"Der Mensch wird noch mehr wollen"

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Ökologe Helmut Haberl sprach mit der Furche über Biomasse, die nicht nur dem Menschen Energie liefert.

Die Furche: Herr Professor, welche Rolle hat Biomasse in Ökosystemen?

Helmut Haberl: Pflanzen bauen aus anorganischen Ausgangsmaterialien und mithilfe der Photosynthese Biomasse auf. Die Gesamtheit dieser Biomasse nennen wir die Nettoprimärproduktion (kurz: NPP). Sie enthält all die Energie, die den restlichen - den heterotrophen - Lebewesen zum Leben zur Verfügung steht.

Die Furche: In einer kürzlich veröffentlichten Studie haben Sie errechnet, wie viel vom Biomasse-Kuchen der Mensch für sich allein beansprucht…

Haberl: Ja, wir nennen das den HANPP-Wert (Human Appropriation of Net Primary Production). Der große Erkenntnisgewinn lag darin, dass wir auf die besten verfügbaren Statistiken zurückgegriffen und die Welt in zehn mal zehn Quadratkilometer kleine Flächen eingeteilt haben. So bekamen wir ein sehr differenziertes Bild der weltweiten Biomasse-Nutzung. Im Mittel braucht der Mensch rund ein Viertel der verfügbaren Biomasse; in Österreich ist es sogar rund die Hälfte.

Die Furche: Ist das nun sehr viel?

Haberl: Es existieren rund 22 Millionen Arten - Homo sapiens ist nur eine davon. Der menschliche Eingriff ist also jetzt schon beträchtlich. Und der Mensch wird noch mehr haben wollen: Zum Beispiel wird ein Bevölkerungswachstum von sechs auf acht Milliarden prognostiziert. Auch werden viele Menschen in Zukunft höhere Ansprüche an die Ernährung stellen - im Sinne von mehr tierischem Protein. Dabei verbraucht die Fleischproduktion im Vergleich zu vegetarischen Lebensmitteln zehn mal mehr Biomasse.

Die Furche: Biomasse ist aber nicht nur Brennstoff für den Körper, sondern heizt auch Wohnungen und wird in Autos als Biokraftstoff eingesetzt. Wie sehen Sie diese Entwicklung?

Haberl: Kritisch. Weil eine intensive Nutzung oft negative Auswirkungen auf die Biodiversität hat. Auch werden Ökosysteme dadurch anfälliger. Zum Beispiel kann sich die Wasserrückhaltequalität des Bodens verändern, eine Erosion des Bodens wird wahrscheinlicher, der wachsende Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln ist natürlich problematisch. Aber man soll nicht jegliche Art der Biomasse-Nutzung verteufeln. Es gilt, jeweils genau hinzusehen: Wie viel Fläche brauche ich, um Energie herzustellen? Wieviel Energie muss ich reinstecken, wie viel kriege ich dafür heraus?

Die Furche: Welche Art von Biomasse-Nutzung ist denn vorbildlich?

Haberl: Die beste Form ist energetisches Recycling. Dabei wird Biomasse, die sowieso geerntet wird, weiterverwendet. Ein Beispiel dafür ist Stroh von Getreide. Das Getreide kann als Nahrungsmittel verwendet werden; gleichzeitig lässt sich das Stroh zu Pellets pressen und im Wärmemarkt einsetzen. Die Pflanzenzüchtung sollte auf diesen zweifachen Nutzen hin optimieren.

Die Furche: Und wie bewerten Sie Biosprit?

Haberl: Dass der Anbau von Biosprit so stark forciert wird, halte ich für eine Fehlentwicklung, da zumeist nur ein sehr kleiner Teil der Pflanze genutzt wird. Zudem verschlingt die Umwandlung in Flüssigkraftstoff sehr viel Energie. So muss in die Herstellung von zwei Liter Biosprit rund ein Liter Fossilenergie gesteckt werden. Für Österreich haben wir auch ein Szenario errechnet, wonach in Zukunft ein Maximum an Biosprit aus Raps gewonnen würde. Das Ergebnis: Bis 2020 ließe sich so lediglich ein Prozent des benötigten Benzinbedarfs decken.

Die Furche: Trotzdem setzen heute viele Länder auf Biosprit. Warum?

Haberl: Die Biokraftstoffe sind ja angeblich klimaneutral - und so gibt es entsprechende Umweltfördermittel, die manche Politiker nur zu gerne in die Landwirtschaft pumpen. Daneben vermute ich noch Schlimmeres: nämlich ein geostrategisches Interesse, insbesondere der USA. Beinahe alle ölproduzierenden Länder sind bekanntlich Nahrungsmittelimporteure. Mit der Herstellung von Pflanzen-Kraftstoffen trifft man diese Länder doppelt: Zum einen konkurrenziert man deren Erdöl-Produktion, zum andern verteuern sich die Lebensmittel.

Die Furche: Europa deckt seinen Energiebedarf immer noch zu rund 95 Prozent mit Kohle, Öl und Kernenergie. Die Vorräte an fossilen Brennstoffen gehen langsam zu Ende; Atomkraftwerke sind unbeliebt. Was sind die Energiequellen der Zukunft?

Haberl: Es geht gerade nicht darum, das Energieangebot auf gleich hohem Niveau zu halten. Viel wichtiger ist es, sich mich Fragen des Energiesparens auseinanderzusetzen. Die Prioritäten müssten anderswo liegen: Zum Beispiel bei einer besseren Isolierung der Häuser, effizienteren Geräten und Anwendungen, Änderungen der Siedlungsstruktur und ja: auch Alternativen zum Individualverkehr.

Das Gespräch führte Thomas Mündle.

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