Die Kraft des Wortes

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Stifters "Witiko": Gegenzauber als Grundlage für eine der Zeit nicht entsprechende Welt.

Nun, da ich den Witiko gelesen habe, ist es wieder und doch anders wie früher, wenn ich ein Buch von solchem Umfang nach Wochen, welche von ihm begleitet waren, zu Ende gelesen hatte - jenes Andere, so denke ich, hat nicht allein mit mir als Leser zu tun, sondern ist Teil dieses Buches, denn der Leser wird hier nicht nur aus einer Erzählung entlassen, die mehr oder weniger tatsachengetreu den Anfang eines erfolgreichen Werdegangs wiedergibt, sondern er wird vor allem aus einer Sprache entlassen, die gestellt ist, als Schrift, die als gestellte eine Kunstsprache ist, eine nahezu natürliche, so scheint es, wenn dem Leser diese Sprache im Laufe der Wochen gleichsam zu einer zweiten Natur geworden ist. Doch sie ist künstlich, da die natürliche, die dem Maul des Volkes abgehorchte, der Zeit entspricht und deren Auffassungen auch unablässig reproduziert, und da es, in Ablehnung genau dieser Unentrinnbarkeit, darum geht oder ging, etwas zu schaffen, das mit der Zeit und ihrer Sprache bricht, und zwar Zeile für Zeile und also mit einer Beharrlichkeit, die den Protest sublimiert, da dieser noch eine Form der Zeitgebundenheit wäre. Es ist eine Unschrift, eine Umschrift, eine Urschrift, etwas Verneinendes, Befremdendes, Grundlegendes ist es, um das es also geht - da soll nicht einem Ideal deutscher Erzählkunst entsprochen werden, da ist etwas Avirtuoses am Werk, die Parataxe, die Aneinanderreihung und Wiederholung, doch nicht als Attitüde, doch deshalb, weil da Tatsachen geschaffen werden, indem sie verzeichnet werden, und dieses Verzeichnis, es soll grundlegend sein, es soll den Grund legen für eine unadäquate, eine der Zeit nicht entsprechende Welt.

Diese Unversöhnbarkeit oder auch Radikalität der Abwendung bringt sodann die literarische Form hervor, welche Historischer Roman genannt wird, wobei dieser, genauer und nicht nur als eine Art Kostümfest verstanden, den Grund legt für jene zu schaffende Welt - und das lautet im Witiko so: Dann nahm er (der Pfarrer von Plan) die Schaufel, welche ihm gereicht wurde, und hob mit ihr ein Stückchen Rasen heraus, wo der Grund für die Mauern gegraben werden sollte. Dann nahm Lubomir die Schaufel, und hob ein Stückchen Erde heraus. Dann nahm sie Rowno, dann Wyhon von Prachatic, dann Diet von Wettern, und alle die Herren und Gäste, und jeder hob ein Stückchen Erde heraus. Der letzte, der es tat, war Witiko. / Hierauf stellte sich eine Reihe von Männern, die von Plan, von Friedberg und von anderen Orten gekommen waren, im Festtagsgewande mit Schaufeln auf. / Der Pfarrer von Plan aber sprach: "So wird ein neues Haus begonnen, der Himmel ist jetzt über ihm, der Himmel sei dann in ihm, und der Himmel weiche nicht von ihm." / "Und er sei über dem ganzen Walde", sagte der Pfarrer von Friedberg. (666/667)

Also werden in diesem Dichtungsversuch, wie Adalbert Stifter den Witiko nennt, Dinge erzählt, werden Namen genannt und immer wieder, und nicht nur von kirchlicher Seite, Segenswünsche ausgesprochen - diese gehen voran, unterstützen und befestigen, was als Setzung geschieht, was gestellt als Schrift voranschreitet von Dann zu Dann, von Hierauf zu Aber und also Weg ist und Ziel, da die Schönheit eines solchen Voranschreitens sich in der Allmählichkeit zeigt, womit ein Satz dem nächsten folgt, indem aus ihm hervorgeht und sich auf ihn rückbezieht, so folgerichtig oder auch unbekümmert, als gäbe es jene andere Zeit, von der behauptet wird, dass sie die maßgebende sei, nicht.

