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Die kirchliche Trauung — verfassungswidrig

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Unter vorstehendem Titel veröffentlichte Vizekanzler Dr. Schärf in der sozialistischen Monatsschrift „Die Zukunft“ einen Artikel, der za dem Problem des Eherechts in Österreich Stellung nimmt. Der Verfasser geht von den beiden Anträgen der ÖVP-Abgeordneten Müller im ersten und Solar im zweiten Nationalrat aus, wonach in Österreich unter Aufhebung des! Zwanges ! zur standesamtlichen, Trauung- die“ Ehe durch Vornahme der kirchlichen Trauung allein mit den Wirkungen für den staatlichen Bereich geschlossen werden kann oder der konfessionelle Trauakt der standesamtlichen Trauung gleichgesetzt werden soll.

Es besteht kein Zweifel, daß es sich in beiden Anträgen nur um die Form der Eheschließung und nicht um die - Änderung des materiellen Eherechts handelt. Nach diesen Anträgen müßte der Standesbeamte wie in den angelsächsischen Ländern beurteilen, ob eine Ehe zwischen den Brautleuten gemäß dem staatlichen Recht zulässig ist. Auf Grund seines Unbedenklichkeitszeugnisses kann an Stelle der standesamtlichen Trauung die konfessionelle Trauung erfolgen, die durch Eintragung in die standesamtlichen Register staatliche Rechtswirkung erlangt. Weiter gehen diese Anträge nicht, trotz der Befürchtungen des Herrn Vizekanzlers.

Daß dem so ist, ergibt sich zunächst aus einer Erkundigung bei der zuständigen Stelle der Parteileitung der ÖVP. Außerdem bedeutet der Antrag noch nicht die Formulierung des Gesetzestextes. Hier könnte man noch immer ohne Schwierigkeit geäußerten Bedenken Rechnung tragen. Schließlich sagt uns die reine Vernunft, daß innerhalb des staatlichen Rechtskreises nicht zwei Ehen derselben Person gleichzeitig nebeneinander bestehen können. Aber gerade dies be-fürchtet der Verfasser des erwähnten Artikels. Vizekanzler Dr. Schärf verquickt den im Nationalrat eingebrachten Antrag mit einer ganz anderen Sache, indem er sagt: „Der neueste Wunsch der ÖVP lautet im wesentlichen, daß den vor einem Priester der katholischen Kirche gemäß dem kanonischen Recht geschlossenen Ehen die Rechtswirkungen zukommen sollen, die nach staatlichem Recht mit dem Abschluß einer Ehe verbunden sind, wenn diese kirchliche Trauung nachträglich in das staatliche Register eingetragen wird.“ Nun ist aber ein Antrag dieses Inhaltes der gesetzgebenden Körperschaft gar nicht vorgelegt worden.

Vizekanzler Dr. Schärf zeigt an verschiedenen Beispielen, welche Schwierigkeiten sich in letzterem Fall aus der Divergenz zwischen staatlichem und kirchlichem Recht ergeben könnten. Der Katholik und jeder Getaufte, der einmal der Kirche angehört hat, schließt nach dem Gesetz der Kirche am Standesamt keine gültige sakramentale Ehe. Ist also nur eine standesamtliche Trauung ohne nachfolgende kirchliche Trauung erfolgt, so steht einer neuen, diesmal kirchlichen Eheschließung jeder der beiden Parteien nicht das trennende Ehehindernis des bestehenden Ehebandes gemäß dem kirchlichen Recht im Wege. Vizekanzler Dr. Schärf sagt: „Ein vielleicht gewissenloser — katholischer Eheteil, der bloß staatlich getraut war, soll jederzeit eine zweite Ehe eingehen dürfen, ohne daß er sich um die erste Ehe oder seinen Gatten aus erster Ehe kümmert.“

Bei dem heutigen Stand de. Ehegesetzgebung in Österreich ist aber die Auflösung des Ehebandes eine wenig beschwerliche Angelegenheit. Zur Erlangung der staatlichen Rechtswirkungen könnte vor jeder kirchlichen Trauung das Band einer ersten nur staatlich gültigen Ehe gelöst, jede aus der Ehe resultierende Rechtsfrage bereinigt sein, wenn es sich einmal darum handeln sollte, daß auf eine zerrüttete Ehe, die nur am Standesamt geschlossen war, eine neue, und zwar kirchlich geschlossene Ehe mit staatlichen Rechtswirkungen folgen soll.

