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Die Rettung vor dem Atomkrieg

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Die immer zahlreicher werdenden Veröffentlichungen über Fragen der Atomenergie sind ein untrügliches Zeichen für das große Interesse, das sowohl der epochalen wissenschaftlichen Entdeckung als auch den Möglichkeiten ihrer kriegerischen Verwertung entgegengebracht wird. Die fortschreitende Vertiefung der Atomforschung revolutioniert viele Gebiete von der Physik über Technik und Industrie bis zur Politik, welch letztere sich langsam in den Mittelpunkt der Betrachtungen vorschiebt. Die friedliche Verwertung der neuerschlossenen Naturkraft steckt erst in den Uranfängen und noch fehlen klare Vorstellungen von ihren zivilisatorischen Segnungen — hingegen fielen die ersten Atombomben schon 1945 und es ist daher nicht wunderzunehmen, wenn die Furcht vor einer Wiederholung ständig wächst und sehnlichst Ausschau nach Rettung gehalten wird.

Die letzten Jahre brachten uns die Bestrebungen der im Rahmen des Sicherheitsrates begründeten United Nations Atomic Energy Commission, welche die friedliche Auswer tung so gut wie die Verhinderung einer militärischen Verwendung der Atomkraft hätte regeln sollen. Im Juli 1948 stellte diese Kommission ihre Tätigkeit ein, wobei sie bemerkte, daß die Bedingungen einer Atomkontrolle außerhalb der Kommission lägen, daß ein internationales Abkommen alle Staaten umfassen müsse, daß eine Souveränitätsbeschränkung nicht zu erzielen sei und daß ein positives Ergebnis die politische Zusammenarbeit aller erfordere. So wie sich die Lage somit heute darstellt, ist eine internationale Einigung gescheitert, weshalb auch die Einzelstaaten die Atomforschung selbständig weiterführen, was unter Umständen zu den unliebsamsten Überraschungen führen kann. Der Krieg bleibt vorläufig ein von den UN sanktioniertes Mittel der Politik, die Abrüstung bleibt wie bisher vertagt und so müssen auch die kleinsten freien Staaten daran, gehen, sich mit dieser Realität abzufinden und die Konsequenz daraus zu ziehen:, sich wissenschaftlich, finanziell und politisch mit der Atomenergie zu befassen. ,.

Beachtenswerte Gesichtspunkte zu diesem ganzen Problem bringen zwei neue Publikationen: der Österreicher Thirring — schon bekannt durch seine ausgezeichnete „Geschichte der Atombombe“ — schreibt über „Atomkrieg und Welt Politik (Danubia-Verlag, Wien 1948) und der Franzose Denis de Rougemont bringt Briefe „Ü ber die Atombomb e“ (Amandus-Edition, Wien 1948), beide stehen.

gleichermaßen im Dienste der Friedensbewegung und beide sehen die möglichen Folgen eines Atomkrieges in pessimistischester Ausmalung. Trotzdem glauben sie, einen brauchbaren Weg der Rettung aus unserer qualvollen Situation gefunden zu haben.

Thirring läßt nochmals den Entwicklungsgang der Atomforschung seit 1895 vor uns vorbeiziehen, schließt daran einen kritischen Bericht über die Atomenergiekommission und versucht dann ein Bild davon zu entwerfen, wessen wir gewärtig sein müssen. 1945 sei die Bombe insofern noch segensreich gewesen, als sie den Krieg schlagartig beendete, der bei längerer Fortsetzung noch viel mehr Opfer verschlungen hätte, als in Hiroshima zu beklagen waren; in Zukunft müsse aber die Todesernte eine vielfache sein, zumal sich neben die Atombombe noch die radioaktive Verseuchung und der bakteriologisch-biologische Krieg stellen. Die bedenklichste Gefahr liege in dem Umstande, daß Kriegseröffnung und Vernichtungswirkung so unmittelbar einander folgen würden — wobei der Angreifer zunächst gar nicht feststellbar wäre —, daß sich die Verlockung zum Präventivkrieg beträchtlich steigern müsse. Die einzige Abwehr — heißt es weiter. — liege in der Abschaffung des Krieges und hiezu brauche man keine Teilabkommen, sondern nur die Einlösung des in Teheran gegebenen Versprechens. Die Signatare vOn Teheran müßten beim Wort genommen werden und hiezu entfache man eine Volksbewegung gegen den Krieg, indem man durch eine Volksabstimmung „vom Nordkap bis Sizilien“ die Leiter der großen Politik zwinge, dem Friedenswillen der Menschen endlich Rechnung zu tragen. Dies sei die Rettung vor der Atomwaffe und der gesicherte Frieden, den bloß „gescheiterte Existenzen“, „Konjunkturritter“ und „Militaristen“ ablehnen.

