Die Rettung von "dahoam"

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Dialekte haben Tradition. Aber haben sie noch Zukunft? Wie Wissenschafter versuchen, die reiche Fülle österreichischer Mundarten digital zu verewigen.

Kiradurrm" rollt man im bayrischen Ruhpolding, "Kiraduam" heißt es in Straßwalchen, "Kiraduim" in Anthering und "Kiachduam" in der Faistenau: 21 Orte im salzburgisch-bayerischen Grenzgebiet hat Hannes Scheutz besucht - und der Bevölkerung genauestens aufs Maul geschaut. Sagt man "kaffa", "kaffn" oder "kaufn"? Heißt es "duat", "doscht", "duacht" oder "doat"? Vor allem ältere Gewährspersonen aus dem bäuerlichen Bereich hat der Dialektforscher vom Institut für germanistische Sprachwissenschaft der Universität Salzburg vor sein Mikrofon gebeten - und ihre Ausdrücke untereinander verglichen. Herausgekommen ist das (derzeit vergriffene) Büchlein "Drent und herent" (Verlag EuRegio) - samt einer "sprechenden Landkarte", bei der per Mausklick auf einen Ort die entsprechende Dialekt-Version eines Begriffes ertönt: von "Kirchturm" bis "dort", von "Himbeeren" bis "Wetter".

"Sprechende Landkarten haben natürlich einen besonderen Appeal", freut sich der Forscher. Entsprechend groß ist das Interesse an dieser Vermittlungsform: Bereits für die Oberösterreichische Landesausstellung, die ab 29. April das Salzkammergut von seiner besten Seite zeigen soll, hat Scheutz im Seeschloss Ort eine weitere Landkarte erarbeitet. Von Vorchdorf bis Frankenburg, von Abtenau bis Bad Mitterndorf hat er dafür nach alten Idiomen gefahndet - und sie der Sprechweise jüngerer Bewohner gegenübergestellt.

Good bye "Kiraduim"

Wie schon im salzburgisch-bayerischen Grenzgebiet ist auch im Salzkammergut die Tendenz eindeutig: Althergebrachte Ausdrucksformen schwinden bei der jüngeren Generation langsam dahin - und der alte, salzburgische "Kiraduim" gleich als Erster. Gehört also auch die Mundart zu jenen gefährdeten Sprachen, deren Schutz die UNESCO im heurigen "Internationalen Jahr der Sprachen 2008" verstärken will? "Die Dialektabschwächung ist einfach gekoppelt an die Veränderung unserer Lebens- und Kommunikationsverhältnisse", meint Hannes Scheutz nüchtern. "Dass jemand in einem kleinen Ort geboren wird, dort aufwächst und auch zur letzten Ruhe gebettet wird, kommt kaum noch vor. Die Sprache verändert sich, weil sich die Sprecher verändern."

Die Auflösung der kleinregionalen Identität sei natürlich in gewisser Weise ein Verlust, ist Scheutz überzeugt. Aber genau diese kleinregionale Identität habe auch "innerdörfliche Subversion, Unterdrückung und andere Lebensbrutalitäten" hervorgebracht. Insofern sei die Auflösung dieser Verhältnisse auch ein Gewinn. Die helle Aufregung der "Lederhosenfraktion" über den Verlust der ursprünglichen Sprache kann er deshalb nur bedingt nachvollziehen: "Diese Leute erarbeiten eine Nostalgieversion. Sie müssen sich dann auch die Frage gefallen lassen, ob sie bereit wären, wie vor 100 Jahren zu leben!"

Ist also der Dialekt überhaupt noch zu retten? Oder anders gefragt: Ist es ratsam, den eigenen Kindern noch Mundart zuzumuten? "Innere Mehrsprachigkeit ist - wie jede Mehrsprachigkeit - ein Gewinn", meint dazu Hannes Scheutz. Erst so werde es möglich, je nach Kommunikationssituation das passende sprachliche Register zu ziehen: den Dialekt als "Sprache der Nähe", die überregionale Standardsprache als "Sprache der Distanz" - und die Umgangssprache, die den breiten Übergangsbereich zwischen dialektalen und hochsprachlichen "Extremen" umfasse.

