Die Angst vor dem stummen Frühling

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Die Bienen sterben nach der Aufnahme von Neonicotinoiden vielleicht nicht gleich, finden aber nicht mehr in ihren Stock zurück. (Christian Boigenzahn, Imker)

Die Zukunft dreier Neonicotinoide könnte eigentlich schon besiegelt sein. Doch das von der EU-Kommission vorgeschlagene Verbot für drei Wirkstoffe (Clothianidin, Imidacloprid, Thiamethoxam) wurde letzte Woche von den EU-Staaten nur erörtert. Die erwartete Abstimmung wird es nun erst Ende Mai geben.

Ein Rückblick: 1991 wurde das synthetisch hergestellte Insektizid Imidacloprid von der Firma Bayer erstmals auf den Markt gebracht. Es wurde zum Verkaufsschlager für den Pflanzenschutz und im Veterinärbereich. Andere Firmen entwickelten deshalb ähnliche Insektizide. 2009 soll der weltweite Umsatz mit sieben Neonicotinoiden von diversen Herstellern bereits rund 2,6 Milliarden Euro betragen haben.

Neonicotinoide lassen sich im Gegensatz zu anderen Insektizidgruppen auf vielfältige Weise ausbringen. Sie werden als "Saatgutbeizmittel" gegen Fraßschädlinge eingesetzt, als Spray, als Granulat oder als Zusatz zum Bewässerungswasser. Die Pflanzen nehmen sie über die Wurzeln auf und transportieren sie in die Blätter, wodurch sie vor beißenden und saugenden Insekten geschützt sind. Die Neonicotinoide wirken auf die Nervenzellen der Insekten, die dauerhaft gereizt werden. Das führt zu Krämpfen und schließlich zum Tod.

Unklarheit wegen Datenlücken

Ab Mitte der 1990er-Jahre klagten Imker in mehreren Ländern über plötzliches Massensterben ihrer Bienen, nachdem im Umkreis ihrer Stöcke gebeizte Sonnenblumenkerne oder Maiskörner ausgesät worden waren oder Rapspflanzen zu blühen begonnen hatten. Bald tauchten Vermutungen auf, dass die Bienen durch Neonicotinoide vergiftet worden waren. Auch in Österreich stellten Imker Ausfälle bei ihren Bienenvölkern fest, die sie auf diese Insektizide zurückführten.

Im Frühling 2008 kam es in der Rheinebene zu einem massiven Bienensterben. Mehr als 700 Imker mit circa 12.000 Bienenvölkern waren betroffen. Eine detaillierte Untersuchung durch vier Forschungsanstalten zeigte einen eindeutigen Zusammenhang mit der Aussaat von Mais, der mit dem Neonicotinoid Clothianidin behandelt war. Mängel an der Beizqualität des Saatguts hatten zu erhöhtem Abrieb des Beizmittels geführt, das von der Sämaschine auf angrenzende blühende Rapsfelder geblasen wurde. Die geringen Insektizidspuren im Mikrooder Nanogramm-Bereich reichten aus, um die Bienen zu töten.

Im Laufe der Jahre gab es zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen -und heftige Diskussionen zwischen Imkern und Naturschutzorganisationen einerseits und Vertretern der Landwirtschaft und Pestizidindustrie andererseits. Die zunehmende Kritik an den Neonicotinoiden beschäftigte schließlich auch die Europäische Kommission. 2013 wurde der Einsatz der drei Neonicotinoide beschränkt. Mit einer EU-Verordnung (540/2011) wurden Pestizide mit diesen drei Wirkstoffen für bestimmte Anwendungen und Kulturen verboten oder nur nach der Blüte erlaubt. 2015 kam das Thema neuerlich auf die Tagesordnung, die Beschränkungen sollten so bleiben. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA war bereits 2012 von der Europäischen Kommission mit einer Bewertung des Risikos von Clothianidin, Imidacloprid und Thiamethoxam für Bienen beauftragt worden. 2013 wurde teilweise ein hohes Risiko festgestellt, was zu den Beschränkungen führte, teilweise herrschte Unklarheit wegen Datenlücken. 2015 rief die EFSA deshalb offen dazu auf, alle relevanten Daten aus Studien, Forschung und Monitoring einzuschicken. Wissenschaftler, Imkerverbände, Chemiefirmen, Landwirte-Organisationen, NGOs und nationale Behörden folgten dem Aufruf und lieferten 1500 brauchbare Dokumente. Noch vor der finalen Bewertung schlug die EU-Kommission im Frühjahr 2017 ein Verbot für die drei Neonicotinoide im Freiland vor.

