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Der Stern der Weisen

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Der Vorstand des Instituts für theoretische Astronomie der Universität Wien untersucht in seinem neuen Buch streng wissenschaftlich, doch in allgemeinverständlicher Sprache die Perikope über die „Weisen aus dem Morgenland" und den Stern, dem sie nach Bethlehem folgten. Den „Heiligen Drei Königen” der Legende wird ein historisch glaubwürdiges, eindrucksvolles Bild der wirklichen Magier gegenübergestellt. Das Kapitel über den Stern — aus dem wir nachfolgend einen Auszug bringen — gibt einen weitgespannten Einblick in die Denkweise und Arbeitsmethode der babylonischen Sternkunde. Das Ergebnis dieser Untersuchungen steht in vollem Einklang mit allen zuverlässigen historischen Anhaltspunkten für die Datierung der Geburt Christi. — Konradin Ferrari d'Occhieppos Buch „Der Stern der Weisen. Geschichte oder Legende!" erscheint soeben im Verlag Herold.

Von Bedeutung für die Frage dieses Buches ist die Tatsache, daß die wissenschaftlichen Bemühungen der spätbabylonischen Astronomen sich bei den eigentlichen Planeten auf die langfristige Vorausberechnung einiger bevorzugter Phasen konzentrier-

ten. Bei Saturn, Jupiter und Mars handelte es sich dabei um das erste Erscheinen in der Morgendämmerung (Frühaufgang), um den letzten sichtbaren Aufgang am Abend (Abendaufgang oder akronychischer Aufgang), ferner annähernd symmetrisch vor und nach diesem um den östlichen und westlichen Stillstand und endlich um den letzten sichtbaren Untergang in der Abenddämmerung nächst der Sonne. Um die dazwischenliegenden Auf- und Untergänge, ob sie nun in einem Teil des Jahres während der Nacht sichtbar erfolgten oder in die Zeit des hellen Tages fielen, kümmerte sich die Theorie der Babylonier nicht.

Sehen wir nun den Evangelienabschnitt, der vom Stern der Weisen berichtet, im griechischen Urtext oder in einer astronomisch sach-

gerechten Übersetzung an: Da wird in den Versen 2 und 9 des zweiten Kapitels nach Matthäus der (Abend-) Aufgang des Sterns als das von den Magiern angenommene Zeichen der Geburt eines neuen Königs der Juden genannt, zu dessen Huldigung sie gekommen sind. Im Griechischen wird dieser Aufgang durch Einzahl und bestimmten Artikel sehr deutlich von der Himmelsrichtung der Aufgänge in Vers 1, wo die Mehrzahl ohne Artikel steht, unterschieden; in der Vulgata und, ihr folgend,

in den meisten Übersetzungen in neuere Sprachen ist dieser Unterschied in Unkenntnis seiner wesentlichen Bedeutung verwischt worden. Ferner erkundigt sich Herodes nach der Zeit des Erscheinens des Sterns, da er offenbar meint, daraus auf das

Alter des Messiasknaben schließen zu können, wie aus Vers 16 noch deutlicher hervorgeht. Endlich wird in Vers 9 das Stehenbleiben mit Nachdruck hervorgehoben. Ohne zunächst auf Einzelheiten einzugehen, stellen wir jedenfalls fest, daß neben der fachmännischen Bezeichnung für die Himmelsrichtung Osten in den wenigen Versen dieses Evangelienabschnittes alle in der babylonischen Planetentheorie überhaupt vorkommenden Phasen mit Ausnahme des Unterganges mit den passenden Fachausdrücken erwähnt sind.

Im Lichte des erst in neuester Zeit wiedergewonnenen Wissens über jene frühe Periode der Astronomiegeschichte zerreißt also der Schleier des vermeintlich Legendären, das man an dieser Stelle vermutet hat, und es treten klare und sachgerechte Aussagen hervor. Diese Auffassung wird bald noch dadurch bekräftigt werden, daß das Ganze im Zusammenhang genommen einen sehr guten Sinn ergibt. Natürlich können wir dem Evangelisten selbst solche astronomische Kenntnisse kaum Zutrauen. Aber die bereits aus allgemeinen stilistischen und inhaltlichen Gründen anzunehmende Sonderquelle, wahrscheinlich der Eigenbericht eines der beteiligten Magier, bot ihm bei sorgfältiger Benutzung eine hinreichende Führung.