Rougemont kleidet seine Thirring engver- wandten Ideen in Briefform, geht wissenschaftlichen Einzelheiten aus dem Weg und verspricht sich eher von einer literarischen Behandlung des Themas Erfolg. Wir werden in Jules Vernescher Art in das Atomzeitalter versetzt, in dem man transportable Städte baut, in dem es keinen Krieg bisheriger Form mehr gibt und in dem die Atombombe weder Geheimnis noch Monopol ist. Da ’die Menschen „die Freude am Krieg“ nicht lassen können, sind sie vom Weltuntergang bedroht, vor dem es nur eine Rettung gibt, „diese Staatsmänner, Generale, Parlamentarier, Wirtschaftler, diese bezahlten Schwätzer“, die Rougemont verrückt, unzurechnungsfähig und unverantwortlich nennt, zu entfernen, dafür die Erde unter eine „planetarische Regierung“ zu steifen, an deren Spitze Menschen wirken, die „das Vertrauen der Völker hiezu bestimmt hat“. Sollte sich dann noch jemand gegen diese Regierung erheben, dann solle die „Weltpolizei“ mit der nur ihr zur Verfügung stehenden Atombombe Ordnung und Frieden wiederherstel- len … Neben manchen geistreichen Einfällen geben leidenschaftliche und bisweilen ver- letztende Ausfälle gegen die vermeintlichen Verhinderer des ewigen Friedens den Briefen eine eigenartige Note.

Bücher solcher Art sind zu begrüßen, wenn ihre Grundtendenz auf einen dauernden Frieden abzielt, und gerade Österreich wird nach seinen bösen Schicksalen der letzten Jahrzehnte auch die unwahrscheinlichsten Versuche zur Erhaltung des Friedens mit allen Kräften zu unterstützen bereit sein.

mögen wegen ihrer Begeisterung für eine Idee und ihres fanatischen Mutes, Dinge ideologischer Natur auszusprechen, um die sich gar viele sonst herumdrüdken, die aber gesagt werden müssen, die gebührende Beachtung finden. Manche überflüssige Seitenhiebe seien hiebei verziehen.

Nimmt man die Friedensbestrebungen wirklich ernst, dann ist es geboten, alle Pläne für die Sicherung des Friedens bis in ihre letzten Konsequenzen durchzudenken, widrigenfalls die angsterfüllte Menschheit erst recht getäuscht wird; Der Pazifismus

Autoren, wie Thirring ud Rougemont, verdienen zweifellos gelesen zu werden und sie muß entweder kompromißlos sein, das heißt jedwede Waffengewalt, die Tote, Verwundete, Krüppel, Witwen und Waisen zur Folge hat, ablehnen, oder er muß sich beschränken und nur das größtmögliche Maß an Kriegsverhütung anstreben, das heißt für gewisse äußerste Fälle doch die Waffengewalt hinnehmen. Viele Pazifisten wechseln ihre Position und bewerten die Kriege nach ihrer persönlichen Auffassung, wie es 1939 bis 1945 zu verfolgen war, als prominenteste Friedensvorkämpfer den Krieg gegen Hitler restlos bejahten, wir lesen bei Thirring sogar, daß es Albert Einstein war, der 1939 die Anregung zur Konstruktion der Atombombe gegeben hat. Von solchen Erwägungen aus müssen einige Gedanken sowohl Thirrings als auch Rougemonts zur Diskussion gestellt werden.

Thirring ist nicht kompromißlos, denn er bezeichnet den Krieg als zulässig, „wenn die Ursache des Streites ein für beide Teile begehrenswertes Objekt von vitaler Bedeutung wäre, wenn der Streit zum Beispiel um den

