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Die Atomkraft und der Frieden der Menschheit

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Daß die moderne technische Zivilisation sich in einer schweren Krise befindet, wissen heute nicht mehr allein die Romantiker. Der naive Optimismus, der gerne versichert, wie herrlich weit wir es gebracht haben, fällt selbst seiner Avantgarde, den amerikanischen Finanziers und Industriellen, nicht mehr ganz leicht. Die Atomkraft, deren Entdeckung den Gipfel der naturwissenschaftlichen Errungenschaften des menschlichen Geistes darstellt, läßt die Problematik der abstrakten Naturbeherrschung erkennen, die sich der sittlichen Ueberwachung entwunden hat. Der Mensch als ökumenische Einheit erweist sich unfähig, in seine herrscherliche Zucht zu nehmen, was der Mensch als isolierter Wissenschaftler, Techniker und Politiker bereitgestellt hat.

Dabei handelt es sich durchaus nicht nur um das Wettrüsten zweier Weltmächte in Atom- kraft-Monsterwaffen, das die Existenz der Zivilisation gefährdet. Darin offenbart sich nur das erschreckendste Symbol der Situation. Denn auch wenn aus diesem Wettrüsten die Katastrophe nicht entspringt, so bietet das vorläufige Nichtlosgehen der aufgestapelten Explosionsstoffe, ja böte sogar die bloße Verständigung ausschließlich darüber längst keine Sicherheit mehr, daß die entfesselte Atomkraft nicht auch auf anderen, krummeren Wegen das Schicksal der Menschheit bedroht. Es gibt weitaus schlimmere Gefahren, der Atomkraft immanent, als das traditionelle Wettrüsten von Ost und West in A- und H-Bomben. Die Atomkraft selbst ist noch ungebändigt, auch wenn morgen durch ein Wunder alle vorhandenen Bomben vernichtet und keine neuen mehr erzeugt würden. Erst die Bereitschaft zur gemeinsamen Bändigung der Atomkraft als solcher macht eine Verständigung über die Atomkraftwaffen sinnvoll, wenn nicht überhaupt allein möglich.

Man ist sich in jüngster Zeit immer klarer geworden, daß bereits die Häufung von Atomexperimenten in beiden Hemisphären, die bisher das erste Hundert noch nicht erreicht haben, ein wachsendes Gefahrenmoment für die gesamte Erdoberfläche bedeutet, da nach jedem Experiment jeweils die Radioaktivität in der Atmosphäre zunimmt. Nach jeder neuen Explosion pflegen die minuziösen modernen Instrumente, welche die Radioaktivität messen, eine Zunahme derselben auch in großen Entfernungen vom Explosionsherd festzustellen. Regen und Schnee erweisen sich oft als radioaktiv. Nach herrschender Auffassung handelt es sich dabei immer nur um eine „harmlose" Erhöhung der Radioaktivität, die alsbald wieder verschwindet. Doch weiß im Grunde niemand Genaues darüber. Wohl aber ist man heute davon überzeugt, daß ein paar tausend Atomexplosionen, vor allem in einer Kette, die Erdoberfläche dauernd verseuchen können (wie der englische Nobelpreisträger Dr. Edgar Douglas Adrian erst vor kurzem festgestellt hat, was auch von Winston Churchill im House of Commons in etwas konfuser Form aufgegriffen worden ist). Ein englischer Atomfachmann, der in Wien darüber sprach (Sir George Thomson), hat betont, daß zwar die alte Furcht vor einer Selbstexplosion der Welt (die Max Planck schon 1942 äußerte) nicht begründet ist, daß aber die Selbstverseuchung der Welt durch die bereits heute gegebene H-Bombe im Bereiche der Möglichkeit liegt (von der vorläufig noch theoretischen Kobaltbombe ganz zu schweigen). Wo freilich die Gefahrengrenze beginnt, weiß niemand. Wenn man heute einige tausend Atomexplosionen fürchtet, so mag morgen eine bessere Erkenntnis vielleicht schon ein paar hundert Atomexplosionen als überaus folgenschwer ansprechen. Auch ohne exakte Berechnungsgrundlage, welche unmittelbare Schädigungen zu beweisen vermag, wird man sagen müssen, daß die Häufung von Atomexperimenten auch ohne eigentliche Atomkatastrophe eine bisher unbestimmbare Wirkung auf das organische Leben in einem immer weiteren Umkreis auszuüben vermag.

