Wir erteilen ja auch nicht Patente auf chemische Elemente.

Was es heißt, Gene zu patentieren, erkennt man aft folgendem Beispiel: Im Blut einer panamesischen Indianerin entdeckte man einen Antikörper gegen ein Virus HIV-II, das Leukämie auslöst. Auf die entsprechende Zellinie erteilte im Mai 1992dasUS-„Patent-and-Trademark-Office” ein Patent. Wer immer sonst auf diese Gegebenheit stößt, muß -um sie nutzen zu können - sich mit dem Patentinhaber auseinandersetzen.

Wer gegen die Patentierung von Leben auftritt, dem wird erklärt, die europäische Richtlinie sei ohnedies sehr restriktiv. Pflanzensorten und Tierrassen seien ausdrücklich ausgenommen. Das stimmt - ist aber eine Augenauswischerei, werden doch Patente auf Pflanzen und Tiere erteilt, wenn die Erfindung „nicht auf eine bestimmte Pflanzensorte oder Tierrasse beschränkt ist”. Mit anderen Worten: Die Sorte selbst läßt sich nicht patentieren, wohl aber die ganze Familie, zu der die Sorte gehört.

Bemerkenswert ist auch die Unterscheidung, die bei der

Patentierung von menschlichen Genen gemacht wird: Nicht patentfähig ist das Gen im menschlichen Körper. Patentfähig aber ist dasselbe Gen in der Retorte.

Es wird also bei näherer Beschäftigung deutlich, daß es be-' achtlicher geistiger Verrenkungen bedarf, um die vorgesehene Begelung in die Kontinuität bisheriger Praxis zu pressen. Die vielen Spitzfindigkeiten der Richtlinie machen es dem Laien schwer, sich ein Bild zu machen. Da vieles widersprüchlich ist, läßt sich bestens hin- und herargumentieren. Hinter einem Paravent schöner Worte werden die Türen für das Abstecken von „Claims” im Run auf die Goldgrube Erbinformation geöffnet.

Es ist schon sehr bezeichnend, daß, die Richtlinie selbst dann von „biologischem Material” spricht, wenn es um den Körper des Menschen geht. In dieser Sprache wird das Subjekt Mensch zum Material. Mit dieser Sichtweise liegt die Richtlinie allerdings im Trend. Zum Objekt reiner Nützlichkeit wird der Mensch ja auch, wenn das Gewebe ungeborener Kinder nach deren Abtreibung für kosmetische oder pharmazeutische Zwecke genützt wird, wenn Kinder in der Retorte gezeugt oder nach Organen für Transplantationen gejagt wird. Da ist es kein Wunder, daß auch jegliche Sensibilität dafür verloren geht, daß die Ertei-, lung von Patenten auf menschliche Gene im Grunde genommen ein Rückfall in die Zeit der Sklaverei ist.

Unsere Welt, die Gottes Gebote ausrangiert hat, verliert eben jeden absoluten Bezugspunkt. Außer ihrem Forscherund Eroberungsdrang ist nichts tabu. Und so wird eben alles möglich, Schritt für Schritt werden die Grenzen verschoben. Nützlichkeitsargumente lassen sich für alles finden. Daher ist, was gestern noch undenkbar war, heute Gegenstand scheinbar vernünftiger Debatten und morgen gängige Praxis. Der Unmenschlichkeit ist Tür und Tor geöffnet.

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