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Der Sprung in den Raum

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298 Wissenschaftler aus 27 Ländern nahmen am XV. Kongreß für kosmische und Flugmedizin teil, der in den letzten Septembertagen in Prag stattfand. (Er löste Fragen der Toleranz von Streß’ maximaler Intensität im Laufe des Flugs, die Beurteilung des Gesundheitszustandes älterer Piloten im Alter um 40 Jahre vom Gesichtspunkt der

Pilotenpraxis, Grundsätze des Orientierungsmechanismus im Raum, radiobiologische Probleme usw.) Es war schwer, aus dieser Unmenge medizinischer Kapazitäten die erstrangigen Größen zu erreichen, so sehr waren sie von ihren Kollegen umringt und in Diskussionen verwickelt. Dennoch gelang es, den Ehrengast des Kongresses, den sowjetischen Arzt und Kosmonauten B. B. Jegorow, den Oberarzt der amerikanischen Kosmonauten, Charles Berry, und den Präsidenten der Internationalen astronautischen Akademie, Professor Armand Mer-

der anzuhalten und ihnen einige Fragen zu stellen.

Nicht alle fliegen wir in den Kosmos. Was kann die kosmische Medizin also jenen bringen, die an die Erde gefesselt bleiben?

Diese Frage beantwortete B. B. Jegorow:

„Vorläufig sehen wir, daß zahlreiche Fragen, die wir lösen, bei der

Erforschung vieler Krankheiten helfen können. Bei den kosmischen Flügen untersuchen wir die Raktionen eines normalen gesunden Menschen. In der Medizin ist es allgemein ein Problem, daß der Arzt beim Aufstellen der Diagnose in Verlegenheit ist, wenn er bestimmen soll, was die Norm ist und wo Pathologie — Krankheit — beginnt. Die Norm des Menschen zu kennen ist wichtig und sehr schwer. Die kosmische Medizin, die sich mit einem gesunden Menschen befaßt, bietet Maßstäbe für die Bestimmung der Norm des Menschen. Das Ergebnis davon ist, daß sich die Genauigkeit der irdischen Diagnosen verbessert.

Oder: die kosmische Medizin verwendet oft ganz besondere, hauptsächlich Miniaturgeräte, die sich sehr gut für die Diagnostik eignen. In baldiger Zukunft werden Instrumente für die erste Hilfe, klinische Instrumente und auch solche, die Ärzte bei Krankenbesuchen verwenden, mit Mikroapparaturen ausgestattet sein; es werden die gleichen Methoden zur Registrierung der physiologischen Funktionen angewandt werden, wie bei den kosmischen Flügen.“

Keinen Einfluß auf das Geschäft

Die zweite Frage war den Frauen gewidmet: dem Problem, ob der Flug der Valentina Tereschkowa dazu genügte, den Einfluß eines kos mischen Flugs auf den weiblichen Organismus klarzulegen.

„Dieser Flug wurde realisiert, um diesen Einfluß sowie selbstverständlich auch den Einfluß der Schwerelosigkeit auf die Frauen klarzulegen. Er war kurz, dennoch wurde weder ein schädlicher Einfluß noch ein wesentlicher Unterschied zwischen dem weiblichen und dem männlichen Organismus unter diesen Bedingungen festgestellt.“

Die dritte Frage entsprang purer Neugier: Rüsten Sie erneut zu einem Weltraumflug?

„Selbstverständlich.“

Kein ideales Alter

Der Oberarzt der amerikanischen Weltraumflieg :, Dr. Charles Berry, hat über das weibliche Problem vorläufig eine andere Ansicht: „Ich habe nichts gegen die Frauen“, sagt er, „aber ich glaube, es muß irgendein Grund vorhanden sein, um zur Zeit eine Frau starten zu lassen. Physiologische Gründe sind dafür keine vorhanden, wenn man Männer fliegen lassen kann...“

Die Sowjetunion entsandte überwiegend sehr junge Leute, Amerika jedoch Männer mittleren Alters in den Weltraum. Läßt sich das erklären?