Und so ist da etwas Gegenzauberisches am Werk, doch weniger im Sinne eines romantischen oder sprachkritischen Programms, eher geht es da um eine mehrfach gebrochene Reformation, um einen Wiederanfang, als könnte durch das Stellen von Schrift zu etwas Unentstelltem gefunden werden, welches wirkt, indem es erinnert wird, welches, von Segenswünschen begleitet, Wirklichkeit wird, denn: Das Wort ist stärker als die Wurfschleuder, und die Mäßigung besiegt den Erdkreis. (815)

Stärker als die Wurfschleuder, als das Mauern aus Menschen oder Stein zertrümmernde Kriegsgerät, ist das Wort, und das heißt wohl, doch nicht zuerst, dass das Wort unzerstörbarer ist als die Wurfschleuder, die zerstörende, die im Laufe der Kriege gleich öfter selbst zerstört wird - das heißt aber sicher auch, dass das Wort zerstörerischer ist, dass nicht auszubessern oder wieder zu errichten ist, was durch das Wort zerstört wurde, doch das wollte der Vergleich vielleicht gar nicht sagen, vielleicht hatte er nur die Wurfkraft im Sinn und nicht deren Wirkung, da er die Kraft des Wortes mit jener der Schleuder verglich.

Es ist allerdings gerade Teil des stärkeren Wortes, dass der Vergleich, kaum ist er einmal gezogen, eine Kraft entfaltet, welche von ihrer Wirkung nicht getrennt gedacht werden kann, so dass das Zerstörerische unwiderruflich mitgesagt wird - und Adalbert Stifter stellt dieser Kraft dann auch gleich eine noch größere zur Seite, das heißt eine mit einer unvergleichlich größeren Reichweite, also mit einer Reichweite, welche durch den Vergleich mit der Wurfschleuder nicht im geringsten angedeutet zu werden vermag, denn die Mäßigung, sie besiege den Erdkreis, so heißt es, und das gibt nun ein Ausmaß wieder, neben welchem alles Geschleuderte, ob nun Wort oder Stein, ein fast kläglicher Wurf bleibt.

Der Mäßigung werden so gleichsam übersprachliche Kräfte zugesprochen, denn sie lässt das Ermessen der Kraft des Wortes durch den Vergleich mit der Wurfschleuder so weit hinter sich, dass außer Kraft gesetzt scheint, was an Zerstörerischem durch das Wort vom Wort als Wurfschleuder freigesetzt wurde - diese Mäßigung, selber Wort, hat jedoch nichts mit Langweilerei zu tun, sie setzt sich eher der Kraftmeierei entgegen oder wesentlicher wohl der Unbedachtheit, womit Worte, stärker als Wurfschleudern, ausgesprochen werden.

Die unvergleichlich größere Kraft der Mäßigung beruht allerdings nicht in einer ebenso größeren Zerstörungskraft, sondern in der Unterwerfung, und zwar so, als gäbe es ein Gebot, als wäre das Gebot ebenjene Mäßigung und als fiele alles, was ihr nicht gehorcht, dem Untergang anheim - unehrgeizig ehrgeizig ist das Unternehmen Adalbert Stifters gewesen, diesen Dichtungsversuch, den Witiko, zu schreiben, denn er hat Wort für Wort dem Gebot, jenem der Mäßigung, unterworfen, und falls einem ein Buch entlässt, wie ich anfangs behauptet habe, so entlässt einem dieses Buch getröstet und trostlos in eine Welt, welche nicht die des Buches ist, da, und das ist nun einmal weitgehend entschieden, die Kunst der Entstellung, sofern es eine solche als Kunst gibt, den Erdkreis vorerst besiegt hat - ihr aber stünde, gäbe es sie, eben nicht eine tatsächlich blutleere und bodenlose Natürlichkeit oder Spontaneität entgegen, sondern eine Kunst des Natürlichen, für welche Adalbert Stifter wie keiner vorbildend gewesen sein wird.

Michael Donhauser, geboren 1956 in Vaduz, Ernst-Jandl-Preisträger des Jahres 2005, hat sich im Essayvabd "Vom Sehen" (Edition Engeler 2004) mit Stifter auseinander gesetzt. Seine jüngste Veröffentlichung ist der Gedichtband: "Ich habe lange nicht doch nur an dich gedacht" (Edition Engeler 2005).

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