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Die Calmeiieimpfung gegen Tuberkulose

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Die Tuberkulose ist auch heutzutage noch eine ernste und gar nicht so selten auftretende Krankheit. Ihre Bekämpfung ist ein außerordentlich wichtiges Problem, wenn man bedenkt, daß noch vor vier Jahren von 100 Todesfällen 7 durch eine tuberkulöse Erkrankung verursacht wurden oder daß Ende 1950 in Österreich rund 83.000 Menschen, davon mehr als

37.0 in Wien, in Überwachung einer Tuberkulosefürsorgestelle standen. Freilich können Seuchen heute dank den Fortschritten der Medizin und den gesetzlichen Maßnahmen bei uns nie so eine verheerende Rolle spielen wie in früheren Zeiten, und trotzdem erkranken in einem Vierteljahr in östereich an Lungen- und Kehlkopftuberkulose 1654 Personen, an Tuberkulose anderer Organe 327 Menschen. Wohl steht die Tuberkulose der Atmungsorgane der Häufigkeit nach an der Spitze, aber auch alle anderen Organe oder Organsysteme können von dieser Krankheit ergriffen werden, zum Beispiel Knochen, Gelenke, Darm; auch gibt es eine Nieren- und Blasentuberkulose oder eine tuberkulöse Hirnhautentzündung. Nun ist oftmals die Tuberkulose eine sehr langdauernde Krankheit, man kann mit wenigen Behandlungen oder durch einen kurzen Spitalsaufenthalt so eine Erkrankung kaum wesentlich bessern oder ausheilen, im Gegenteil, es sind oft monatelange Aufenthalte in Heilstätten erforderlich. So ist nicht nur die menschliche und medizinische Seite des Tuberkuloseproblems, sondern auch die volkswirtschaftliche Bedeutung zu berücksichtigen. Aus all dem geht hervor, daß vorbeugende Maßnahmen auf jeden Fall die beste der vorhandenen Behandlungsmöglichkeiten darstellen und daß besonders einer Schutzimpfung die allergrößte Bedeutung zukommt.

Das Ziel jeder Impfung ist die Immunität, also die Unempfindlichkeit des Menschen gegenüber einer Infektion beziehungsweise gegen den Erreger einer ansteckenden Krankheit. Diese Immunität erreicht man dadurch, daß man bestimmte Mengen von lebenden oder abgeschwächten Keimen oder schon abgetötete Krankheitserreger, gelegentlich auch deren Stoffwechselprodukte, in den menschlichen Körper bringt. Alle diese sind als sogenannte Antigene wirksam, indem sie die Bildung von Antikörpern im menschlichen Organismus hervorrufen; die Antikörper sind jene Schutzstoffe, welche die geimpfte Person vor einer Ansteckung mit dem Krankheitserreger bewahren. Zugleich sei aber bemerkt, daß ein Mensch auch ohne Impfung, auf natürlichem Weg, in den Zustand der Immunität gelangen kann, wenn er zum Beispiel an Masern oder Keuchhusten erkrankt war; das Überstehen dieser Krankheit schützt in den allermeisten Fällen vor nochmaliger Erkrankung. Ebenso ist es auch möglich, bereits fertige Antikörper einem Individuum zuzuführen. Diese sogenannte passive Immunisierung, wie sie etwa das Diphtherieheilserum darstellt, hält allerdings weniger lang an als die aktive.

