Die Behinderung annehmen

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Der neue Behindertenanwalt Erwin Buchinger über die massive Kritik an seiner Bestellung, das Leben mit einem behinderten Sohn und die Lehren, die er daraus für sein neues Amt ziehen will. Er wehrt sich dagegen, als Angehöriger eines Menschen mit Beeinträchtigung abqualifiziert zu werden, und sieht Franz-Joseph Huainiggs Klage gelassen entgegen. Das Gespräch führte Regine Bogensberger

Seinen Job-Antritt hat sich Erwin Buchinger auch anders vorgestellt: Franz-Joseph Huainigg, der auch Behindertenanwalt werden wollte, will ein Schlichtungsverfahren anstrengen, weil er sich diskriminiert fühlt (s. Kasten).

Die Furche: Herr Buchinger, Sie müssen nun fürchten, Ihr Amt, das Sie eben erst antreten, wieder zu verlieren. Was sagen Sie zu Huainiggs Vorgehen?

Erwin Buchinger: Herr Huainigg nimmt die ihm zustehenden Rechte nach dem Behindertengleichstellungsrecht wahr. Das ist zu akzeptieren.

Die Furche: Warum, glauben Sie, haben Sie den Posten bekommen?

Buchinger: Ich bin mein ganzes Leben im Bereich Arbeitsmarkt und Sozialpolitik beruflich und politisch tätig gewesen. Ich glaube, dass niemand ernsthaft an meiner fachlichen Qualifizierung zweifeln kann. Kritik gab es wegen meiner persönlichen Eignung, da ich selber nicht behindert bin. Aber ich habe einen behinderten Sohn. Ich habe Erfahrungen gemacht, die Eltern behinderter Kinder von klein auf machen und die sehr prägend sind und wichtig für das Verständnis. Von daher habe ich diese Kritik ernst genommen. Ein Teil der Kritik war aber politisch motiviert, das war vorauszusehen.

Die Furche: Ein Behindertenanwalt, der selbst behindert ist, wäre doch ein starkes Signal gewesen?

Buchinger: Ich sehe das problematisch in Bezug auf die Signalwirkung gegenüber Angehörigen von Menschen mit Behinderungen. Auch im Behindertengleichstellungsgesetz ist der Diskriminierungsbegriff ein breiter, der auch die Angehörigen von Behinderten erfasst. Warum gerade ein Vertreter einer Behindertenorganisation – Herr Martin Ladstätter von Bizeps – das kritisiert, hat mich verwundert. Was mich gefreut hat, ist, dass es eine Einzelmeinung ist. Der Vertreter der Behindertenorganisationen in der Kommission hat ebenfalls für mich votiert.

Die Furche: Was waren für Sie als Vater eines behinderten Sohnes die prägendsten Erfahrungen?

Buchinger: Mein Sohn ist seit Geburt behindert, er hat eine schwere Behinderung und wird nun von der „Lebenshilfe“ betreut. Der erste wichtige Lernschritt war, die Behinderung meines Sohnes überhaupt anzunehmen. Alle Eltern wünschen sich ein gesundes Kind und sind dann möglicherweise mit einem behinderten Kind konfrontiert. Man muss lernen, dass die Unterscheidung zwischen gesunden Kindern und behinderten Kindern eine willkürliche und unwichtige ist. Das war eine ganz wichtige Lernerfahrung, das hat durchaus bei mir gedauert.

Die Furche: Haben Sie schon vor der Geburt von der Behinderung erfahren?

Buchinger: Nein. Die Behinderung war auch nicht unmittelbar nach der Geburt erkennbar, erst 14 Tage nach der Geburt wurde die Diagnose der Behinderung gestellt. Richtig annehmen konnten wir diese erst, als wir gesehen haben, dass unser Sohn bei den normalen Entwicklungsschritten stark verzögert war. Das war die zweite Lernerfahrung: der mühsame Kampf um eine optimale medizinische Betreuung und Therapie. Österreich ist zwar ein Sozialstaat mit ausgebauten Unterstützungsstrukturen. Es ist dennoch schwer für Eltern eines behinderten Kindes, das Optimum an Förderunterstützung zu erreichen. Die dritte Lernerfahrung war jene der Segregation und Trennung …

Die Furche: … etwa im Bereich Bildung …

Buchinger: Mein Sohn wurde 1981 geboren, damals war Integration noch nicht so selbstverständlich und verankert in Kindergarten und Schule wie heute. Wir mussten um einen integrativen Kindergarten- und Schulplatz kämpfen. Dann die Frage der Arbeitsintegration. Das ganze Leben verläuft anders. Auch heute noch sind wir für unseren 28-jährigen Sohn die wichtigsten Bezugspersonen, andere Sozialkontakte sind schwierig. Das werden auch meine Schwerpunkte als Behindertenanwalt sein: Integration in Bildung, Freizeit, Arbeit, und neue Rollenbilder für behinderte Menschen in der Gesellschaft.