Um weitere Unterschiede zwischen dem staatlichen und dem kirchlichen Recht aufzuzeigen, verweist der Verfasser darauf, daß .nach dem kanonischen Recht der Mann nach dem erreichten 16., die Frau nach dem erreichten 14. Lebensjahr ehefähig ist, ohne daß Eltern oder Vormünder dazu eine Genehmigung geben müßten; nach staatlichem Recht ist diese Genehmigung unerläßlich“. Tatsächlich ist nach staatlichem Recht der Mann mit dem vollendeten 21., das Mädchen mit dem vollendeten 16. Lebensjahr ehemündig. Doch kann beiden Befreiung von dieser Vorschrift bewilligt werden, dem Mann jedoch nur dann, wenn er das 18. Lebensjahr vollendet hat und nicht mehr unter elterlicher Gewalt oder Vormundschaft steht (Ehegesetz, 1). Personen unter 21 Jahren bedürfen zur Eingehung einer Ehe der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters, und wenn diesem nicht zugleich die Sorge für die Person des Minderjährigen zusteht, oder neben ihm andere sorgeberechtigt sind, auch des Sorgeberechtigten, wofern der Minderjährige nicht aus der väterlichen Gewalt entlassen oder für volljährig erklärt worden ist. Außerdem kann das Vormundschaftsgericht auf Antrag der Einwilligungsbedürftigen die Einwilligung ersetzen. Fehlt diese Einwilligung, so ist die Ehe trotzdem gültig. (Ehegesetz 3, 103; Köstler Rudolf. Österreichs Eherecht, 4. Auflage, Wien, Manz, 1948, 10 f.).

Das kanonische Recht, das dem Mann nach vollendetem 16., der Frau nach vollendetem 14. Lebensjahr eine gültige Ehe ermöglicht und auch die Verhältnisse in südlichen Ländern berücksichtigen muß, verpflichtet den Pfarrer, die jungen Leute von Eheschließungen abzuhalten, bevor sie jenes Alter erreicht haben, in dem die Eheschließung landesüblich ist (can. 1067, 2, CJC). Für Ehen von Minderjährigen, die ohne Wissen der Eltern oder gegen deren vernünftigen Einspruch heiraten wollen, besteht ein Trauungsverbot. Der Pfarrer ist an die Weisung des Ordinarius gebunden (can. 1034 CJC). Ist nun anzunehmen, daß ein Bischof, ohne die Eltern anzuhören, die Eheschließung in Fällen erlaubt, in denen schon der Vormundschaftsrichter die Einwilligung dazu verweigern würde, daß die jungen Leute blind ins Verderben rennen? Es stimmt also nicht, wenn Vizekanzler Dr. Schärf behauptet: „Ein 17jähriger Junge soll heiraten dürfen, ohne daß seine Eltern etwas davon wissen oder dazu zu sagen hätten.“ Nach dem kanonischen Recht ist das nicht möglich.

„Ein Geisteskranker soll heiraten dürfen, wenn kirchliche Stellen ihn für geistig reif genug halten, obwohl er entmündigt ist“, meint der Herr Vizekanzler. Tatsache ist, daß Geisteskranke keine kirchlich gültige Ehe schließen können.

Zur Feststellung einer Geisteskrankheit aber bedienen sich die kirchlichen Amtsstellen, Verwaltungsbehörden, wie Gerichte, der Gutachten und Befunde jener ärztlichen Sachverständigen, auf die auch die staatlichen Gerichte angewiesen sind: der psychiatrischen Kliniken, der Heilanstalten, der für diesen Zweck eigens bestellten Psychiater und auch der Gerichtsakten staatlicher Gerichte. Die Feststellung einer Geisteskrankheit durch diese Stellen ist nämlich bisher auch in Österreich noch kein Politikum. ,

