Der Staat und seine Paranoia

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Sicherheit durch das Sammeln von Daten zu schaffen, ist eine irrwitzige Illusion - eine Polemik.

Snowden sei Dank wissen wir, mit PRISM spioniert die NSA Menschen aus, vorrangig Aliens. Pflichtschuldigst wird in Europa die Empörungsmaschinerie angeworfen. SWIFT, Passagierdaten (PNR) oder ECHELON sind längst vergessen. Das Muster bleibt gleich. Die USA spioniert, die EU empört sich zuerst und dann? Dann kommt ein Daten-Abkommen. Warum sich empören? Tut doch die USA nichts anderes, als ihre Gesetze umzusetzen. Der "Patriot Act“ erlaubt jeden Datenzugriff, solange er der Sicherheit der USA dient. Wer wird ernsthaft behaupten, eine Behörde würde Daten mit dem Ziel ausspähen, die Unsicherheit des Landes zu erhöhen? Jede Datennutzung ist somit legal, quod erat demonstrandum.

Nach dem EU-US-Fluggastdatenabkommen traten EU-Staaten auf den Plan und forderten selbiges für die EU. Warum nicht Flugbewegungen in und aus der EU erfassen? Während die USA die Fluggastdaten nur mit Terrorlisten abgleicht, sollen die EU-Flugdaten anlassunabhängig nach verdächtigem Verhalten ausgewertet werden. Verdächtig wird ein Reisender durch Menü- oder Sitzplatz-Wahl, durch One-Way-Tickets, häufige Umbuchungen oder Flugstornierungen.

Niemand diskutiert das INDECT-Projekt, hat es doch das Ziel, jede öffentliche Bewegung der Bürger automatisiert zu kategorisieren? In die Kategorie des Verdächtigen kommt man rasch. In der Öffentlichkeit stehen oder laufen, Dose in der Hand tragen oder Rucksack am Rücken. Der INDECT-Katalog verdächtigen Verhaltens liest sich wie ein Paranoia-Roman, gefördert mit EU-Millionen.

Neue Spionage-Qualität

Längst vergessen ist die Verpflichtung der EU-Unternehmen, praktisch alle ihre Aktivitäten auf wirtschaftliche Hintermänner zu überprüfen. So fällt die Barzahlung eines Dessous-Kaufs im Wert von mehr als 15.000 Euro unter die Terrorbestimmungen. Angesichts mancher europäischer Politiker eine reale Gefahr. Gar nicht auszudenken, welchen Schaden eine Handvoll motivierter Muslimine à la Karima El Mahroug im europäischen politischen System mit Dessous aus Österreich anrichten könnten!

Online-Spionage ist ein komplexes großtechnisches Unterfangen. Der naive Bürger glaubt, es gehe um das Sammeln von vertraulichen Daten wie Konto-, Vermögens- oder Einkommensdaten. Mitnichten, jeder Internetnutzer hinterlässt täglich tausende, für sich genommen, nichtssagende Informationssplitter. Diese Splitter, richtig zusammengeführt, erlauben - so die Protagonisten -, das Netzwerk von Beziehungen und Kontakten, die geheimen Wünsche und Sehnsüchte aufzudecken.

Sammeln, Verdichten und Verknüpfen dieser gigantischen Datenmengen erfordert zehntausende Computer. Erst dann beginnt die analytische Arbeit der Geheimdienste. Soziale Medien wie Facebook produzieren Content, für dessen Betrachtung ein Internet-affiner Nutzer 65.000 Jahre benötigt und das täglich. Nur wenige Unternehmen wie Google oder Facebook können diese Informationsmengen technisch bewältigen. Selbst top ausgestattete US-Geheimdienste sind überfordert. Es macht Sinn, mittels Projekten wie PRISM an den privaten Datensammlungen mitzunaschen.

Österreichs Weg ist anders: Online-Überwachung ist für das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) & Co nicht leistbar und auch überflüssig. Österreich hat zahllose Listen und Register geschaffen, in denen Informationen über die Bürger gesammelt werden: Von der Hendelzahl bis zur HIV-Infektion wird jedes Detail erfasst und zusammengeführt.

Wohin geht die Reise?

Wer glaubt, durch Sammeln von Daten Sicherheit zu schaffen, muss zwangsläufig immer mehr Daten sammeln. So wenig wie die Alchemisten den Stein der Weisen gefunden haben, findet sich im Internet, bei Telefonaten oder bei Reisen das verzweifelt gesuchte Terrorbit. Es gehört zum perfiden Plan des Terroristen, seine Tätigkeit als normale Lebens- und Geschäftstätigkeit erscheinen zu lassen. Er drückt nicht auf die Terror-Taste, wenn er telefoniert, er eröffnet sein Konto nicht mit dem Geschäftszweck "Terrorismusfinanzierung“.

Je umfangreicher das Wissen über Terrornetzwerke ist, desto mehr erkennen wir, wie harmlose Tätigkeiten Teil terroristischer Aktivitäten sind. Leider wissen wir das nur im Nachhinein. Im Umkehrschluss muss jede harmlose Tätigkeit für die Zukunft als potentiell gefährlich eingestuft werden.

Wichtige und unwichtige Informationen versinken im informationstechnischen weißen Rauschen. Das weiße Rauschen der Fernsehkanäle hat die höchste Informationsdichte und liefert doch das langweiligste Programm. Der große Lauschangriff entpuppt sich als gigantisches Sedativum zur Erhöhung des Sicherheitsgefühls der Laien und als Spielwiese supranationaler Einrichtungen ohne politische Kontrolle.

* Der Autor ist Mitglied des Datenschutzrates im Bundeskanzleramt, Lektor am Juridicum Wien und wird vom BVT sowohl als Rechts- als auch Linksextremist geführt

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