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Der Turm weist in die Zukunft

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Die von den Kriegs- und Nachkriegsereignissen weithin schwer betroffenen Bauern Niederösterreichs konnten sich — vielleicht in vielen Fällen erstmals — ein wenig Zeit zum Aufatmen gönnen und einen kurzen Blick zurückwerfen auf den Erfolg ihrer harten Wiederaufbauarbeit, ehe sie, vor nunmehr zehn Jahren, in den Frühlingstagen des Jahres 1950, zu den Wahlurnen gingen, um auf demokratische Weise die Vertreter ihres Standes für die Bezirksbauernkammern und die Landeslandwirtschaftskammer zu wählen. Damals entfielen 85,9 Prozent der gültigen Stimmen auf die Liste des Niederösterreichischen Bauernbundes, und der unvergessene Herausgeber der „Furche“, Dr. Friedrich F u n d e r, schrieb in aufrichtiger Anerkennung: „Der Turm des Niederösterreichischen Bauernbundes steht wie aus dem Felsen gewachsen. Kein Quader fehlt!“

“Seither ist nun ein Jahrzehnt stürmischer Entwicklung vergangen. Stürmischester Entwicklung gerade und vor allem für den Bauernstand, der in der jüngsten Vergangenheit vielfach größere Umwälzungen geistiger und ökonomischer Art erlebte, als sie in vergangenen Jahrhunderten ganzen Generationenreihen beschieden waren. Kein Wunder also, daß der Turm, von dem Dr. Funder schrieb, schweren Gefahren ausgesetzt war und ist. Haben sich deshalb seine Quadern gelockert? Die Gegner hofften, dies erreichen zu können. Viele Freunde befürchteten zeitbedingte Verwitterungserscheinungen. Wie das Ergebnis der Landwirtschaftskammerwahlen in Niederösterreich vom 27. März 1960 zeigt, haben sie alle die Qualität der Quadern unterschätzt, aus denen sich der Turm zusammenfügt unds die im Verlauf ereignisreicher Jahre nur noch fester aneinanderzuwachsen scheinen.

Aus den in lebhaftem Wandel begriffenen soziologischen und wirtschaftlichen Verhältissen in Niederösterreich, dem agrarpolitisch bedeutendsten, aber auch in größter Vielfalt sich präsentierenden österreichischen Bundesland, müßten, nach den bisher allgemein geltenden Ansichten, dem Bauernbund in wachsendem Ausmaß erhebliche Gefahren, seinen Gegnern gewaltige Chancen erwachsen. Laut Volkszählung 1951 weist Niederösterreich 138.494 land- und forstwirtschaftliche Betriebe auf und steht mit dieser Zahl bei weitem an der Spitze aller Bundesländer. Mit Abstand folgt die Steiermark, in der 79.207 Betriebe gezählt wurden. In Niederösterreich sind darüber hinaus nicht nur Berg-, Hügel- und Flachlandbauern, „Hörndl“- und „Körndlbauern“ in allen ihren Varianten anzutreffen, auch die Besitzstruktur weist eine besondere Vielfalt, einen sehr hohen Anteil an Klein-, Kleinst- und Nebenerwerbsbetrieben und damit — wie man bisher allgemein anzunehmen geneigt war — eine besonders günstige Angriffsfläche für die Gegner der Bauerneinigkeit auf.

Schon bei der Betriebszählung des Jahres 1951 wurden in Niederösterreich nicht weniger als 41.800 nebenberufliche Landwirte verzeichnet, die somit 30 Prozent aller in diesem Bundesland gezählten Betriebe bewirtschaften. Man geht nicht fehl in der Annahme, daß sich der Prozentsatz in den vergangenen Jahren noch sehr wesentlich erhöht hat. Mehr als die Hälfte dieser nebenberuflich geführten Betriebe sind kleiner als zwei Hektar. Ihre Bewirtschafter aber sind in ganz überwiegender Mehrheit kammerwahlberechtigt. Von den rund 94.300 hauptberuflich geführten land- und forstwirtschaftlichen Betrieben Niederösterreichs besitzen 32.900 oder 3 5 Prozent weniger als fünf Hektar. Insgesamt 67 Prozent aller niederösterreichischen Landwirtschaftsbetriebe kommen über einen Flächenbesitz von höchstens 10 Hektar nicht hinaus.

