wolf - © Foto: Wey

Der Wolf: Unheimlicher Partner

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Mensch und Wolf verbindet eine mythisch aufgeladene Geschichte. Warum sie die Diskussion über die Wiederkehr der Wölfe erschwert – und in Österreich eine „skandalöse Wildtierkriminalität“ zu beklagen ist. Ein Statement in einer hochemotionalen Debatte.

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Mensch und Wolf verbindet eine mythisch aufgeladene Geschichte. Warum sie die Diskussion über die Wiederkehr der Wölfe erschwert – und in Österreich eine „skandalöse Wildtierkriminalität“ zu beklagen ist. Ein Statement in einer hochemotionalen Debatte.

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Vor etwa 45.000 Jahren stießen unsere Vorfahren nach Eurasien vor: hochgewachsene, dunkelhäutige, blauäugige Jäger und Sammler, die an die Beseeltheit der Natur glaubten. Und damit an ihre Verwandtschaft mit anderen Tieren. Sie trafen auf Wölfe – wie sie selbst schnelle Laufjäger und in Familienklans organisiert. Menschen wie Wölfe kooperieren beim Jagen, beim Aufziehen der Nachkommen und bei der Abwehr von Feinden. Man begann, Wolfswelpen an der Brust mit aufzuziehen. Sie wurden zu spirituellen Partnern und spielten vielleicht auch eine Rolle in der vor 35.000 Jahren auftauchenden Mammutjagd-Kultur.

Dem Naturell dieser Leute, aber auch dem der Wölfe entsprechend, war es eine Partnerschaft auf Augenhöhe. Zahme Wölfe kooperieren hervorragend mit Menschen. Eine über Generationen schleichende Selektion dieser Partnerwölfe auf Zahmheit ließ mehrmals über Eurasien wolfsartige Hunde entstehen. Gründungsereignisse in Europa und Ostasien lassen sich noch heute an den Genen der modernen Hunde ablesen. Mit dem Sesshaft-Werden vor ca. 10.000 Jahren wurde der „Bruder Wolf“ dem Jäger und Sammler zur Gefahr. Es brauchte Hunde, um Rinder und Schafe vor ihren freilebenden Verwandten zu schützen. Jedenfalls brachten die kriegerischen anatolischen Ackerbauern, die vor 8000 Jahren die Jäger und Sammler in Richtung Nordwesten verdrängten, neben Nutztieren bereits ihre Hunde mit. Hunde begleiteten auch jene Leute, welche die Hirtenkulturen der asiatischen Steppen entwickelten. Sie hielten an ihren animistischen Vorstellungen fest und entwickelten ein fragiles Gleichgewicht in ihrer Beziehung zu den Wölfen. Die durften sogar einen Teil der Herde erbeuten.

Bis heute besorgen die Wölfe in den mongolischen „Himmelsbegräbnissen“ den Transfer der Seelen ins Jenseits. In den Gründungsmythen aller Turk-Völker spielte der Wolf eine zentrale Rolle. Dschingis Khan etwa führte seine Herkunft, seine Kriegsstrategie und die Qualität seiner Kriegspferde auf den Wolf zurück. Schon lange, bevor er Europa überrannte, taten dies erstmals vor ca. 4500 Jahren die Jamnaia-Krieger aus der Pontischen Steppe. Sie eroberten damals auch Nordindien und brachten das Pferd, die Pest, die Wurzel unserer indo-europäischen Sprache, den Werwolf-Mythos, ihre Hunde und ihre Gene.

Wundersame Wolfsverwandlung

In den Kulturen der nordamerikanischen „Great Plains“-Indianer war das Motiv der „Verwandlung in Wolf“ weiblich und fürsorglich besetzt. Das kann man vom eurasischen Werwolf-Mythos nicht behaupten: Dabei geht es immer um die Verwandlung von „Mann in Wolf“. Über die Werwolf-Kulte im antiken Griechenland wissen wir wenig; aber sogar Aristoteles lehrte im Athener Tempel des „Wolfsapollo“, und bis heute werden Kinder in Lyceen, wörtlich „Wolfsschulen“, gebildet: Verwandlung durch Vergeistigung, sozusagen. Ganz anders die Werwolf-Vorstellungen der germanischen Stämme: Hyperaggressive Berserkerkrieger mit Bären- oder Wolfsnatur gingen auf Wiking, überzogen auch zu Friedenszeiten die Nachbarn mit Mord, Plünderung und Vergewaltigung. Selbst im germanischen Götterolymp blieb der Wolf in Form des Fenris immer bedrohlich, er übernahm zur Götterdämmerung die Kontrolle. Der Fenriswolf tötete Odin – um selbst von dessen Sohn aus Blutrache getötet zu werden. Aber es war zu spät! Denn seitdem verfolgen zwei Nachkommen des Fenris Sonne und Mond, um sie eines Tages einzuholen. Der Wolf bestimmt also auch über das Ende der Welt. Die hoffentlich allerletzte Blüte dieser seltsamen Wolfs- und Werwolf-Mythen erlebte die Welt in ihrer Instrumentalisierung durch die Nationalsozialisten.

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