Der Herr Vizekanzler beruft sich darauf, daß auch in der Monarchie der katholische Geistliche bei der Trauung nach den staatlichen, nicht nach den kirchlichen Gesetzen vorzugehen hatte, wenn sich eine Divergenz der beiden Rechtssphären ergab. Darauf ist zu sagen: Durch das Ehepatent Kaiser Josephs vom Jahre 1783 wurde ein staatliches Eherecht geschaffen, das den religiösen Anschauungen der einzelnen Konfessionen angepaßt war und demgemäß auch die Angehörigen der verschiedenen Konfessionen unterschiedlich behandelte. Das Eherecht für Katholiken wies, abgesehen von geringfügigen Unterschieden, von denen sich manche erst durch die spätere Entwicklung des kanonischen Rechtes ergaben, eine fast vollständige Ubereinstimmung mit dem kirchlichen Recht auf. Außerdem war die Trauung vor dem zuständigen Religionsdiener staatlich vorgeschrieben. Das josephinische Ehepatent ging in das ABGB aus dem Jahre 1811 über. Aus den geringfügigen Divergenzen zwischen dem Eherecht des ABGB und des kirchlichen Rechts würden sich auch heute keine Schwierigkeiten ergeben, sie ließen sich zumindest leicht überbrücken.

Die Befürchtungen des Herrn Vizekanzlers nehmen jedoch ihren Ausgang von einer Erklärung des Herrn Fürsterzbischofs von Salzburg, Dr. Rohr-acher. Diese Erklärung bezieht sich zunächst auf einen bekannten konkreten Vorfall. Für Ehewerber war es, durch die Zeitverhältnisse bedingt, nicht möglich, eine Ehebewilligung' ihres Heimatstaates zu erhalten. Sie wurden deshalb auf d e m Standesamt nicht getraut.

Solche Menschen sind um ihre Heimat gekommen, sie sind um ihr rechtmäßiges Eigentum gekommen, sie sollen auch nicht heiraten und eine Familie gründen können, sondern bestenfalls im Konkubinat leben. So werden Menschen fünf Jahre nach dem Sieg jener Mächte behandelt, die für Menschenrechte und Menschenwürde gekämpft haben. Da fand sich ein Pfarrer, der seinen Kaplan beauftragte, eine kirchliche Trauung auch ohne vorherige standesamtliche Trauung vorzunehmen, damit diese armen Menschen vor Gott und ihrem Gewissen rechtmäßige Eheleute seien, allerdings unter Verzicht auf die staatlichen Rechtswir.kungen ihrer Ehe. Dafür erhielten Pfarrer und Kaplan eine Arreststrafe, denn: „Wer die religiösen Feierlichkeiten einer Eheschließung vornimmt, bevor die Ehe vor dem Standesbeamten geschlossen ist, wird mit Geldstrafe oder Gefängnis bestraft“ (Personenstandsgesetz, 67 [1]). Eigentlich müßte die ganze Welt aufhorchen und diesen

Priestern Beifall zollen, weil siefürFreiheitundMen.schen-rechte eingetreten und dafür verurteilt worden sind.

Erzbischof Dr. Rohracher sagt nun: „Wir fordern die Freiheit der Eheschließung. Nach dem noch immer geltenden NS-Ehe-gesetz ist es katholischen Brautleuten verboten, das hl. Sakrament der Ehe zu empfangen, wenn nicht die standesamtliche Trauung vorausgegangen ist. Dieses Verbot richtet sich gegen die primitivste Gewissensfreiheit und ist für uns Katholiken untragbar. Ich habe daher für mein Kirchengebiet angeordnet, alle Fälle, die eine kirchliche Trauung vor der standesamtlichen Trauung oder auch ohne diese notwendig erscheinen lassen, mir persönlich vorzulegen. Ich werde dann nach Prüfung des Falles Erlaubnis oder Auftrag zur kirchlichen Trauung geben, auch vor und ohne Ziviltrauung. Denn keine Staatsgewalt ist berechtigt, den Empfang eines Sakraments zu verbieten. Zudem wird jene gesetzliche Bestimmung von Rechtskundigen für den staatlichen Bereich sogar als verfassungswidrig bezeichnet. Wenn ich auf Grund solcher Erlaubnisse oder Aufträge auch vor den Richter zitiert und verurteilt werde, wie es jüngst in Oberösterreich Mitbrüdern passiert ist. dann werde ich die Strafe hinnehmen in der Hoffnung, daß dies die verantwortlichen Volksvertreter aufruft, auch ihrerseits durch eine entsprechende Änderung der Gesetze für. Menschenrechte und Gewissensfreiheit einzutreten.“

