Der Mensch als Naturgewalt

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Wie kann man einen Begriff wie das Anthropozän am besten vermitteln? Mithilfe von Wissenschaft, aber auch Kunst: Die Expertenbeiträge in diesem Fokus werden illustriert vom Bildmaterial des Künstlers Edward Burtynsky, der im Interview über sein multimediales Anthropozän-Projekt Auskunft gibt.

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Wie kann man einen Begriff wie das Anthropozän am besten vermitteln? Mithilfe von Wissenschaft, aber auch Kunst: Die Expertenbeiträge in diesem Fokus werden illustriert vom Bildmaterial des Künstlers Edward Burtynsky, der im Interview über sein multimediales Anthropozän-Projekt Auskunft gibt.

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Der Begriff "Anthropozän" gehört den Naturwissenschaften, so scheint es. Ursprünglich wurde er vom Atmosphärenchemiker Paul Crutzen in die Debatte gebracht, um die vielen Dimensionen der ökologischen Krise zu fassen, die unsere Gegenwart kennzeichnet: Klimawandel, Veränderung wichtiger chemischer Zyklen, Landverbrauch, geänderte Wasserzyklen, gestörte Chemie der Meere, Habitatverlust, Artenschwund und vieles andere. Um ihn als geologischen Term zu formalisieren, der -statt des Holozäns - die Gegenwart bezeichnet, arbeitet derzeit eine illustre Gruppe von Wissenschaftlern in der "Anthropocene Working Group" daran, dafür geeignete Kriterien festzulegen. In den Erdsystemwissenschaften -selbst ein interdisziplinäres Gebiet aus diversen Wissensgebieten wie Ozeanographie, Klimaforschung, Ökologie, Geologie, Glaziologie etc. - werden heute die Gründe und Folgen der globalen ökologischen Veränderungen studiert (siehe auch Seite 6).

Um so erstaunlicher ist die Konjunktur des Anthropozäns in Kultur, Kunst und den Geistes-und Sozialwissenschaften. In Berlin, Karlsruhe und München haben erfolgreiche Ausstellungen und Kulturveranstaltungen stattgefunden. Am Naturhistorischen Museum in Wien sprengte die Diskussionsrunde "Das Ende der Natur? Leben im Anthropozän" letztes Jahr fast die Kapazitäten des Hauses. Und seit Kurzem existiert an der Universität Wien das transdisziplinäre "Vienna Anthropocene Network", das Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus Geistes-,Sozial- und Naturwissenschaften zusammenbringt, um sich gemeinsam über die Gründe, Folgen und Dimensionen des Anthropozäns zu verständigen.

Wird Naturwissenschaft politisch?

Damit wird klar, dass die fundamental vom Menschen veränderte "Natur" heute nicht mehr nur ein Thema der Naturwissenschaftler oder des Umweltbundesamts ist, sondern neuerdings auch eines für Philosophen, Philologen, Historiker, Medienwissenschaftler. Die ökologische Krisensituation, in der sich die Welt befindet, gewinnt nicht nur täglich an gesellschaftlicher Sichtbarkeit, sondern auch an theoretischem Tiefgang. Das ist mehr, als der gute alte Umwelt-Diskurs je geschafft hat. Während Nachhaltigkeit und Naturschutz lange als Nebenaspekt von Politik gesehen wurden - erst kommen die Arbeitsplätze, dann die Umwelt! - drängen sie jetzt in den Vordergrund nicht nur der öffentlichen Diskussion, sondern auch des individuellen Lebensgefühls. Wir haben das Gefühl, dass wir auf eine schleichende, möglicherweise katastrophale Umwälzung des gesamten Erdsystems zulaufen. Die Schwellensituation der Gegenwart verlangt nach einer tiefergehenden Reflexion, nicht nur nach politischen und technischen Lösungen.

Mit dem Begriff des Anthropozäns bekommt das Nachdenken über das Verhältnis von Mensch und Natur eine völlig neue Richtung. Er bringt die Einsicht auf den Punkt, dass der Mensch die gesamte Natur tiefgreifend verändert und damit selbst wie eine Naturgewalt operiert. Damit wird es nötig, grundlegende Kategorien unseres Denkens neu zu fassen: den Menschen selbst, die Natur und nicht zuletzt die Frage des Zusammenlebens. Damit wird es aber auch nötig, einen ganz neuen Dialog der Fächer in Gang zu bringen.