Man kann schon jetzt die Auswahl der in Betracht kommenden Gestirne stark einschränken. Da alle Aussagen offenbar denselben Stern betreffen, scheiden wegen der Erwähnung seines Stillstehens im Hin- und Hergehen jedenfalls alle Fixsterne einschließlich der sogenannten Neuen Sterne aus, weil diese ja gegeneinander dauernd Stillstehen. Aber auch der Planet Merkur kann nicht in Betracht kommen, denn dessen Stillstände sind wegen des hellen Dämmerungshimmels, vor dem man ihn stets beobachtet, kaum jemals mit freiem Auge erkennbar; sie wurden daher von den babylonischen Astronomen auch in ihren Rechnungen nicht berücksichtigt. Mars muß wohl aus dem Grunde ausgeschlossen werden, weil ihm, zumal wenn er um die Zeit seines Abendaufganges durch die große Helligkeit seiner brandroten Farbe auffiel, in der babylonischen Sterndeutung nachweisbar eine böse Vorbedeutung zugeschrieben wurde, ganz im Gegensatz zu den frohen Erwartungen, welche die Magier an diesen Aufgang knüpften.

Wenn angenommen werden darf, daß der Verfasser der älteren syrischen Übersetzung des Matthäusevangeliums, der wohl schon im zweiten Jahrhundert gelebt hat, genau und mit etwas Sachkenntnis gearbeitet hat, käme sogar aus rein sprachlichen Gründen nur ein einziger Planet, nämlich Jupiter, in Betracht. In der auch bei den Juden, trotz aller Warnungen der Propheten (vergleiche: Arnos 5, 27), verbreiteten Stemdeutumg galt nämlich als Planetenherrscher Israels Saturn unter dem Namen Kewan, akkadisch Kaimanu. Es hätte daher für den Hersteller der syrischen Übersetzung nahegelegen, diesen mit dem Heil des Gottesvolkes in Beziehung gebrachten Stern mit dem in der Bibel vorkommenden Namen Kewan oder

Kaiwan zu nennen. Er gebraucht jedoch das Wort „kaukebä“, an sich eine Gattungsbezeichnung wie das ihm entsprechende akkadische „kak- kabu“. Aber dieses Wort wurde in der spätbabylonischen Astronomie nur noch auf einen einzigen unter den Planeten angewandt, den

„kakkabu pisu“, das heißt „weißglänzender Stern“, womit Jupiter gemeint war.

Jupiter galt als der Stern des Marduk, des höchsten Gottes der Babylonier. In der Rangordnung der Planeten wurde er bei allen Aufzählungen an erster Stelle genannt, obwohl er weder die längste noch die kürzeste Umlaufzeit hat und an Helligkeit von Venus bei weitem übertroffen wird. Es ist wohl kaum ein Zufall, daß ihm die meisten und sorgfältigsten Berechnungen der letzten babylonischen Astronomen galten. Aus besonderer Ehrfurcht lasen sie zwar, wie wir aus dem Zeugnis des byzantinischen Lexikographen Hesychios wissen, die zwei Keilsohriftzeichen, die den Planeten Jupiter bezeichneten, gewöhnlich nicht in der oben erwähnten Weise akkadisch, sondern mit den bedeutungsgleichen Worten der uralten sumerischen Kultsprache „mulu- babbar“. Wollten sie sich anderen Semiten verständlich machen, dann mußten sie aber von dem „kakkabu“ sprechen, dessen Identität im übrigen für Eingeweihte klar genug aus dem ganzen Bericht hervorging.