Erzbischof Dr. Rohracher ist sich dessen bewußt, daß er damit gegebenenfalls ein Gesetz der zweiten Republik übertritt, nämlich ein altes NS-Gesetz, und daß er dadurch straffällig wird. Auch die Argumentation des Herrn Vizekanzlers Doktor Schärf wird ihn nicht erschüttern, daß nach Art. 15 des Staatsgrundgesetzes vom 21. Dezember 1867, RGBl. Nr.. 142, „jede anerkannte Kirche den allgemeinen Staatsgesetzen unterworfen ist“, und deshalb die kirchliche Trauung — der Empfang eines hl. Sakraments — vor der standesamtlichen Trauung in Österreich verfassungswidrig (!) sein könnte. Es wird sich in Österreich gewiß kein katholischer Priester finden, der sich nicht freudig zum Standpunkt Erzbischof Rohrachers bekennen würde. Aber wollen es die Politiker, auch der Sozialdemokratischen Partei, darauf ankommen lassen, daß unsere Bischöfe vor aller Welt zu Gefängnisstrafen verurteilt werden, weil sie für Menschenrechte und Gewissensfreiheit eintreten? Die Kirche ist auch zur Zeit der Okkupation auf seiten derer gestanden, denen aus rassischen Gründen die Eheschließung am Standesamt verwehrt wurde, und hat ihnen die kirchlich gültige Ehe ermöglicht.

Deshalb erklärt Erzbischof Dr. Rohracher: „Als Katholiken fordern wir also volle Freiheit für die Eheschließung. Es soll jeder Mensch die Ehe so schließen können, wie er es nach seinem Gewissen tun will, der Katholik vor seiner Kirche, der Protestant vor seiner Religionsgesellschaft, der Konfessionslose und der katholisch Getaufte wie der seinem Glauben entfremdete Protestant, der sich nicht kirchlich trauen lassen will, vor dem Standesamt. Aber Freiheit muß sein in der Eheschließung. Dem Staat bleibt immer noch die Möglichkeit, die bürgerlichen Rechtswirkungen an die Eintragung in die Zivilmatrik zu knüpfen.“

Aber Erzbischof Dr. Rohracher sagt schließlich den Satz: „Darüber hinaus verlangen wir auch unnachgiebig, daß überhaupt die kirchliche Auffassung von Ehe und Familie in den neuen Ehe- und Familiengesetzen entsprechend berücksichtigt wird. Auch das kann in der zweiten Republik nicht verfassungswidrig sein, für die .Berücksichtigung' einer Auffassung, die von zahlreichen Österreichern geteilt wird, einzutreten, auch unnachgiebig einzutreten und sie zu propagieren.“

Vizekanzler Dr. Schärf schließt seinen Artikel mit den Worten: „Es scheint jedoch, daß noch in manchem Kopfe Vorstellungen aus der Zeit des Austrofaschismus lebendig sind, in der eine andere Ordnung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche versucht worden ist.“ Nun ist aber für die Kirche das Eherecht von der Staatsform unabhängig. Wir hatten ja auch in Österreich zum Beispiel die kirchliche Trauung mit staatlicher Rechtswirkung in der absoluten Monarchie, sogar der „aufgeklärten“ Monarchie des Kaisers Joseph; wir hatten sie in der konstitutionellen Monarchie unter konservativen und liberalen Regierungen; wir hatten sie in der ersten Republik und natürlich auch unter Dollfuß und Schuschnigg (Worte wie „Austrofaschismus“ und „Austrobol-schewismus“ pflege ich in sachlichen Auseinandersetzungen nicht zu gebrauchen). Erst der H i 11 e r s t a a t und das „nationalsozialistische Ehegesetz des Großdeutschen Reiches“, das von der zweiten Republik übernommen wurde, hat uns die kirchliche Trauung für den staatlichen Bereich genommen.

Wir meinen nun, daß eine Ordnung des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat am besten auf dem Weg einer loyalen Vereinbarung zwischen diesen beiden höchsten Gewalten zu suchen ist. Wir müssen allerdings auch feststellen, daß bei den Nachfahren des alten bürgerlichen Freisinns in Österreich vielfach eine Befangenheit in kirchlichen Fragen zu beobachten ist, die wie ein Erbgut von den Vätern her anmutet. Weniger Befangenheit, mehr Aufgeschlossenheit würde leichter zu dem erwünschten Ziel einer Verständigung führen.

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