Die unter den vielfältigsten und oft schwierigsten natürlichen Verhältnissen arbeitenden Bauern Niederösterreichs haben in den vergangenen Jahren nicht nur eine revolutionäre Entwicklung in der Mechanisierung und Betriebsführung der Landwirtschaft miterlebt, auch die geistig-soziologische Struktur ihrer Umwelt ist in einem gewaltigen Wandel begriffen. Tausende Nebenerwerbsbauern gehen als „Pendler“ ihrer hauptberuflichen Tätigkeit nach, begegnen an ihrem Arbeitsplatz neuen, ihnen bisher unbekannten Ideologien, die sich ihrer mit aller Macht zu bemächtigen versuchen. Neues, fremdartiges Gedankengut wird auf diese Weise auch hinaus ins Dorf gebracht und scheint die Umwelt der Bauern geistig allmählich ebenso zu wandeln wie es soziologisch bereits geschehen ist. *

So sehen sich Niederösterreichs Bauern in ihrem Lebensbereich zwischen dem dräuenden Stacheldraht an den Ostgrenzen des Landes und den Verlockungen der Großstadt Wien und der Industriezentren einem ständigen Kleinkrieg um ihre wirtschaftliche, politische und geistige Selbstbehauptung ausgesetzt, hinter dem mit wachsender Deutlichkeit die Chancen und Gefahren eines großeuropäischen Wirtschaftsraumes für die Zukunft der Landwirtschaft sichtbar werden. Sie spüren und rechnen sich an den Fingern aus, daß ihr eigener Lebensstandard und ihre Einkommenslage — wie überall, so auch in Österreich — mit dem wachsenden Wohlstand der gewerblich-industriellen Gesellschaft nicht Schritt halten kann. Sie sind dem Zweifrontenkrieg ihrer politischen Gegner ausgesetzt, die einerseits die Erfüllung berechtigter Anliegen der Landwirtschaft — siehe Landwirtschaftsgesetzl — durch lange Zeit verhinderten und anderseits immer wieder den Versuch unternehmen, der Bauernschaft einzureden, ihre Lage sei auf ein Versagen der Bauernvertretung selbst zurückzuführen.

In dieser Situation kommt den Bauernkammer-wahlen in Niederösterreich vom vergangenen Sonntag eine eminent politische und eine höchst symptomatische Bedeutung zu. Eine Bedeutung, die für die politische Einstellung der gesamten österreichischen Bauernschaft kennzeichnend ist und auch über den neuesten Stand der Dinge eindeutig Auskunft gibt. Dies um so mehr, als sich in Niederösterreich jene Zeiterscheinungen in besonders ausgeprägter und vielfältiger Form zeigten, denen sich die Bauernschaft, die Landbevölkerung des gesamten Bundesgebietes, gegenübersieht.

Hier nun das Ergebnis der niederösterreichischen Landwirtschaftskammerwahlen vom 27. März. 1960 und die Vergleichszahlen von den bisherigen Landwirtschaftskammerwahlen in der Nachkriegszeit:

Wie beim Vergleich der Wahlergebnisse in unmißverständlichen Zahlen zum Ausdruck kommt, haben sich alle jene falschen Propheten, die sich aus der strukturellen Umgestaltung des Dorfes auch eine politisch-ideologische Umstellung des Bauernstandes erhofften, gründlich verrechnet. Es wäre auch verkehrt, das kontinuierliche Anwachsen der Bauernbundstimmen beziehungsweise' den fortgesetzten Rückgang des sozialistischen Stimmenanteils etwa auf eine Abwanderung der Nebenerwerbsbauern und der „Pendler“ zurückzuführen. Diese behalten vielmehr in überwiegender Mehrheit ihren Wohnsitz im Dorf und sind — infolge ihres, wenn auch verhältnismäßig geringen Bodenbesitzes — kammerwahlberechtigt. Somit ergibt sich aus dem Wahlergebnis eindeutig die Tatsache, daß weit über die Kreise der hauptberuflichen Bauern hinaus große Teile der Landbevölkerung — auch solche, denen es in diesem Zusammenhang weniger um die Sache der beruflichen Standesvertretung, gehtdem Bauernbund ihr, Vertrauen schenken. Sie mögen in ihm die Säule einer Volkspartei sehen, deren Solidaritätsbemühungen den Erfordernissen der Gegenwart eher und besser gerecht zu werden versprechen als Klassenkampf und Streit zwischen den Bevölkerungsund Berufsgruppen. Hieraus ergeben sich hoffnungsvolle Aspekte für die Zukunft der Österreichischen Volkspartei, die nicht übersehen und besser als bisher genützt werden sollten.

Völlig ad absurdum führt das Ergebnis der Bauernkammerwahl in Niederösterreich vom vergangenen Sonntag natürlich wieder einmal die Behauptung, der Bauernbund wäre eine Interessenvertretung der Großbauern. Diese Behauptung stellt nichts anderes als eine Mißachtung der bäuerlichen Urteilskraft dar. Rund 86 Prozent aller Landwirtschaftsbetriebe in Niederösterreich sind Kleinst-, Klein- und Mittelbetriebe, 88,8 Prozent aller niederösterreichischen Bauern-kammerwähler haben am vergangenen Sonntag dem Bauernbund ihr Vertrauen geschenkt. Diese Zahlen sprechen für sich und bedürfen keines weiteren Kommentars mehr, es sei denn, man wollte behaupten, die Bauern urteilen kurzsichtig und unüberlegt. Das jedoch wäre schlechte Bauernart.