Freilich wiederholen sich die Erscheinungen eines jeden Planeten in regelmäßigen Zyklen und können daher nur im Zusammenspiel mit anderen Gestirnen Konstellationen ergeben, die besondere Deutungen zulassen. Wenn man an die schon erwähnte abergläubische Beziehung zwischen dem Volk Israel und Kewan (Saturn) denkt, wird man in erster Linie diesen mit in Betracht zu ziehen haben. Wirklich fand, wie man schon seit Keplers Neuberechnung weiß, in einem der Geburtszeit Christi jedenfalls nahegelegenen Jahr, 305 der Tempelära gleich 747/748 nach der sagenhaften Gründung Roms, eine sehr lang andauernde Begegnung beider Planeten an der scheinbaren Himmelskugel statt. Genau gerechnet, gingen sie dabei dreimal auf kürzeste Distanz aneinander vorbei. Gewissermaßen der Höhepunkt der Begegnung, der fast gleichzeitige westliche Stillstand, geschah nach moderner Rückrechnung sehr nahe der Mitte des Tierkreiszeichens „Fische“;

es wurde in der babylonischen Sterndeutung in seiner ganzen Ausdehnung auf den fruchtbaren Länderbogen vom Nil bis zum Tigris, in seinem mittleren Teil also auf Palästina bezogen.

Es wäre falsch, hier etwa eine spitzfindige Deutung des gesamten Horoskops nach den Regeln der griechisch-ägyptischen Astrologie vornehmen zu wollen, wie das im Mittelalter gelegentlich geschehen ist. Denn die Magier hatten ja zunächst keinerlei Kenntnis eines be-

stimmten Geburtsddatums, sondern höchstens unbestimmte Hoffnungen auf das baldige Kommen eines Erlöserkönigs. Daher müssen wir annehmen, daß in ihren fortlaufenden Vorausberechnungen unmittelbar auffallende Anhaltspunkte ersichtlich waren, die eine Deutung in dem hier gemeinten Sinne nahelegten. Glücklicherweise sind wir hier nicht auf unsichere Vermutungen angewiesen, sondern besitzen mindestens vier Originalexemplare (Tontafein) babylonischer Keilschriftkalender für das hier entscheidende Jahr. Einer davon ist so gut erhalten, daß er fast alle hier wesentlichen Daten deutlich zeigt; die anderen bieten noch dazu einige Ergänzungen. Außerdem ist es dem Verfasser dieses Buches gelungen, mit Sicherheit die den Kalendern zugrunde liegenden babylonischen Berechnungen für Jupiter und Saturn zu rekonstruieren. Wir haben also einen vollständigen Einblick in alle astronomisch wichtigen Daten, die den Magiern als Anhalt für ihre Deutungen gedient haben.

Daraus geht folgendes hervor: Bei seinem Frühaufgang am 13. Adaru

304 der Tempelära (= 15. März 747 nach Gründung Roms oder 7 „vor Christus“) war Jupiter noch allein. Erst am 3. Nisannu 305 TÄ (= 4. April 747 n. Gr. Roms) folgte ihm Saturn. Der kurze erste Vorübergang Ende Mai wurde von den Berechnungen der babylonischen Astronomen nicht erfaßt und ist daher in dem an der entsprechenden Stelle unversehrten Kalender nicht eingetragen. Nicht allzu bemerkenswert waren auch noch die östlichen Stillstände, die der Kalender für Jupiter am 22. Duzu, für Saturn am 29. Duzu 305 TÄ (= 20. und 27. Juli) verzeichnet. Aber daß beide Planeten am selben Abend, dem 21. Ululu

305 TÄ (= 15. September) ihren Abendaufgang haben sollten und, wie die rekonstruierte Rechnung in guter Übereinstimmung mit den wirklichen Verhältnissen zeigt, mit nur einem Grad Längenunterschied vom Abend bis zum Morgen gemeinsam über den Himmel zogen, war schon ein Ereignis von ungewöhn lichem Seltenheitswert. Dabei zeigte sich Jupiter — das wissen wir auf Grund seiner Sonnennähe in der räumlichen Bahn — als strahlender Himmelsherrscher in höchstmöglichem Glanze neben dem — infolge schmaler Ringstellung — ziemlich blassen Saturn.