Die Calmette-Schutzimpfung ist eine aktive Immunisierung mit einer besonderen Sorte von Tuberkelkeimen, die durch Züchtung gewonnen wurde. Calmette kultivierte den originalen bovinen Tuberkelstamm 18 Jahre lang auf einem bestimmten Nährboden, bis er seine pathogenen, das heißt krankmachenden Eigenschaften verloren hatte. Der Bazillus Calmette-Guerin hat eine so geringe Virulenz, daß er absolut harmlos ist und nur mehr als Antigen wirksam ist; diese Eigenschaften wurden 10 Jahre lang experimentell und im Tierversuch überprüft. Bei der Schutzimpfung wird nun eine Aufschwemmung dieser Bazillen in den menschlichen Körper gebracht, worauf innerhalb von vier bis sechs Wochen die schon erwähnten schützenden Antikörper entstehen. Fieber oder Allgemeinerscheinungen kommen nach der Impfung nicht vor, der Impfschutz hält bei mehr als 90 Prozent der Geimpften vier bis fünf Jahre nach der Impfung an. Bevor man die Tuberkuloseschutzimpfung durchführt, überzeugt man sich aber, ob nicht schon eine natürliche Immunität besteht. Manchenorts sind nämlich bestimmte Altersgruppen bis zu 80 Prozent in ihrem früheren Leben irgendwie mit Tuberkelkeimen in Berührung gekommen, haben oft eine Tuberkulose ohne große Erscheinungen durchgemacht und besitzen nun Abwehrstoffe in ihrem Organismus. Diese Immunkörper kann man durch die Tuberkulinprobe nachweisen. Das Tuberkulin ist ein Stoff, der durch abgetötete Tuberkelkulturen gewonnen wird und die toxischen Zerfallsprodukte der Keime enthält. Bringt man nun so ein Tuberkulin auf die Haut eines Kindes, das schon eine Tuberkulose überstanden hat, so entsteht hier eine sehr deutliche Reaktion, weil dieses Kind bereits Immunkörper besitzt. In diesem Fall wäre eine Impfung zwecklos. (Auch nach der erfolgreich durchgeführten Calmette-Impfung muß die Tuberkulinprobe positiv ausfallend

In erster Linie sollen solche Personen geimpft werden, bei denen die Wahrscheinlichkeit groß ist, an einer Tuberkulose zu erkranken, also besonders Pflegepersonal und Arzte. Aus einer amerikanischen Statistik geht hervor, daß vom Krankenpersonal in Spitälern 4 Prozent und in Heilstätten 16 Prozent an Tuberkulose erkrankten, wenn es nicht geimpft war. Ebenso ist auch eine Impfung bei Jugendlichen und bei kleinen Kindern, die in tubarkulosegefährdeter LJmwelt leben, zu empfehlen. Der schwedische Kinderarzt Wallgren konnte überzeugende Resultate zeigen, und zwar an 230 geimpften Säuglingen, die in einer ansteckungsgefährdeten Umgebung lebten und die er durch mehrere Jahre hindurch beobachtete: unter den 230 Kindern war kein einziger Todesfall und nur ein Kind erkrankte an einer gutartigen Form der Tuberkulose! Eine andere statistische Arbeit aus Chikago fußt auf einer zehnjährigen Beobachtungszeit von zwei Gruppen von je 1200 Kindern, wobei die Kinder der einen Gruppe in den ersten Lebenswochen geimpft wurden. Von den nicht geimpften Kindern erkrankten 22 und starben 4, unter den geimpften trat bloß dreimal eine tuberkulöse Erkrankung auf, die in einem Fall tödlich endete. In Österreich wurde die Calmette-Impfung auch schon in größerem Umfang durchgeführt; durch die Hilfe der Unicef beziehungsweise der skandinavischen Länder konnten 1949 über 250.000 Personen, vorwiegend Schulkinder, geimpft werden, 1950 waren es rund 280.000 in allen Bundesländern. In manchen europäischen Staaten besteht bereits für bestimmte Bevölkerungsteile eine gesetzliche Pflicht zur Calmette- Impfung. Aber auch bei Erwachsenen liegen die Ergebnisse ähnlich günstig. Eine der sorgfältigsten Untersuchungen wurden bei nordamerikanischen Indianern gemacht, wieder mit einer Anzahl Geimpfter und einer gleichgroßen nichtgeimpften Kontrollgruppe. Dabei zeigte sich, daß bei den Nichtgeimpften fünfmal mehr erkrankten und daß bei den rund 1500 Geimpften nur vier Todesfälle auftraten im Gegensatz zu den 28 Todesfällen der Vergleichsgruppe.

Die Frage, ob der Geimpfte oder ob jemand, der sich auf natürlichem Weg infolge einer überstandenen Infektion seine Abwehrkraft erworben hat, sich in einer immunbiologisch günstigeren Lage befindet, ist sehr schwer zu beantworten: Die Untersuchungen zeigen einmal bei den Geimpften, das andeare Mal bei den Tuberkulinpositiven, also auf natürlichem Weg Immunisierten, die besseren Resultate. Auf alle Fälle ist die Calmette- Impfung ein Fortschritt von größter Tragweite, längst über das Versuchsstadium hinaus. Ihre Wirksamkeit ist millionenfach erprobt; sie ist eine unserer wirksamsten Waffen im Kampf gegen die Tuberkulose.

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