Daß die Radioaktivität um so gefährlicher wird, je näher man sich dem Explosionsherd gegenüber befindet, hat auch bisher schon niemand angezweifelt. Aber erst die letzten amerikanischen Experimente auf den Marschallinseln haben bewiesen, daß es nicht nur in einem Umkreis von 100 Meilen gefährliche Verletzungen, sondern auch in einem solchen von 2000 Meilen noch immer keine vollkommene Sicherheit geben kann. Das

Schicksal der japanischen Fischer, auf deren Sampan sich der radioaktive Aschenregen als die Wirkung eines solchen Experimentes nieder- ließ, hat nicht nur in Japan mit seinen sensitiven Erinnerungen berechtigte Erregung hervorgerufen. Die radioaktiven Thunfische, Stapelnahrung der Japaner die von diesen und anderen Fischern heimgebracht wurden und die offenbar eine vom Plankton aufsteigende radioaktive Verseuchung weiter Strecken des Pazifischen Ozeans anzeigen, lassen erkennen, wie gefährlich die Lage für viele Inselvölker werden kann. Auch hier weiß niemand, wo die Gefahrenzone beginnt. Die Erfahrungen mit anderen Giftstoffen wie den modernen Insektiziden, die auch für „harmlos“ gelten, ohne es zu sein (siehe meine Studie „Die geistige Gestaltung des biologischen Schicksals“ in der Münchener Zeitschrift „Die Heilkunde“, Juni 1954), sprechen dafür, daß auch schon diejenige Radioaktivität in Atmosphäre und Ozean, die nach heutiger Auffassung unterhalb der offensichtlichen Gefahrenzone liegt, vor allem bei Dauerexponierung als Folge gehäufter Atomexplosionen, ebenfalls bereits Schädigungen nach sich zieht, die man vielleicht erst nach längerer Zeit wird feststellen können.

Theoretisch sicher steht (auf Grund biologischer Experimente mit Versuchstieren), daß sämtliche physikalischen Strahlungen, darunter vor allem die Atomstrahlung, Veränderungen in der Erbsubstanz bewirken, die zu Monsterbildungen führen können (wie zuerst der deutschamerikanische Nobelpreisträger Hermann Joseph Müller festgestellt hat). Der moderne Großstaat mit weltweiter Verantwortung, der gigantische Summen für die Atomwaffen ausgibt und dessen Wissenschaftler auf hunderten damit zusammenhängenden Gebieten experimentieren, hat bisher dem Problem der Schutz- und Gegenmittel gegen die Wirkungen der Radioaktivität auf den menschlichen Organismus in kurzer oder langer Sicht das geringste Augenmerk geschenkt. Im Falle des Atomkrieges wird über die phantastische, nackte Zerstörung hinaus, durch die eine Stadt wie New York mit einer einzigen- H-Bombe erledigt werden kann, die Verseuchung eines viel weiterreichenden Gebietes (vielleicht bis zu einem Radius von 30 Meilen) ein zusätzliches Uebel mit vielleicht noch nachhaltigeren Folgen sein, wenn es über seine räumliche Ausdehnung hinaus in zeitlicher Staffelung das Schicksal der noch ungeborenen Generationen in Mitleidenschaft zieht.

Daneben scheint ein anderes, bisher ungelöstes Problem des Atomzeitalters auf den ersten Blick wirklich harmlos zu sein. Daß es bisher keine Methode gibt, die radioaktiven Abfallprodukte zu denaturieren, erscheint zwar als eine Verlegenheit, aber von keiner besonderen, schicksalshaften Tragweite. Man hat bisher diese Abfallprodukte in Metall- und Zementumhüllung ins Meer versenkt. Dagegen sind allerdings Bedenken laut geworden, da niemand weiß, was eintreten wird, sobald erst einmal das Meereswasser diese Hüllen zersetzt haben wird. Man hat daher sogar die Idee ventiliert, die Abfallprodukte in den Weltraum hinauszuschießen. Dabei handelt es sich bisher nur um geringe Quantitäten, die sich allerdings ins Ungemessene vermehren müßten, wenn die ganze In-