Endlich lesen wir in der letzten Zeile der Oberseite des besterhaltenen Kalenderexemplars, daß der westliche. Stillstand für zwei aufeinanderfolgende Abende, den 20. und 21. Arah’samna 305 TÄ (=12., 13. November), berechnet war. Die vollständige Rekonstruktion der babylonischen Rechnungen hat nicht nur das stark beschädigte Datum des Jupiterstillstandes eindeutig bestätigt, sondern sie ergab für diese Phase eine wahrhaft einzigartige Auszeichnung: Nur drei Bogenminuten sollte hiernach der Längenunterschied zwischen den Stillstandspunkten beider Planeten betragen! Das war noch beträchtlich näher, als dann in Wirklichkeit bei dieser Phase eintrat. Aber die von den Magiern im voraus erschlossene Deutung mußte sich ja auf das Ergebnis ihrer eigenen Rechnung stützen, welches aus diesem Grunde hier wichtiger ist als der später zu beobachtende wirkliche Verlauf. Allzu erheblich waren übrigens für das freie Auge die Unterschiede nicht.

Es bedarf keiner verwickelten Schlußfolgerungen, um sich im Sinne der Magier etwa folgende Deutung der Himmelsvorgänge zurechtzulegen: Der Stern ihres höchsten Gottes tritt von Osten her im Abendaufgang an die Seite des Sternes Israels, um mit ihm in größtem Glanze den Himmel vom Aufgang bis zum Niedergang zu beherrschen; endlich bleibt er ganz dicht bei Saturn in eben jener Himmelsgegend stehen, die man auf Palästina bezog. Es waren demnach gerade jene zwei Phasen ganz unzweifelhaft aufs höchste ausgezeichnet, die der Evangelist in der gleichen Reihenfolge hervorhebt: der Abendaufgang als das von den Magiern angenommene himmlische Zeichen der Geburt eines gottbegnadeten Königs aus dem Volke der Juden, und der Abend, des westlichen Stillstandes, den“' sie .wahrscheinlich, von Anfang an als besonders geeigneten Zeitpunkt für ihre Huldigung ausersehen hatten.

Man mag noch fragen, seit wann den Magiern all das bekannt war, und ob sie sich der Seltenheit des Phänomens bewußt geworden sind. Die letzten, in leidlich gutem Zustand erhalten gebliebenen Berechnungstafeln für Jupiter und Saturn nach dem höchstentwickelten theoretischen System endigten rund 62 Jahre vor dem wahren Geburtsjahr Jesu. Wahrscheinlich kurze Zeit vor ihrem Auslaufen weiden die Großväter unserer Magier die bisher nicht aufgefundenen Fortsetzungen als Grundlage für ihre Kalendarien berechnet haben; wie die früheren Berechnugstafeki werden auch die späteren bei Jupiter mindestens 71, vielleicht auch 83 Jahre, bei Saturn 88 Jahre umfaßt haben. Es ist ferner anzunehmen, daß sogleich nach ihrem Abschluß die sehr seltenen Begegnungen zwischen Jupiter und Saturn näher studiert wurden, so daß also schon zwei bis drei Generationen der einsamen letzten babylonischen Astronomen Zeit hatten, sich über die im Jahre 305 TÄ zu erwartende seltsame Begebenheit am Himmel und ihre Bedeutung Gedanken zu machen.

Dokumentarisch steht fest, daß sie eine 427jährige große Jupiterperiode mit vollem Wissen um deren Zweckmäßigkeit in ihren Rechnungen verwendeten, ebenso eine 265jährige für Saturn, bei dem sie früher eine solche von 589 Jahren verwendet hatten. Sollten sie einmal zufällig auf den Gedanken gekommen sein, die beiden letzteren zu addieren und mit der Jupiterperiode zu vergleichen, so hätten sie bemerken müssen, daß 589 + 265 = 854 = 2mal 427 Jahre ist. Mit anderen Worten, sie hätten so wie wir wissen können, daß 854 Jahre früher eine jedenfalls sehr ähnliche Jupiter-Saturi' -Begegnung in den „Fischen“ stattgefunden hatte. Falls ihnen aber diese (übrigens nicht streng gültige) Beziehung nicht bekannt war, hätten sie die Wiederholung eines gleichartig ausgezeichneten Himmelsvorganges erst nach unvorstellbar langen Zeiträumen für möglich halten können.

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