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Die elektronischen Grundlagen

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Von Dr. HEINZ ZEMANEK, Institut für Nachrichtentechnik der Technischen Hochschule in Wien

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Von Dr. HEINZ ZEMANEK, Institut für Nachrichtentechnik der Technischen Hochschule in Wien

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Auf dem Kongreß über Automation im vergangenen April in Mailand war der Definition des Begriffes „Automation“ ein ganzer Nachmittag gewidmet. Der Erfolg war gering: es gibt keine Definition, über die sich auch nur die Mehrheit der Fachleute geeinigt hätte. Nicht einmal, ob Automation etwas wesentlich Neues ist, steht fest: in britischen Automationszeitschriften diskutiert man im Augenblick diese Frage, und es werden sehr unterschiedliche Meinungen ausgedrückt. Die Situation wird dadurch erschwert, daß Automation zu einem Modewort geworden ist, das auch für ziemlich fernliegende Gelegenheiten bemüht wird.

Das Wort Automation ist durch Zusammenziehung aus Automatisierung und Instrumentation entständen. Automaten und Instrumente aber sind nicht das eigentlich Neue. Diese Tatsache dürfte die Ursache für die Verwirrung sein. Hingegen wird sofort klar, was eigentlich neu ist, wenn man den nachrichtentechnischen Aspekt der Wandlung betrachtet: ihm geht nämlich der Neubau eines wissenschaftlichen Zweiges voraus. Es sei daher die Definition vorgeschlagen: Automation ist die Benützung der Nachrichtenmaschine in der Industrie.

Bisher waren Maschinen vorwiegend Energiegeräte: Vorrichtungen, die die Kraft des Menschen und seine Geschwindigkeit vergrößerten, aber immer noch von ihm eingeschaltet, gelenkt und ausgeschaltet wurden. Die Nachrichtentechnik beschränkte sich bisher darauf, Brücken von Mensch zu Mensch zu schlagen: von ihm erzeugte Nachrichten aller Art über räumliche und zeitliche. Entfernungen zu übertragen und dann einem menschlichen Empfänger in möglichst ungestörter Form zu übergeben. Geräte dieser Art wurden mit Recht nicht als Maschinen bezeichnet.

Seit einigen Jahren entwickelt sich jedoch mit steigender Geschwindigkeit ein neuer Zweig der Nachrichtentechnik, der von der Ueber-tragung ausgeht und sie mitbenutzt, aber einen ganz neuen Zug dazunimmt — die Nachrichtenbearbeitung. Die Form der Nachrichtensignale bleibt nicht gleich, sondern die Aufgabe des Gerätes besteht darin, die Form zu wandeln. Nachrichten werden gemessen, umgeschlüsselt, zerlegt und kombiniert. Zur Uebertragung tritt die Verknüpfung, die Verwandlung nach logischen Gesetzen. Die elektronische Rechenmaschine ist das bekannteste und vorläufig bemerkenswerteste Beispiel dafür. Es leuchtet ein, daß für Geräte solcher Art der Name Maschine durchaus paßt.

Bei den Nachrichtenmaschinen unterscheidet man zwei Grundprinzipe: Analogieverfahren und Zahlenverfahren. Man kann sagen, „so dick wie mein Daumen“ oder „15 mm Durchmesser“; man kann mit analogen Stromstärken arbeiten oder mit einzelnen Stromstößen, deren Folge eine Zahl ausdrückt. Beide Prinzipe haben ihre Vorteile. Im allgemeinen sind Analogieverfahren einfacher, Zahlenverfahren aber genauer, weniger störanfällig. Elektrische Analogiegeräte erlauben Genauigkeiten von einem Prozent, mit Mühe einem Promille, kaum jedoch etwas Besseres; Zahlengeräte erfordern für zehnfach größere Genauigkeit um drei oder vier Stromstöße pro Angabe mehr Aufwand. Für die Automation haben beide Prinzipe Bedeutung, das Analogieprinzip für die Regelung, das Zahlenprinzip für die logische und mathematische Datenverarbeitung.

Man hört sehr oft die Behauptung, elektronische Rechenmaschinen „können nichts als die Grundrechnungsarten, im Grunde sogar nur addieren“. In diesem Rahmen kann diese Behauptung nicht nach oben hin kritisiert werden; es sei nur bemerkt, daß kaum hundert feste Speicherpunkte genügen, um der Maschine die

• Fähigkeit au geben, etwa quadratische Gleichungen zu lösen. Daß man diese Fähigkeiten augenblicklich nicht ausbaut, hängt mit den Benützungsmethoden zusammen.

Hier kommt es auf eine umgekehrte Veränderung dieser Behauptung an: elektronische Rechenmaschinen können nicht einmal addieren, sie erzielen das Resultat nur durch den Ablauf elementarer logischer Operationen. Die be-

. nützten Grundverknüpfungen sind Negation, Konjunktion und Disjunktion, die bekannten

Die obere Reihe stellt den Hauptvorgang dar, Regelstrecke genannt. Die Quelle kann Material, Energie, Nachrichten oder auch Kombinationen davon abgeben und über das Stellglied, den Punkt der menschlichen oder maschinellen Beeinflussung zu einer Wirkung führen.