dustrie eines Landes oder gar der Welt auf die Atomkraft umgestellt würde. Hier stoßen wir auf ein Problem, aufgegeben von dem unvermeidlichen Nebenprodukt der Friedensverwendung der Atomkraft, das, wenn es nicht auf internationalem Wege gelöst wird, in sich selbst alsogleich wieder eine neue Friedensbedrohung darstellt. Denn die angewendete Methode des Abstoßens der radioaktiven Abfallprodukte kann im Interesse aller Völker oder nur einiger von ihnen liegen, ganz wie ehedem die Herrschaft über die Meere, und damit auch über die unaufgeschlossenen Erdteile, einige Nationen begünstigte, andere aber benachteiligte

Dazu kommt noch die ganz besondere Gefahr, die in der möglichen kriegsmäßigen Verwendung auch der radioaktiven Abfallprodukte liegt. Man könnte sich idealer vorstellen, daß jede Produktion von Atomkraft-Monsterwaffen mit einem Schlag aufhört und daß sogar die richtigen technischen Methoden gefunden werden, um alle bisher aufgetauchten Atomprobleme in wechselseitiger Verständigung zu liquidieren. Aber auch wenn es daraufhin bei der striktesten Friedensverwendung der Atomkraft verbliebe, diese aber nach einigen Jahrzehnten tatsächlich alle anderen technischen Kräfte zu ersetzen vermochte, so läge gerade in der friedensmäßigen Atomindustrie selbst wegen ihrer radioaktiven Abfallprodukte ein unabschätzbares Kriegspotential (wie zuerst Hans Thirring erkannt hat).

Diese latenten Kriegsmittel, die einer eigenen Produktion gar nicht erst bedürfen, vielmehr ein Nebenprodukt der normalen Atomkraft-Friedensproduktion wären, könnten als Sand, Staub, Regen, Gas, Wolken kriegsmäßig eingesetzt werden, und zwar mit einem Minimum an Vorbereitung, das ein Maximum an Ueberraschung einschlösse. Dieser „radiologische“ Giftstoff für die Massenvernichtung, ein Zusatz zur Atmo- späre oder Todesregen, wäre ein Kriegspotential, mit dem verglichen die Atomkraft-Monsterwaffen, ihre Erzeugung und ihr Einsatz in die Weltdiplomatie, die wir heute erleben, ein harmloses Vorspiel bedeuten würde. Niemand, der die Gedanken der Menschen kennt, kann sagen, daß nicht gerade die automatische, unsichtbare, billige Bereitstellung der radioaktiven Abfallprodukte, ihr Anwachsen ins Unendliche und die Verlegenheit, die ihre Abstoßung bereitet, die allergrößte Versuchung wären, sich ihrer in einer Weise zu bedienen, die einer unternehmerischen Minderheit die Weltherrschaft zu verheißen scheint. Dieses innerste Wesen der Atomkraft in ihrem heute gegebenen technischen Zustand (der gewiß auch einmal ein anderer werden könnte), wodurch eine im geheimen planende Minderheit noch viel weiter reichende zerstörerische Möglichkeiten besitzt als ein vor aller Welt den nächsten Krieg vorbereitendes großes Volk, ist eine Zivilisationsgefahr ersten Rangei. Es ist eine Blasphemie, die Atomkraft, wie sie heute ist (und noch lange sein wird), als ein „Geschenk Gottes“ mit den Früchten dieser Erde und den sittlichen Schöpfungen des menschlichen Geistes in einem Atem zu nennen. Diese ihre innerste Natur macht es unumgänglich nötig, daß die Atomkraft durch den ökumenischen Menschen diszipliniert und domestiziert wird, bevor sie in der Hand des isolierten Menschen in Konkurrenzkampf und Massenverwendung zum Mittel der abstrakten Zerstörung wird.

(Ein zweiter und dritter Aufsatz folgen.)

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