Eine wahre Fundgrube solch mundartlicher "Extreme" ist das Institut für Österreichische Dialekt- und Namenlexika (DINAMLEX) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Es verwaltet jene fünf Millionen Einzelzettel mit mundartlichen Belegen, die seit 1913 aus allen Teilen des ehemaligen k.- und-k.-Österreich systematisch gesammelt wurden. Im "Wörterbuch der bairischen Mundarten in Österreich" (WBÖ) wurde diese Sprach-Fülle bereits dokumentiert. (Ja, richtig: Ganz Österreich spricht bairisch - mit Ausnahme von Vorarlberg und dem Außerfern in Tirol!). Um der Zettelwirtschaft den Garaus zu machen, werden die Belege seit 1993 zudem in die "Datenbank der bairischen Mundarten in Österreich" (DBÖ) eingespeist.

Mundart im Internet

Seit Februar 2007 arbeitet nun ein vierköpfiges Team im FWF-Projekt "dbo@ema" daran, rund 10.000 Datensätze und 3000 Abbildungen aus dieser Datenbank aufzubereiten und der Öffentlichkeit über das Internet kostenlos zugänglich zu machen. Bereits Ende dieses Jahres sollen Interessierte die Möglichkeit haben, über eine interaktive Landkarte zu recherchieren. "Sie können dann etwa nachschauen, welche Stichwörter, Belegzettel oder Sammlungen es in ihrem Ort gibt", erklärt Projektleiterin Eveline Wandl-Vogt vom Institut für Österreichische Dialekt- und Namenlexika.

An eine "sprechende Landkarte" sei zwar wegen der begrenzten Mittel vorerst nicht zu denken, meint die Forscherin. Mittelfristig sei jedoch das Einbauen von Video- und Tondateien geplant, um aus der bisherigen Textdatenbank ein multimediales Werk entstehen zu lassen. Durch das Prinzip der "Georeferenzierung" würden zudem einzelne Datensätze mit realen Punkten auf der Erdoberfläche verknüpft. Dadurch werde es möglich, die Daten mit ähnlich strukturierten Datenbanken (etwa dem "Digitalen Wenker-Atlas" - www.diwa.info) zu vernetzen.

Wie viele der archivierten Dialekt-Begriffe aus den 1920er Jahren "Karteileichen" sind und wie viele noch heute verwendet werden, kann Wandl-Vogt indessen nur vermuten. "Wenn man nicht mehr mit der Hand mäht, dann gehen natürlich auch die entsprechenden mundartlichen Ausdrücke verloren", meint die Forscherin. "Aber insgesamt verändert sich der Sprachschatz wesentlich weniger als häufig angenommen. Sprache ist nun einmal etwas Lebendiges."

Verwienerter Westen?

Eine besondere sprachliche Veränderung ist freilich Hannes Scheutz aufgefallen. "Es ist ein Faktum, dass sich viele Eigenheiten des Wienerischen Richtung Westen ausbreiten", weiß der Salzburger Dialektforscher. Zumindest in den Stadtsprachen gebe es demnach eine Art "Verwienerung". "Wenn ich heute in Salzburg oder Oberösterreich sage, mia is haaß' statt "mia is hoaß' oder, bei mia daham' statt "bei mia dahoam', dann fällt das niemandem mehr auf. Früher wäre das als schwerer, Viennismus' geahndet worden."

Die Ursache für diese Tendenz liegt nach Scheutz in einem "Prestigegefälle" zwischen den Dialekten begründet - auch wenn viele dies nicht wahrhaben wollten: "Den Restösterreichern geht es mit dem Wienerischen wie allen Österreichern mit dem Bundesdeutschen: Man würde zwar vielleicht bestreiten, dass die andere Sprechweise ein höheres Prestige hat, aber trotzdem nähert man sich sprachlich an."

Dieter Halwachs, Sprachminderheitenforscher an der Universität Graz, kann zumindest in der Steiermark und Klagenfurt keine "Verwienerung" erkennen. Eher noch bemerkt er eine zunehmende Verwendung bundesdeutscher Ausdrücke - als Folge der deutschen Mediendominanz. Auch wenn es wichtig sei, jede Sprache als "Ausdruck der kulturellen Evolution auf unserem Planeten" zu dokumentieren - als verbissener Bewahrer von "Kiraduim" und Co. will er ebenso wenig gelten wie sein Kollege Scheutz: "Statt Ethnosprachen zu folklorisieren, ist es gescheiter, sie in Würde sterben zu lassen", sagt Halwachs. "Sonst kommt so etwas Ekelhaftes heraus wie Tiroler, die nur noch vor Touristen schuhplatteln."

Nähere Infos unter

www.wboe.at

www.jahrdersprachen2008.at

www.landesausstellung.com

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