Die Furche: Wenn wir zurückgehen zum Lebensbeginn. Eltern wissen heute durch Pränataldiagnostik in manchen Fällen schon vor der Geburt von einer Behinderung. Wie stehen Sie zum schwierigen Problemfeld unter dem Stichwort „Schadensfall Kind“?

Buchinger: Es darf keinen Unterschied im Recht auf Leben geben, daher habe ich ein großes Problem mit der sogenannten eugenischen Indikation (die Möglichkeit, ein behindertes Kind bis zur Geburt abtreiben zu lassen, Anm.). Ich halte das für eine Diskriminierung, die aus meiner Sicht unerträglich ist!

Die Furche: Wie könnte man die Integration in Bildungseinrichtungen verbessern?

Buchinger: Hier gibt es auf vielen Ebenen Verbesserungsbedarf. Etwa im Bereich Kindergartenbesuch. Ich halte es für fatal, dass bei der 15a-Vereinbarung zum verpflichtenden Kindergartenjahr Behinderung als Grund angeführt wird, warum Kinder den Kindergarten nicht besuchen müssen. Das ist diskriminierend; das müsste durch eine inklusive Formulierung ersetzt werden, dass umso größere Anstrengungen gemacht werden, um die Teilhabe behinderter Kinder am sozialen Leben und an Bildung zu ermöglichen.

Die Furche: Wo ansetzen, um Integration am Arbeitsplatz voranzutreiben?

Buchinger: Da gibt es viele Ansatzpunkte, keinen Königsweg. Es müsste ein Mix sein aus einer Verstärkung des gesellschaftlichen Bewusstseins, auch bei den Unternehmen, und Förderangeboten, etwa mehr Unterstützungsstrukturen in Betrieben, um mit derartigen Arbeitssituationen auch fertigzuwerden. Mir schwebt als mittelfristiges Ziel ein handfester nationaler Aktionsplan vor, der umfassend vom Kindergarten bis zur Unterbringung in Senioreneinrichtungen Etappenziele entwickelt. Das wäre eine Vision, die man auch in Österreich in fünf bis zwölf Jahren erreichen kann.

Die Furche: Sie können als Behindertenanwalt nach heutigem Jobprofil Betroffene beraten und unterstützen und in der Öffentlichkeitsarbeit mitwirken, Aktionspläne können Sie nicht initiieren. Wollen Sie mehr Kompetenzen für das Amt?

Buchinger: Es wäre ideal, wenn der Behindertenanwalt selbst Vorschläge für gesetzliche Änderungen einbringen könnte. Auch sollte ein Vertretungsrecht für einzelne behinderte Menschen eingeräumt werden. Es gäbe noch eine Fülle von Erweiterungen.

Die Furche: Das Behindertengleichstellungsgesetz 2006 soll auch evaluiert werden. Was würden Sie vor allem reformieren?

Buchinger: Der Schadenersatzanspruch müsste aus meiner Sicht durch einen Unterlassungsanspruch ergänzt werden. Das heißt, dass eine Barriere entfernt, nicht nur ein Schadenersatz geleistet werden muss.

Die Furche: Wie könnte das gesellschaftliche Bewusstein stärker verändert werden?

Buchinger: Meine Erfahrung ist, dass sich hier in den letzten zehn bis 20 Jahren schon viel verändert hat. Ich bin immer wieder überrascht, wenn ich in den USA oder England mit meinem Sohn auf Urlaub bin. Man ist dort im Umgang mit Menschen mit Beeinträchtigungen viel offener als in Österreich. Bei uns gibt es immer noch in vielen Fällen ein Wegschauen oder Mitleid. Aber davon haben Betroffene nichts. Sie wollen Akzeptanz und Rahmenbedingungen, damit sie selbstständig und eigenverantwortlich damit umgehen können.

Die Furche: Worauf führen Sie das zurück?

Buchinger: In den angelsächsischen Ländern ist die Fürsorge weniger ausgeprägt, Behindertenrechte sind stärker über Konsumenten- und Bürgerrechte verankert. Mein Idealbild wäre, dass kollektive Regeln, die es bei uns gibt, durch individuelle Bürgerrechte nicht ersetzt, aber ergänzt werden. Das ist auch der Weg, der auf europäischer Ebene, angelehnt an UN-Konventionen, gegangen wird.

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