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Die Atomwaffen nieder!

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Anmerkungen anlässlich der Tagung des Vorbereitungskomitees zur Überprüfung des Atomwaffensperrvertrages vom 27. April bis 8. Mai in Genf.

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Anmerkungen anlässlich der Tagung des Vorbereitungskomitees zur Überprüfung des Atomwaffensperrvertrages vom 27. April bis 8. Mai in Genf.

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Ermöglicht wird die Abschaffung der Atomwaffen erst dadurch, daß in den Völkern eine öffentliche Meinung entsteht, die sie verlangt und garantiert Die dazu erforderliche Gesinnung kann nur durch Ehrfurcht vor dem Leben geschaffen werden.
(Albert Schweitzer, 1963)

Atomwaffen sind wie chemische und bakteriologische Waffen Massenvernichtungswaffen. Sie dienen zur Ermordung von Zehntausenden bis Millionen von Menschen, überwiegend Zivilpersonen. Bereits die beiden 1945 über Japan abgeworfenen „kleinen" Bomben (Sprengkraft zwischen zehn und 20 Kilotonnen TNT) forderten je über 100.000 Todesopfer. Trotz der Begrenzung und Reduzierung der Nuklearwaffenarsenale durch so wichtige Verträge wie SALT 1, SALT 2, INF, STABT 1 und STABT 2 würden die derzeit vorhandenen über 30.000 Atomsprengköpfe immer noch ausreichen, um die gesamte Erde 160mal zu zerstören.

Während zum Verbot chemischer und bakteriologischer Waffen internationale Konventionen in die Wege geleitet wurden, gibt es für Atomwaffen nur den Atomwaffensperrvertrag (Nicht-Verbreitungs-Vertrag oder Non Proliferation Treaty, NPT) und seit 1996 den Internationalen Vertrag über ein Umfassendes Verbot von Kernwaffenversuchen (Comprehensive Test Ban Treaty, CTB'I), dessen Gültigkeit allerdings erst eintritt, wenn er von 40 im Vertrag namentlich festgelegten Staaten ratifiziert wurde (die Kontrollbehörden für beide Verträge befinden sich in der Wiener UNO-City).

Wirksame Kontrolle

Im Atomwaffensperrvertrag verpflichten sich die atomwaffenfreien Staaten unter internationaler Kontrolle dazu, keine Atomwaffen zu erzeugen und zu stationieren, die Atomwaffen-Staaten dazu, keine Waffen an atomwaffenfreie Staaten weiterzugeben. In Artikel VI heißt es ferner: „Jede Vertragspartei verpflichtet sich, in redlicher Hinsicht Verhandlungen zu führen über wirksame Maßnahmen zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens in naher Zukunft und zur nuklearen Abrüstung unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle." Bei der letzten NPT-Überprüfungskonferenz im Jahr 1995 wurden folgende Maßnahmen als Schritte zu einer Verwirklichung von Artikel VI ins Auge gefaßt, aber noch nicht bindend vereinbart:

  • Abschluß eines Vertrags über einen umfassenden Kernwaffenteststopp (1996 realisiert);
  • Verhandlungen über ein Verbot der Erzeugung von spaltbarem Material;
  • Schaffung von weiteren atomwaffenfreien Zonen zur Festigung von Frieden und Sicherheit;
  • Weiterer Kernwaffenabbau und Eliminierung aller Kernwaffen durch eine Konvention (d. h. ein internationales Abkommen über ein Atomwaffenverbot mit dazugehörigen Verifizierungs- und Kontrolleinrichtungen).

Ferner gibt es ein Erkenntnis des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag vom 8. Juli 1996, demgemäß Androhung und Einsatz von Atomwaffen dem Internationalen Becht (Völkerrecht) widersprechen. In diesem Urteilsspruch fordert der Internationale Gerichtshof auch die Atomwaffenstaaten auf, ihrer Verpflichtung aus Artikel VI des Atomwaffensperrvertrags nachzukommen, rasch Schritte zu einem Atomwaffenabbau bis zur vollständigen Eliminierung zu führen.

Atomwaffen sind also völkerrechtswidrig, widersprechen jeder menschlichen Ethik, stellen ein hohes Gefahrenpotential und Sicherheitsrisiko dar, sind sehr teuer und außerdem militärisch ein Nonsens, da eine Siegermacht nach einem Atomkrieg in ein total verseuchtes Gebiet einziehen würde, und da diese Waffenart zur Terrorismusbekämpfung völlig ungeeignet ist. Meinungsumfragen in NATO-Staaten ebenso wie in Rußland und in atomwaffenfreien Staaten zeigten, daß starke Mehrheiten der Bevölkerungen sich für ein Atomwaffenverbot aussprechen.

Während die Staaten der südlichen Hemisphäre aus der Erkenntnis, daß eine Zukunft ohne Atomwaffen sicherer ist, die Konsequenz zogen und in den letzten Jahren ihre Kontinente und Länder in den Verträgen von Tlatelolco, Pelindaba und Barotonga zu atomwaffenfreien Zonen erklärten, fehlen derartige Verträge in den nördlichen Industriestaaten, insbesondere in Europa (ein Staat, in dem sich keine Atomwaffen befinden, ist noch keine Atomwaffenfreie Zone nach Internationalem Becht und unter UNO-Kontrolle).

