Die schmelzende Klima-Front

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Personalnot, Regierungseinfluss, Unterdotierung. Die wirklichen Probleme des UN-Klimabeirats gehen hinter der Kulisse eines heftigen Expertenstreits unter.

Wer Antworten auf die entscheidenden Fragen in der Klimadebatte sucht, der geht neuerdings untertage. Ein internationales Team von Höhlenforschern hat in der „Cova des Pas de Vallgornera“ auf Mallorca erdgeschichtliche Entdeckungen gemacht, die nun quer über den Erdball als Sensation der interdisziplinären Klimaforschung bejubelt werden. Auf den Stalaktiten des über 50 Kilometer langen Kalksteinlabyrinths fanden sich nämlich Ablagerungen von Meereswasser aus der Eiszeit vor 81.000 Jahren. Bisher war die Lage der Höhle in der Eiszeit mit bis zu 21 Meter über Meeresniveau berechnet worden. Nun aber muss von einem raschen Anstieg und Absinken des Wasserspiegels ausgegangen werden – und das inmitten einer als stabil geltenden Kälteperiode des Planeten. Auch in diesem Zeitalter – und ohne dass der CO2-Gehalt der Luft auch nur annähernd dem heutigen Niveau entsprach, könnte es demnach zu einer raschen Erwärmung des globalen Klimas gekommen sein. Die Forschungen aus Spanien bedeuten Wasser auf die Mühlen jener Klimakritiker, die seit Jahren behaupten, der Klimawandel sei ein nicht vom Menschen ausgelöstes Phänomen, sondern ganz natürlicher Art.

Treibhausgase und hier vor allem CO2 könnten nicht die Ursache, sondern nur die Verstärker einer zugrundeliegenden Erwärmungstendenz sein. Sollte sich dieser Schluss bewahrheiten, müsste man die Klimadebatte auf einer neuen Basis beginnen und damit viele Gewissheiten infrage stellen. Vor allem jene, wie sehr der Mensch das Klima durch eigene Maßnahmen „retten“ kann. Während der Wiener Klimaforscher Reinhard Böhm diesbezüglich noch zur Vorsicht rät, meint der Klimatologe Malte Thoma vom Alfred Wegener Institut in Bremerhaven zur FAZ: „Das System könnte so komplex sein, dass wir es bisher nicht verstanden haben.“

Vorwürfe gegen UN-Klimabeirat

Doch nicht nur mit überraschenden Forschungsergebnissen sehen sich die Wissenschafter des UNO-Klimabeirates IPCC konfrontiert. Seit dem erfolglosen Klimagipfel in Kopenhagen tobt eine Debatte über den mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Weltklimarat, die sich aus Zwischenfällen und Pannen bei der Zusammenstellung des aktuellen Weltklimaberichtes speist. So wurde bekannt, dass in Teil B des Berichtes, einem etwa 1000 Seiten umfassenden Konvolut über die Auswirkungen des Klimawandels, grundfalsche Behauptungen als sichere Prognosen dargestellt wurden: Etwa, dass die Gletscher des Himalaya binnen 25 Jahren abschmelzen oder die Niederlande zu 55 Prozent unter dem Meeresspiegel liegen könnten. Aus diesen fehlerhaften Details leiten nun die Skeptiker des Klimaprozesses ihren Fundamentalvorwurf am Bericht und an ihren Kollegen ab: Unwissenschaftlichkeit, Betrug, Lüge.

Solche Extremstandpunkte manifestieren sich gerne in Publikationen, die sich zum Ziel gesetzt haben, aktuelle Debatten „gegen den Strich zu bürsten“, wie etwa „Novo Argumente“, das in seiner aktuellen Ausgabe fordert: „Kohlenstoffrechner gehören abgeschaltet!“ oder „Entwicklung gelingt nur ohne Nachhaltigkeitsdogma!“ Doch auch bisherige Betreiber des IPCC gehen nun deutlich auf Distanz. Die niederländische Umweltministerin Jaqueline Kramer: „Eigentlich hätte man den Bericht als Kompass gebrauchen können. Das geht aber jetzt nicht mehr.“

Entscheidend zu dem nun modern gewordenen „Klima-Bashing“ hat ein englischer Wissenschafter der „Universität von East Anglia“ beigetragen, dessen Mailverkehr mit einem US-Kollegen gehackt und im Internet verbreitet wurde. Neben der Aufforderung, Datensätze zu vernichten, wurden andere Wissenschafter verhöhnt und die Anwendung von „Tricks“ besprochen. Obwohl sich schnell herausstellte, dass die Vernichtung von Daten nicht stattgefunden hatte und das Wort „Trick“ im wissenschaftlichen Sprachgebrauch nicht Betrug, sondern einen anerkannten Mechanismus zur Harmonisierung von Daten darstellte, war globale Empörung die Folge.

Überforderte Wissenschafter?

Der beschuldigte Wissenschafter Phil Jones musste von seinem Posten zurücktreten und vergangene Woche vor einem Ausschuss des britischen Unterhauses aussagen. Die Politiker waren dabei weniger über seine Rechtfertigungen zur E-Mail-Affäre erstaunt als vielmehr über den Personalnotstand des Professors. Jones, einer der wichtigsten Koordinatoren des globalen Klimaberichtes, musste mit zwei Mitarbeitern das Auslangen finden – ein Problem, das offenbar nicht nur in England zutage tritt. Stefan Schleicher, Ökonom an der Universität Graz und Mitautor des Berichts, nennt auch die Lage der österreichischen IPCC-Wissenschafter „extrem unbefriedigend“. Die Bundesregierung, Mitauftraggeberin des Reports stelle den von ihr nominierten Wissenschaftern weder Forschungsmittel noch Reisekostenersatz zur Verfügung.

Umso mehr nehmen sich die Regierungen das Recht heraus, die Forschungsergebnisse zu interpretieren, indem sie etwa in der „Zusammenfassung für Politik-Macher“ die Extremwerte komplizierter Wahrscheinlichkeitsmodelle (Temperaturentwicklung, Glet scherschmelze, Meeresanstieg) als unwiderlegbare, dramatische Tatsachen darstellen – auf Kosten der Glaubwürdigkeit. Der Klimaforscher Reinhard Böhm, ebenfalls Co-Autor des IPCC-Klimaberichtes zieht ein bitteres Resümee des Expertenstreits: „Den Extremisten auf beiden Seiten, spreche ich das Prädikat, normale Wissenschaftler‘ ab. Sie betreiben aktiv oder unbewusst etwas, das die Wissenschaft nachhaltig schädigt, indem sie dazu beitragen, ihre Glaubwürdigkeit zu verspielen.“

Die harte Zukunft der Klimadebatte dürften auch schon die Öffentlichkeitsarbeiter des IPCC erkannt haben: Auf der Homepage der Organisation sind die Worte „Der Weg zum nächsten Weltklimabericht 2014“ mit einem aussagekräftigen Bild unterlegt. Dem Marsch einer Karawane durch eine Wüste.

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