Jenseits der Honigbienen

Die EFSA analysierte die gesamte relevante wissenschaftliche Literatur: Für die Risikobewertung wurden nun auch die Auswirkungen der Neonicotinoide auf Wildbienen, Hummeln und Solitärbienen untersucht, und nicht nur auf Honigbienen. Ende Februar 2018 veröffentlichte die EFSA ihre Schlussfolgerung: Das Risiko der drei Neonicotinoide für Honigbienen und Wildbienen ist bestätigt. Zwar gebe es ein paar Bereiche mit niedrigem Risiko, insgesamt sei das Risiko jedoch für alle drei Bienenarten hoch -egal, ob die Bienen die Neonicotinoide über Pollen und Nektar, Staub oder Wasser aufgenommen hatten, sagt Jose Tarazona, Leiter der ESFA- Pestizidabteilung.

Helmut Burtscher, Umweltchemiker bei Global 2000, sieht jetzt nur eine sinnvolle Konsequenz: Der Einsatz dieser Substanzen im Freiland sollte komplett und ohne jede weitere Verzögerung verboten werden. Er nimmt jedoch an, dass Österreich eine Ausnahme für Zuckerrüben erreichen möchte, weil diese vor der Blüte geerntet werden. Allerdings ist bekannt, dass Neonicotinoide nicht nur über Pollen, sondern auch auf anderen Wegen von der Pflanze in die Umwelt gelangen, je nach Beschaffenheit des Bodens sehr lange in diesem verbleiben können und von Nachfolgekulturen aufgenommen werden. Er habe schon zwei Studien dazu gelesen, sagt Christian Boigenzahn, Geschäftsführer von "Biene Österreich", dem Dachverband der österreichischen Bienenzuchtverbände.

Global 2000 und Greenpeace haben eine Petition an Umweltministerin Elisabeth Köstinger gestartet, in der sie aufgefordert wird, für ein Totalverbote der drei Pestizide zu stimmen. Die Petition wurde bisher von mehr als 45.000 Bürgerinnen und Bürgern unterzeichnet. Helmut Burtscher befürchtet nun, dass in der EU versucht werde, auf Zeit zu spielen, um lobbyieren zu können. Christian Stockmar, Obmann der österreichischen IndustrieGruppe Pflanzenschutz, kritisierte die EFSA-Risikobewertung auch umgehend in einer Presseaussendung. Die Bewertung sei "auf Basis des 'Bee Guidance' Dokuments vorgenommen [worden], das bisher noch nicht ratifiziert wurde und daher auch nicht anwendbar sein sollte".

"Subletale" Wirkung

Die EFSA erwiderte auf Nachfrage der FURCHE, dass "die EFSA-Anleitung das aktuellste und umfassendste Dokument für die Risikobewertung von Pestiziden für Bienen ist". Christian Boigenzahn, Bio-Imker aus dem Waldviertel, kennt diese Kritik der Industrie schon: "Früher hat man nach LD50 getestet, also ab welcher Dosis sterben 50 Prozent der Bienen im Versuch. Das ist aber nicht hilfreich für die Bewertung, weil diese Nervengifte eine 'subletale' Wirkung haben." Das bedeutet: Die Bienen sterben nach Aufnahme von Neonicotinoiden vielleicht nicht gleich, finden aber nicht mehr in ihren Stock zurück, können die Brut nicht mehr richtig pflegen und dergleichen. Die langfristigen Auswirkungen seien damit also stärker, als wenn eine Biene sofort sterben würde.

Dass die Neonicotinoide nicht allein schuld sind an den ungewöhnlich hohen Bienenverlusten, die in den letzten Jahrzehnten vor allem in Europa und Nordamerika zu beobachten sind, anerkennt auch die EFSA. Pestizide, Schädlinge, Räuber, Klimawandel, Lebensraumverlust, schlechte Ernährung durch Monokulturen oder mangelnde Pflanzenvielfalt machen den Bienen und anderen Bestäubern schwer zu schaffen. Hausbienen sind dabei eher von Pestiziden betroffen, Wildbienen eher von Lebensraumverlust und Klimawandel. Der Rückhalt für die Neonicotinoide ist aber im Schrumpfen - zu groß ist die ökologische Bedeutung der Bienen.

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