Nuklear-Doktrinen

Während vor der Wende das atomare Wettrüsten zwischen NATO und Warschauer Pakt die europäische Bevölkerung in Angst vor einem Atomkrieg versetzte und viel Protest im Osten wie im Westen hervorrief, ist heute ein beabsichtigter atomarer Krieg in naher Zukunft nicht zu befürchten. Die geringere momentane direkte Betroffenheit der Bevölkerung hat aber auch zum Teil eine geringere Motivation und Bereitschaft zur Folge, sich für ein Atomwaffenverbot zu engagieren. Längerer Bestand, Weiterentwicklung und -Verbreitung von Atomwaffen steigern jedoch die Gefahr mit der Zeit enorm. Der Warschauer Pakt hat sich aufgelöst, und in Osteuropa wurden in der Folge zwölf Staaten (Estland, Lettland, Litauen, Polen, die ehemalige DDB, Tschechien, die Slowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Belarus und die Ukraine) atomwaffenfrei. Aber die NATO unternahm ihrerseits keinen vergleichbaren Schritt in Westeuropa, widersetzt sich zudem bisher der Initiative zur Schaffung einer atomwaffenfreien Zone, und will sich sogar das Becht vorbehalten, in bislang atomwaffenfreien oder eben atomwaffenfrei gewordenen künftigen Mitgliedsstaaten nach Gutdünken Atomwaffen zu stationieren. Daß dies nicht im Interesse der europäischen Sicherheit sein kann und den Intentionen des Atomwaffensperrvertrags widerspricht, liegt auf der Hand. Natürlich steht außer Zweifel, daß Europa eine neue Sicherheitsstruktur benötigt, und daß darin auch alle osteuropäischen Staaten eingebunden werden müssen, aber solange die gültige Doktrin der NATO immer noch die „atomaren Altlasten" aus der Zeit des Kalten Kriegs enthält, ist sie dafür nicht geeignet; das gleiche gilt natürlich auch für eine russische Atomwaffendoktrin. Die Nuklear-Doktrin der NATO wurde zwar nach dem Fall der Berliner Mauer zweimal revidiert, aber in einem Kommunique der NATO vom Dezember 1996 heißt es: „Wir bekräftigen, daß die Atomstreitkräfte der Alliierten weiterhin eine einzigartige und wesentliche Bolle in der Strategie der Allianz zur Kriegsverhinderung spielen."

Grund zur Hoffnung

Aber es gibt auch Grund zur Hoffnung:

  • Zahlreiche NATO-Generäle und russische Generäle im Ruhestand, darunter General Lee Butler (von 1992 bis 1994 Chef des US-Strategischen Kommandos mit Verantwortung über die gesamten Luftstreitkräfte und die Marine, wesentlich beteiligt an der Entwicklung der Atomwaffendoktrin der USA), treten heute für ein Atomwaffenverbot ein und engagieren sich in internationalen Kampagnen für die Umsetzung des Weltgerichtshofurteils. (Müssen Generäle erst in Pension gehen, um sich so engagieren zu können?) Ebenso sprachen sich der frühere Außenminister John F. Kennedys, Robert McNamara, und der kanadische Außenminister Lloyd Axworthy für eine Atomwaffenkonvention aus.
  • 1996 forderten die Parlamentariervertreter der 51 OSZE-Staaten in der Schlußresolution bei der Jahreshauptversammlung in Stockholm erstmals die Schaffung von atomwaffenfreien Zonen als wesentlichen Bestandteil eines künftigen Sicherheitssystems für Europa.
  • Ein vom früheren australischen Premierminister Paul Keating angeregtes internationales Expertengremium aus Wissenschaftern, Offizieren, Politikern und Diplomaten, die „Canberra Commission on The Elimination of Nuclear Weapons", die zuletzt 1996 in Österreich tagte, erarbeitete einen Bericht mit konkreten schrittweisen Vorschlägen für Maßnahmen der atomaren Abrüstung samt Verifizierung und internationaler Kontrolle.
  • Malaysia stellte bei der UNO einen Antrag, in dem Maßnahmen zur Einhaltung des oben zitierten Urteils des Internationalen Gerichtshofs gefordert werden. Während die große Mehrheit aller Staaten den Antrag unterstützte, stimmten die Atomwaffenstaaten und die übrigen NATO-Staaten dagegen. (Bedauerlicherweise übte Österreich nur Stimmenthaltung; Schweden und Irland etwa stimmten dafür.)
  • Diverse Nichtregierungsorganisationen (NGOs) begründeten das sogenannte Netzwerk „Abolition 2000", dessen Vertreter auch in diesen Tagen im Rahmen der Tagung der Vorbereitungskommission in Genf ihre Vorschläge unterbreiten werden.

Österreichs Rolle?

Es gibt also ausreichend wissenschaftliche Studien, konkrete Vorschläge, Initiativen, Urteile. Es fehlt nur der politische Wille, sie umzusetzen. Die Parlamentarier in den Staaten Europas, die großen Religionsgemeinschaften, internationale Wissenschafter-Konferenzen, Jugendorganisationen usw. sind hier herausgefordert, öffentlich Stellung zu beziehen und ein Atomwaffenverbot zu fordern. Auch Österreich könnte hier eine aktivere Bolle spielen. Die nächsten Generationen würden es ihm danken.

Die Geschichte lehrt uns, daß die meisten Initiativen (so auch die für ein Atomwaffentestverbot oder die für ein Verbot von Landminen) von einigen wenigen NGOs ausgingen, denen man anfangs noch große Hindernisse in den Weg legte, bis es zum politischen Durchbruch kam. Es ist sicher ein Weg, der viel Geduld erfordert, aber wir haben keinen besseren.

Der Autor ist Präsident der österreichischen Sektion der 1PPNW (Internationale Arzte für die Verhütung des Atomkrieges), die sich OMEGA (Österreichische Mediziner gegen Gewalt und Atomgefahren) nennt. Der IPPNW gehören nationale Ärztevereinigungen mit ca. 150.000 Mitgliedern in allen Atomwaffenstaaten sowie in ca. 70 atomwaffenfreien Staaten an. Die IPPNW ist Trägerin des UNESCO-Friedenspreises und des Friedensnobelpreises.

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