Die Pessimistische Bilanz des Mr. Klima

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Die Balzan-Stiftung in Rom verleiht jährlich an vier Wissenschafter einen anerkannten Preis. Heuer unter anderem an Wallace S. Broecker (76), Klimaforscher in den USA.

Wallace S. Broecker ist Optimist, sieht für das Klima aber schwarz. Im FURCHE-Interview sprach der US-Klimaforscher über die Finanzkrise, die UN-Klimakonferenz und die seiner Meinung nach einzig sinnvolle Strategie gegen den steigenden CO2-Gehalt in unserer Atmosphäre.

DIE FURCHE: Sind Sie der Erfinder der globalen Erwärmung?

Wallace Broecker: Ich habe den Ausdruck 1975 in einem Artikel verwendet. Seit meiner Studienzeit hatte ich mich gefragt, warum das CO2 immer mehr wurde, die Temperatur aber nicht angestiegen ist. Von 1940 bis 1976 ist sie relativ konstant geblieben.

DIE FURCHE: Was war der Grund?

Broecker: Dann entdeckte ich die Sauerstoff-Isotopen-Messung des ersten Bohrkernes aus dem Eis Grönlands. Ein Däne stellte signifikante Temperaturzyklen von 80 und 180 Jahren fest, wie sie in der Produktion von Radiokohlenstoff vorkommen, was auf die Sonnenflecken als beeinflussenden Faktor hinweist. Ich habe diese Kurve genommen, sie auf die Zukunft umgelegt, und fand heraus, dass es von 1940 bis 1975 eine natürliche Abkühlung gab. Also sagte ich, vielleicht wird dadurch die Erwärmung kompensiert. Und danach wird es wärmer …

DIE FURCHE: Sie hatten Recht.

Broecker: Das Interessante ist aber, dass danach niemand in einer Messung diese Zyklen gefunden hat! Wir wissen nicht, warum es zu der Zeit keine Erwärmung gab. Die Voraussage war gültig, basierte jedoch auf einer falschen Annahme.

DIE FURCHE: In ihrem Büro hängt eine blaue Stoffschlange mit einem Schild: "Ich bin das Klimabiest und ich bin hungrig."

Broecker: Worüber ich geforscht habe ist, warum kleine Dinge große Veränderungen des Klimas verursachen. Wir kennen diese "Stupser". Die Schwankungen der Sonneneinstrahlung, weil die Neigung der Erdachse nicht konstant ist. Wir wissen um das An- und Ausschalten der "Umwälzpumpe", der großen Meeresströmungen, um die Wirkung der Eisflächen. Alles Verstärker, die in den Modellen nicht richtig behandelt werden.

DIE FURCHE: Also sollten wir das unberechenbare Klima nicht reizen …

Broecker: Genau das tun wir durch den CO2-Ausstoß, das zeigt die Klimaveränderung. Das Klima ist keine lineare Sache logischer Schritte, eher eine Art Nebel ...

DIE FURCHE: Wurde die Öffentlichkeit bezüglich der Auswirkungen polarisiert? Hat etwa der Stern-Report übertrieben?

Broecker: Das Problem mit dem Bewerten ist, wie die Ökonomen sagen, trivial. Weil sie alles herunterspielen und der Umwelt keinen finanziellen Wert zuordnen können. Nicholas Stern geht ins andere Extrem - und macht eine Riesensache daraus.

DIE FURCHE: Stern sagt, die Krise sei ein guter Zeitpunkt, in das Geschäft "Kampf gegen Erderwärmung" zu investieren.

Broecker: Ich glaube, dass wir das CO2 wieder aus der Luft filtern müssen. Wenn wir das nicht schaffen, sind wir in großen Schwierigkeiten. Gary Comer, dem ich viel verdanke, hat 2003 sechs Millionen Dollar in eine kleine Firma gesteckt, die in fünf Jahren so ein Gerät entwickelt hat. Diesen Sommer tourte Firmenchef Klaus Lackner durch die USA, um 22 Millionen Kapital für einen Prototyp aufzutreiben. Alle zierten sich. Als der große Crash kam, sperrte die Firma zu.

DIE FURCHE: Wann wird es diese Technik dann geben?