Durch das Wahlergebnis vom 27. März 1960 ist in der Zusammensetzung der Vollversammlung der Niederösterreichischen Landeslandwirtschaftskammer insofern eine Änderung eingetreten, als sich die Zahl der dem Niederösterreichischen Bauernbund angehörenden gewählten Landeskammerräte von bisher 28 auf nunmehr 29 erhöht und die des sozialistischen Arbeits-bauernbundes von bisher vier auf nunmehr drei verringert. In den 66 Bezirksbauernkammern Niederösterreichs hat der Niederösterreichische Bauernbund insgesamt einen Zuwachs von 24 Be-zirksbauernkammermandaten zu verzeichnen, die auf sozialistischer Seite als Verlust ausgewiesen werden. Die Wahlbeteiligung betrug 91,3 Prozent. Das wesentliche Merkmal dieses Wahlganges ist der effektive Rückgang der sozialistischen Stimmen um 2245, dem der beachtenswerte Gewinn des Niederösterreichischen Bauernbundes von 6427 Stimmen gegenübersteht. Dabei kann nicht übersehen werden, daß wahrscheinlich auch ein Teil der ehemals kommunistischen Wählerstimmen diesmal dem -sozialistischen Ar-beitsbauernbund zugute gekommen ist.

Der Niederösterreichische Bauernbund hat sein Stimmenpotential von 8 5,9 Prozent im Jahre 1950 und von 86,9 Prozent im Jahre 195 5 auf 88,8 Prozent im Jahre 1960 erhöht. Dieser glanzvolle Erfolg ist ihm jedoch nicht als reife Frucht mühelos in den Schoß gefallen; er wurde in bewegter Zeit unter oft sehr schwierigen Umständen errungen, erhalten und ausgebaut. Er ist nicht nur das Zeichen erhebender Bauerntreue, großen Vertrauens und aufrichtigen Dankes für die jahrzehntelange ehrliche und unermüdliche Verfechtung bäuerlicher Anliegen; er schließt auch das von Generationen in hartem Ringen erworbene Wissen um die Bedeutung der Einigkeit und die Hoffnung auf einen gedeihlichen Weg in die Zukunft ein. Für die Bauernbund-führung, für die Funktionäre und Mandatare der politischen Bauernorganisation, beinhaltet der Vertrauensbeweis vom vergangenen Sonntag eine große Verantwortung, der sie in ihrer weiteren Arbeit mit allen Kräften gerecht zu werden trachten müssen.

Ein gewaltiges Ausmaß von organisatorischer und politischer Kleinarbeit bildet ein weiteres, wesentliches Erfolgsgeheimnis des Niederösterreichischen Bauernbundes. Er hat in den vergangenen Wintermonaten in 1669 Ortsgruppen nach vorbildlich demokratischen Grundsätzen Orts-bauernratswahlen abgehalten und dabei besonders darnach getrachtet, auch möglichst viele Vertreter der jungen Bauerngeneration zur verstärkten Mitarbeit heranzuziehen. Die Zahl der selbstlos und uneigennützig tätigen Ortsbauern-räte hat sich gegenüber 1955 von 14.587 auf 15.447 erhöht. In 546 Bauernbundortsgruppen wurden neue Ortsbauernratsobmänner gewählt. Eine aufgeschlossene und in zunehmendem Maße fachlich geschulte junge Bauerngeneration wächst bewußt und mit starkem Willen zur Mitarbeit in die Organisation des Bauernbundes hinein und verleiht ihm neue Zukunftskraft.

„Der Turm des Niederösterreichischen Bauernbundes steht wie aus dem Felsen gewachsen“ — dieses Wort Dr. Funders trifft, trotz aller inzwischen aufgetretenen und noch immer tobenden Stürme im Dorf von heute auch — und sogar in noch verstärktem Ausmaß — für die Verhältnisse des Jahres 1960 zu. Der aufrichtige Wunsch der Bauern und ihrer Vertreter wäre es, daß im Vorfeld und Windschatten dieses Turmes, der in allen anderen Bundesländern sein Ebenbild findet, Verständnis und Zusammenarbeit gedeihen mögen, echtes Solidaritätsempfinden auch dem Bauernstand und seinen Leistungen Genüge zu tun bereit ist und die unter mancherlei Krämpfen und Verwirrungen gegenwärtig vor sich gehende Veränderung der Gesellschaftsstruktur bei gegenseitiger Achtung und wachsendem Verständnis schließlich doch Österreichs Volk zu neuen Höhen führen möge.

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