Die Steuerung, deren allgemeine Form hier dargestellt ist, erweist sich bei näherer Betrachtung als typischer Fall der Nachrichtenbearbeitung. Es wird einerseits die Wirkung beobachtet oder gemessen, und anderseits ein Programm für die Wirkung aufgestellt. Die „Bearbeitung“ besteht nun darin, daß nun „Ist-Wert“ und „Soll-Wert“ miteinander verglichen werden und daraus nach logischen Regeln ein Korrektursignal abgeleitet wird, mit der Absicht, „Ist-Wert“ und „Soll-Wert“ zur Uebereinstimmung zu bringen. Ob man den Fliehkraftregler Watts betrachtet, dessen rotierende Kugeln von den alten Dreschlokomobilen her allgemein bekannt sind, die Benützung eines Werkzeugs, die Bedienung einer Maschine oder die Steuerung eines Fahrzeugs, immer lassen sich die Vorgänge mit der gezeigten Struktur oder einer Ineinander-schachtelung mehrerer solcher Strukturen verstehen und daher als technische Vorrichtung denken. Wieweit die praktische Verwirklichung gehen kann, hängt vom Grad der Komplikation des Steuerprogramms ab. Die Konstanthaltung ist längst üblich geworden. Mit Hilfe der elektronischen Rechenmaschine aber lassen sich und uralten Begriffe der Logik. Die Zweiwertigkeit — wahr oder falsch, ja oder nein, 1 oder 0 — ist technisch durch Einfachheit ausgezeichnet: eine physikalische Erscheinung findet statt oder nicht. Die Röhre führt Strom oder nicht, eine Stelle der Trommel oder ein ringförmiger Kleinstmagnet sind ummagnetisiert oder nicht — jeder Effekt kann herangezogen werden, und es ist nur eine einzige Unterscheidung zu treffen. Störungen müssen schon sehr stark sein, um diesen einfachen Akt zu stören.

Die Familie der logistischen Schaltgeräte beginnt bei trivialen Vorläufern. Die elektrische Beleuchtung brennt oder brennt nicht. Schalter bilden logistische Konjunktionen und Disjunktionen und speichern außerdem die „eingegebenen Nachrichten“. Die Bedienung einer Lampe von zwei Stellen aus, in. Wohnräumen wie in Sälen anzutreffen, ist eine technische Realisierung der logistischen Aequivalenz. Freilich weiß das der Installateur nicht: auch der Rechenmaschinentechniker nützt die Hilfe des logistischen Kalküls heute noch in sehr bescheidenem Maß aus. Er ist aber jedenfalls der Schlüssel für alle Vorgänge.

Mit der Beherrschung der Logistik und des Zahlenrechnens, durch die Verwendung der Lochkarte und der Programmsteuerung, haben wir ein Mittel in der Hand, dessen Möglichkeiten noch lange nicht ausgeschöpft sind. Für die Produktion bedeutet es die Uebernahme aller mechanischen, schematischen und routinemäßigen Arbeiten durch die Maschine. Insbesondere kann die Büroarbeit, .die im Detail aus ziemlich gleichartigen logistischen Entscheidungen und primitiven Rechnungen besteht, von einer elektronischen Rechenmaschine übernommen werden. Ebenso kann die Einstellung von Maschinen von einer Programmsteuerung erfolgen. Da nun in einem solchen Fall so gut wie alle Daten in der Form vorliegen, in der sie von Maschinen „verstanden“ werden, wird sich im Betrieb ein einziges künstliches „Nervensystem“ entwickeln,' das alle Daten befördert, speichert, umrechnet und ausdrückt. Bürohaus und Maschinensaal werden ineinander übergehen.

Außer der logistischen Verknüpfung spielt für die Automation das Prinzip der Rückkopplung eine grundlegende Rolle. Es handelt sich um eine Struktur, die von erstaunlicher Allgemeinheit ist:

nunmehr die kompliziertesten Programme und Korrektursignale herstellen: Das ist der Kern der Automation.

Grundsätzlich läßt sich alles in Form der Maschine lösen, was durch logistische und mathematische Verknüpfungen beschreibbar ist. Praktisch aber verengt sich das Feld durch Forderungen anderer Art. Die Betriebssicherheit ist im Lauf der technischen Entwicklung ein immer wichtigeres Problem geworden: die Ausführung der Rechenmaschine wird von dorther streng diktiert. Die Wirtschaftlichkeit reduziert die Phantasie des Konstrukteurs auf gewisse vorgeschriebene Bahnen, die ihn nicht in allen Fällen erfreuen. Nennen wir noch die Forderung nach vernünftiger Arbeitszeit, die bei gewissen Spekulationen gerne übersehen wird. Es gibt Probleme von derartigem Umfang, daß auch die rasendste elektronische Rechenmaschine viel-stellige Zahlen von Jahrtausenden zur Berechnung verlangt, so zum Beispiel die exakte Berechnung eines Zuges einer idealen Schachspielmaschine.

Was die Befürchtungen anbelangt, die in diesem Zusammenhang immer wieder geäußert werden, muß eine Abschlußbemerkung genügen: der Wert eines technischen Mittels hängt stets von dem Menschen ab, der es benützt. Die Automation offeriert sich als Heilmittel und als Gefahr. Was wird, bestimmt der Benutzer. Das Problem ist wie eh und je der Mensch.

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