Geistes-und Sozialwissenschaften, gelegentlich auch die "Wissenschaften vom Menschen" genannt, beschäftigen sich mit dem, was Menschen herstellen: kulturelle Sinnsysteme, soziale Ordnungen, Wissen, Machtstrukturen etc. Sie sind in diesem Sinne immer schon "politisch", weil sie diese Ordnungen nicht nur interpretieren, sondern damit auch Kritik an ihnen üben. Sie beschäftigen sich, wie Bruno Latour das ausgedrückt hat, mit "matters of concern", gesellschaftlich strittigen Problemen - und sie liefern Material in diesem Streit. Umgekehrt beziehen sich die Naturwissenschaften in ihrem Selbstverständnis auf einen Gegenstand, der nicht vom Menschen gemacht ist, sondern am besten ohne dessen Intervention betrachtet wird: Natur und ihre Gesetze. Naturwissenschaft mag die Basis für Eingriffe in diese Natur herstellen, aber seit der Neuzeit versteht sie sich vor allem als neutrale Beobachterin der Welt. Ihr Produkt sind "matters of fact" - Fakten, die als solche nicht diskutiert werden können. Daher auch das dezidiert unpolitische Selbstverständnis der Naturwissenschaften. Es hat sich zuletzt in der massiven Kritik einiger Geologen an der Arbeit der "Anthropocene Working Group" geäußert: Der Vorwurf war, die AWG mache die Geologie politisch. Und das ist sicher nicht falsch - die Frage ist eher: Ist etwas nur dann "wissenschaftlich", wenn es nicht politisch ist?

Nun, da der Mensch selbst sowohl Naturgewalt, als auch kritischer Beobachter seiner selbst geworden ist, sind diese traditionellen Selbstverständnisse nicht mehr haltbar. Die Naturwissenschaften müssen sich selbst auch als "politische" Wissenschaften verstehen, als Interventionen in eine gesellschaftliche Debatte. Die Klimaforscher haben das zuerst schmerzhaft erfahren müssen, als ihre Ergebnisse plötzlich von selbsternannten "Klima-Skeptikern" in Frage gestellt wurden.

"The bigger picture"

Seither ist jeder Weltklimabericht des IPCC ein Politikum. Die Geistes-und Sozialwissenschaften müssen umgekehrt anfangen, sich nicht nur mit "kulturellen Konstruktionen", sondern auch mit den materiellen und ökologischen Grundlagen von Kultur und Gesellschaft zu befassen. In den "Environmental Humanities" geschieht das schon, aber noch in sehr begrenzten Perspektiven. Statt sich mit Einzelbeobachtungen zu begnügen, brauchen die Geisteswissenschaften "the bigger picture": etwa eine Geschichtsschreibung, die die kurzen Zeiträume menschlichen Handelns in die viel längeren Kontexte einer Geschichte der Landschaften, der Ökosysteme und des Klimas stellt. Oder Kultur-

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analysen, die nicht immer nur auf die jeweilige Region begrenzt sind, sondern die Verwobenheit des Lokalen mit dem Globalen in Rechnung stellen. Oder auch erklären können, warum kulturhistorische Prozesse - wie etwa die Sesshaftwerdung und Entwicklung von frühen Städten - in diversen Weltregionen ähnlich abgelaufen sind. Die großen begrifflichen Keulen, die von Geisteswissenschaftlern gern geschwungen werden, wie etwa "der Kapitalismus","das westliche Denken" oder "die Moderne" sind dabei kaum hilfreich. Vor allem aber müssen die Fächer miteinander ins Gespräch kommen. Im gemeinsamen Interesse an der erdgeschichtlichen Epoche des Anthropozäns funktioniert das auf eine bislang völlig ungewohnte Weise. Plötzlich interessieren sich Geologen oder Biologen für Kultur-und Wissenschaftsgeschichte; plötzlich lese ich mit Interesse die Aufsätze von Stratigraphen oder Erdsystemwissenschaflern.

"Planetarische Denkweise"

Voraussetzung ist dabei der gegenseitige Respekt vor den jeweils anderen Methoden, Begrifflichkeiten und Forschungskulturen - und natürlich ein echtes Interesse an deren Ergebnissen, ebenso wie eine Offenheit für die Entwicklung neuer, gemeinsamer Fragestellungen. Wie das gelingen könnte, welche Fragen dabei aufkommen könnten -aber auch was die Grenzen eines Dialogs zwischen den Fächern angeht, diskutiert die Tagung "The Anthropocene -Challenging the Disciplines" am 8. April in Wien. Dabei sind nicht nur Mitglieder der "Anthropocene Working Group" - Davor Vidas, Colin Waters, Matt Edgeworth und Michael Wagreich -anwesend, um über Ergebnisse und künftige Aufgaben der Arbeitsgruppe zu sprechen. Es sind auch prominente Vertreter der Geistes-und Sozialwissenschaften anwesend, etwa der Religionssoziologe Bronislaw Szerszynski (Lancaster), der eine "planetarische Denkweise" für das Anthropozän fordert; Jürgen Renn, Direktor am MPI Berlin, der über die Wichtigkeit von Wissensgeschichte spricht; oder die Sinologin Susanne Weigelin-Schwiedrzik, die fragt, wie das Anthropozän die wissenschaftlichen Fächer verändern muss. Das Anthropozän fordert alle Disziplinen dazu auf, aus ihren jeweiligen Komfortzonen herauszukommen. Das mag manchmal unangenehm sein, aber es setzt garantiert neue Energien frei.

Die Autorin ist Professorin am Institut für Germanistik der Universität Wien

The Anthropocene -Challenging the Disciplines Skylounge der Univ. Wien, 8.4., 9-18 Uhr

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