Besitz eines Gebietes ginge, in dem Bodenschätze vorhanden wären, ohne die keine der beiden… mehr weiterleben könnte“. Hier drängt sich wohl die allzu berechtigte Frage auf, was geschehen würde, wenn der zitierte fatale Fall — wie schon so oft in der Geschichte — abermals einträte und ob dann die vorgeschlagene Weltfriedensabstimmung noch in Betracht käme. Rougemont billigt seinerseits der „Weltpolizei“ das Recht zu, mit der Atombombe gegen Feinde des Friedens einzuschreiten. Abermals eine schwerwiegende Frage, wie es sich rechtfertigen ließe, gegen die Weltstaatsbürger Rougemonts mit der bisher furchtbarsten Waffe Krieg zu führen, mag auch dieser für die „Weltregierung" nur als Polizeiaktion gelten. Was diese Weltregierung im einzelnen betrifft, sei die Frage gestattet, ob Sicherungen dagegen bestehen, daß einer der die Weltregierung bildenden Gelehrten einen verhängnisvollen Irrtum begeht? Rougemont berichtet selbst, daß nach der amtlichen Ankündigung der Atombombenversuche beim Bikini-Atolll „einer der hervorragendsten Physiker" die Regierung sofort gewarnt habe, es „würde dieser Versuch eine solche Sturmflutwelle hervorrufen, daß die Sintflut im Vergleiche zu ihr kaum mehr als ein Fußbad gewesen ist". Man sieht also, nicht nur die Staatsmänner und ihre Gehilfen, sondern auch Gelehrte können irren, jeder Vernünftige wird dies einsehen, weil auch die Gelehrten nur Menschen sind, und niemand wird sich deshalb zu einer Pauschälverurtei- lung hinreißen lassen.

Rougemonts Weltregierung ist übrigens praktisch in den UN bereits verwirklicht, schließlich arbeiten dort lauter Menschen, die das Vertrauen ihrer Völker genießen. Die UN sandten jüngst einen „Vertrauensmann der Völker“ nach Palästina, damit ein solcher den Frieden erhalte. Wieder müssen wir aber eine Frage stellen: Wieso geht dort im Nahen Orient trotzdem ein regelrechter Krieg vor sich, wieso beugen sich weder Juden noch Araber den Weisungen des UN-Delegierten und wieso endete die Intervention der Weltregierung damit, daß sie von ihrem Delegierten um Truppen für Palästina gebeten wurde?

Uns will scheinen, daß solche Irrungen und Widersprüche nur möglich sind, weil die

Friedensbewegung noch größtenteils eine Schlagwortbewegung ist, die mehr auf Gefühl als auf Wirklichkeit sieht, die sich nur zu oft verleiten läßt, an die unbedingte Wirksamkeit rein mechanischer Maßnahmen zu glauben. Es kommt aber nicht auf gedruckte Formeln, Verbote und Geschäftsordnungen an, sondern ausschließlich auf die Menschen. Staaten und Menschen sind keine Gebilde, die man in ihrem Handeln schematisch-mechanisch egalisieren könnte, deshalb bewerfen sie sich sogar in Gemeinderatsstuben mit Sesseln und deshalb sind noch schwerer Malaien, Ägypter, Norweger und Chilenefi auf einen Nenner zu bringen. Die Menschen teilen sich immer in gute und schlechte und so bleibt es auch nur ein Schlagwort, daß alle Kriege lediglich das Produkt der verbrecherischen Abgeordneten, Diplomaten und Generale wären. Der Krieg hinwiederum ist, wie er sich als Kampf auf den Schlachtfeldern präsentiert, nur der .tragische Endpunkt einer sich im Frieden entwickelnden unendlichen Ursachenreihe aus. den Bezirken von Weltanschauung, Moral, Recht, Politik, Gesellschaft, Geographie, Bevölkerungsbewegung und Wirtschaft. Der Frieden ist es, der den Krieg macht und daher muß zunächst der Frieden entgiftet werden. Das wird immer übersehen und man glaubt mit der Abschaffung irgendeiner Waffe sei schon alles getan. Es ist ein wahres Unglück, daß sich die Wissenschaft mit dem verwickeltsten aller Probleme, jenem von Krieg und Frieden, viel zu wenig befaßt, daß dieses Problem als solches gar nicht Gegenständ von Forschung und Lehre ist. Wäre dies der Fall, bekäme mit einem Schlage die ganze Friedensbewegung einen fruchtbaren Inhalt und die Friedenssicherung eine weitaus erhöhte Wirkung.

Zwei große Weisheiten hat jeder Friedensfreund zu beherzigen: die jüngst wieder so gefestigte Erkenntnis, daß die Menschen in ihren grundsätzlichen geistigen Einstellungen seit urgeschichtlichen Zeiten unverändert bleiben und daß das Weltall nirgends Totalitäten kennt. Thirring und Rougemont mußten dies schließlich, wenn auch nur indirekt, einbekennen und ihre Schriften werden mithelfen, alle davon zu überzeugen, daß jede Politik vor allem die Kunst bleiben muß, das in Rechnung zu stellen, was — unmöglich ist.

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