„Ich glaube nicht, daß es ein ideales Alter für Weltraumflieger gibt“, sagte Dr. Berry, „es gibt kein ideales Alter für Weltraumflüge, ebenso wie es kein ideales Alter für Piloten gibt. Leider können wir heute vom medizinischen Standpunkt aus nicht sagen, was für ein physiologisches Alter jemand hat. Wir arbeiten an Testen, die uns helfen werden, diese Frage zu klären. Wir können nicht einen Menschen ansehen und etwa sagen, du bist fünfundvierzig und physiologisch aber 25 Jahre alt. Aus diesem Grunde bin ich davon überzeugt, daß für einen Weltraumflieger seine Erfahrungen entscheidend sind.“

Den Präsidenten der Internationalen astronautischen Akademie, Professor Armand Mercier, fragten wir, wie sich die kosmische und die Flugmedizin gegenseitig ergänzen.

„Man kann von einer gemeinsamen Medizin sprechen“, sagte er, „weil sich die von den Flugzeugen erzielten Geschwindigkeiten riesig erhöht haben und die Flugzeuge gleichfalls ungeheure Höhen erreichen. In den Weltraumschiffen sind die Probleme den Problemen in den Flugzeugen, wo durch Manövrieren schließlich auch Schwerelosigkeit erzielt werden kann, sehr ähnlich.“

Frankreich steht abseits

Die französischen Wissenschaftler stehen, wie Professor Mercier sagte, bezüglich der Entsendung von Weltraumschiffen ein wenig abseits. Gegenwärtig widmen sie sich den Problemen der physiologischen und psychologischen Einflüsse der zeitlichen Änderungen auf das Flugpersonal sowie die Einflüsse der Temperaturänderungen auf die Piloten.

Professor Mercier sprach abschließend auch seine Ansicht über die

Nützlichkeit des Prager Gelehrtentreffens aus: Er glaubt, daß bei diesem Kongreß die Teilnahme verschiedener Länder größer war als am vorangegangenen. Das Hauptmoment war seiner Ansicht nach die große Teilnahme der östlichen Länder. Es ist, wie er sagte, besonders wichtig, daß man hier die Meinung von Fachleuten der Flug- und kosmischen Medizin kennenlernen konnte, besonders jener, deren Arbeiten in Frankreich viel schwerer aufzutreiben waren als Arbeiten aus den angelsächsischen Ländern.

Die tschechoslowakische Meinung über den Kongreß und seinen fachlichen Gehalt auszusprechen, ersuchten wir das Mitglied des wissenschaftlichen Komitees, Dr. Milan Morävek, den einzigen tschechoslowakischen Arzt, der Mitglied der Internationalen austronautischen Akademie ist.

„Der Kongreß kann in fachlicher Hinsicht sehr hoch gewertet werden“, sagte er, „die Thematik war glücklich gewählt. Sehr interessant ist zum Beispiel die Frage der psychischen Mobilisation der Kosmonauten, die den Inhalt mehrerer Referate bildete. Bisher wurde die Tatsache unterschätzt, wie weit ein Mensch über das, was ihn erwartet, informiert ist — heute wird diese Frage durch psychische Vorbereitung gelöst.“

Eine überraschende Entdeckung ist die Arbeit des amerikanischen

Wissenschaftlers Dr. Harald von Beck. Es handelt sich um den Einfluß eines fast absoluten Vakuums für die Dauer von zwei Minuten auf einen so komplizierten Organismus wie es der Organismus eines Affen ist. Es schien nicht möglich zu sein, daß der Affe nach diesen zwei Minuten zu sich kommen und seine vorhergehende Tätigkeit fortsetzen könnte. Dennoch gelang dies.

Diese Entdeckung ist zweifellos eine Überraschung, weil die Ärzte bisher angenommen haben, daß es, sobald unter den Bedingungen sehr verdünnter Luft die Sauerstoffzufuhr für längere Zeit als einige Dutzend Sekunden unterbrochen wird, zu Veränderungen des Organismus kommen muß, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können.

Eine dritte interessante Frage ist die, mit der sich W A. Isabayowa aus der UdSSR befaßt — Akklimatisierung in der Hochgebirgsumwelt Die Feststellung, daß es für Weltraumflieger und Piloten sehr vorteilhaft ist, wenn sie eine gewisse Zeit im Hochgebirge und dünner Luft verbracht haben. Der Organismus wirtschaftet dann viel besser mit seinen Kräften.

Der Kongreß rollte noch eine ganze Reihe interessanter Probleme auf. Man kann voraussetzen, daß das, vcas er nicht endgültig gelöst hat, der nächste Kongreß beantworten wird, der in einem Jahr in Lissabon stattfindet.

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