Broecker: Ich hoffe, dass es in ein paar Jahren solche Luftwäscher gibt. Lackner wird die Entwicklungsarbeit wahrscheinlich der Columbia-Universität übertragen, wo er Professor ist. Den Prototyp kann dann unter Lizenz eine große Technikfirma bauen, welche die Mittel hat.

DIE FURCHE: In den Neunzigern hielten Sie solche "Luftwäscher" wegen des nötigen Energieaufwandes noch für unmöglich.

Broecker: Wenn Sie Natriumhydroxid benutzen, bindet es CO2 wie wild, aber so fest, dass die Energie, die man bräuchte, um es wieder zu lösen, jener entspricht, die man beim Verbrennen gewonnen hatte. Heute ist nur noch ein Fünftel dieser Energiemenge erforderlich. Eine neue Plastikmembran hält das CO2 fest und Wasserdampf löst es. Man könnte es dreimal billiger als um den Marktpreis verkaufen, für Kohlensäure in Getränken, Gewächshäusern, später an die Ölindustrie. Risikokapitalgeber wollen Profit sehen.

DIE FURCHE: Und später soll das CO2 im Boden oder der Tiefsee gelagert werden?

Broecker: Das ist natürlich eine große Sache. Um Bedeutung zu erlangen, bräuchten wir 30 Millionen solcher Luftwäscher. Die reichen Nationen müssten eine weltweite Behörde schaffen, die sich auf den CO2-Einfang konzentriert. Etwas von der Größe des Manhattan-Projekts. Ob wir das CO2-Problem in den Griff bekommen? Ich glaube nicht. Obwohl ich Optimist bin. Es wird weiter steigen. Und erneuerbare Energien können vielleicht 40 Prozent der fossilen Energie ersetzen.

DIE FURCHE: Sagten Sie das Barack Obama?

Broecker: Wie soll ich das machen? Der Erste, der ihn in Illinois finanziell unterstützt hat, war Gary Comer, mein verstorbener Freund. Als Obama in den Senat einzog, sagte Comer: "Obama hat mich vergessen. Er ist jetzt ein großer Mann." Ich könnte mir keinen besseren Präsidenten wünschen und setze enorme Hoffnung in ihn. Die Umstände, unter denen er antritt, sind aber schrecklich. Er wird versucht sein, vorrangig an den akuten Problemen der Finanzkrise zu arbeiten.

DIE FURCHE: Was kann die UN-Klimakonferenz ab 1. Dezember in Polen leisten?

Broecker: Ich war nie ein großer Fan von Kyoto. Es hat geholfen, die Welt zu alarmieren. Aber es fließ soviel Energie in die Erfüllung der Kyoto-Ziele, dass das große Problem unscharf wird. Selbst wenn Kyoto erfüllt würde, wäre es nur ein kleiner Schritt. In Wahrheit wissen wir nicht, was wir tun sollen. Aber es muss eine Art von Vertrag geben.

DIE FURCHE Wird der Mensch einmal fähig sein, das Klima zu designen?

Broecker: Kann ich mir nicht vorstellen. Selbst wenn wir den CO2-Ausstoß in den Griff bekommen, werden wir mehr als 560 Teilchen CO2 pro Million Luftteilchen haben. Laut Modellen wären das dreieinhalb Grad Temperaturanstieg, plus/minus eins. Jeder wird etwas anderes für gut halten. Russland könnte die aufgetaute Arktis behalten wollen. Oder Skigebiete das kalte Wetter …

DIE FURCHE: Würde es kalt in Europa, weil schmelzendes Eis das Meer verwässert und die Meeresströme versiegen?

Broecker: Ich glaube nicht, dass sich die Umwälzpumpe abschaltet. Wir haben keine große Süßwasserquelle, die plötzlich freiwerden könnte. In den Modellen kommt das Süßwasser von einem allmählichen, katastrophalen Auftauen Grönlands, aber niemand sagt das voraus. Pro Grad Erwärmung steigt der Wasserdampf in der Luft um sieben Prozent, das hat mehr Regen zur Folge.

DIE FURCHE: Was passiert mit ihrer Stoffschlange, wenn sie nicht mehr sind?

Broecker: Nach dem Übersiedeln in mein neues Büro verlor sie an ungefähr zehn Stellen ihre Füllung, so kleine weiße Kugeln. Also habe ich hier und da ein Tape daraufgetan. Ich glaube, wenn sie einmal jemand von der Wand nimmt, wird sie einfach zerfallen und mit mir sterben.

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