Die Steinzeit der Gegenwart

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Christa Markom und Heidi Weinhäupl sind der Darstellung der anderen in Schulbüchern nachgegangen. Zum Beispiel jener von so genannten "Naturvölkern".

Die These, dass sich die Menschheitsgeschichte schnurstracks in eine Richtung weiterentwickelt und heutige Kulturen und Gesellschaften auf "Entwicklungsstufen" dieser Geschichte angesiedelt werden können, ist eindeutig widerlegt. Dennoch ist diese Weltsicht noch weit verbreitet. Sie findet sich am Stammtisch, in den Medien - und auch in aktuellen österreichischen Schulbüchern.

Ein anschauliches Beispiel für die Darstellung "primitiver Völker" liefert der "Lesetipp: Heinrich Harrer" im Geschichtebuch Einst und heute 2 (S. 123). Unter der Dachzeile "Steinzeitmenschen heute" wird ausführlich aus Harrers Buch Ich komme aus der Steinzeit zitiert, in dem er die Menschen in Papua-Neuguinea als "Urzeitmenschen in der Höhle, die mit ihren Steinäxten hantieren wie vor zehn-, zwanzig-oder dreißigtausend Jahren" beschreibt. Dabei widerspricht er sich selbst, denn weiter unten ist zu lesen: "Die Männer … bauen Häuser, roden den Urwald und verteidigen den Stamm."

"Primitivität"

In diesem und anderen Beispielen werden "die anderen" bereits durch die Art der Darstellung auf einer niedrigeren Stufe der Zivilisation" verortet, ihnen wird "Natürlichkeit" beziehungsweise "Primitivität" zugeschrieben. Die betreffende Gruppe wird in eine frühere Zeit versetzt und damit als statisch festgeschrieben, als Gesellschaft, die sich über die Jahrtausende nicht ändert. Der Blickwinkel und Maßstab ist dabei ein "europäischer".

Harrer spricht den Papua jedes auf die Zukunft gerichtete Denken und die Triebbeherrschung ab. "Solange sie etwas zu essen haben, essen sie, und wenn sie sich anschließend erbrechen müssen, nur um weiteressen zu können. Das Wort, Rationierung' oder, sparen' oder etwas Ähnliches gibt es weder in ihrer Sprache noch in ihrer Vorstellung." Damit werden die Papua als unersättlich und infantil beschrieben - ganz in der Tradition der westlichen evolutionistischen Wissenschaft und Sichtweise. Hingegen erscheint der westliche "Forscher", als der Harrer hier vorgestellt wird, als zivilisiert und rational. In den Diskussionsaufforderungen des Geschichtebuches wird der Gegensatz zwischen "uns" und "diesem Volk" noch verstärkt: "Welche Schwierigkeiten können sich durch das Zusammentreffen dieses Volkes mit unserer, modernen' Zivilisation ergeben? Welchen Nutzen bringt die Beobachtung dieses Volkes für die Wissenschaft?"

"Lebende Ausgrabungen"

Zwar wurde das Wort "modern" in Anführungszeichen gesetzt, doch ansonsten schließt sich Einst und heute 2 Harrers "interessanten Beobachtungen" kritiklos an. Harrer schreibt den Papua Primitivität, Rückschrittlichkeit und Wildheit zu und bezeichnet sie quasi als "lebende Ausgrabungen": "Hier braucht man nichts auszugraben, keine Menschen nach Knochenfunden zu rekonstruieren - hier ist die Steinzeit Gegenwart." Das wird noch zusätzlich über die Papua hinaus verallgemeinert: "Dies entspricht der Einstellung vieler primitiver Völkerstämme."

In diesem Beispiel werden - aufbauend auf einer über 40 Jahre alten Quelle, die leicht durch neuere Forschungsergebnisse ersetzt werden könnte - abwertende Diskurse fortgeführt, die eine lange Tradition haben. Außereuropäische Kulturen und Gesellschaften wurden in der Geschichte häufig als "primitiv" oder "unzivilisiert" konstruiert oder auf früheren "Stufen" der Menschheitsgeschichte angesiedelt. Im Gegenzug erschien Europa als Spitze einer zwangsläufigen Entwicklung der Menschheit, von der aus alle anderen beurteilt wurden. Ein "praktisches" System, das die europäische Eroberung und Kolonialherrschaft rechtfertigte: Schließlich müssten die "früheren" oder "primitiveren" Kulturen sich zwangsläufig "weiterentwickeln". Dieser so genannte Evolutionismus wurde häufig mit dem Sozialdarwinismus kombiniert, der das Recht des sozial Stärkeren propagierte - alle anderen ("Primitive", sozial Schwache usw.) seien dem Untergang geweiht. Damit wurde unter anderem auch Völkermord, Vertreibung und Landraub legitimiert. Schließlich, um es überspitzt zu formulieren, muss "aussterbenden Lebensweisen" kein Lebensraum und keine Rechte zugestanden werden - entweder sie werden "europäisch" (was sie in der kolonialen Praxis aber nie "ganz" erreichen konnten, dafür sorgten dann wieder Rassismen und Klassenhierarchien), oder sie "sterben aus".

Auch daran fanden sich Anklänge in den Schulbüchern: So lautete ein Zwischentitel in der Schilderung der Indígena-Kultur der Xingu im Amazona-Regenwald: "Indianer, musst du sterben?" - Eine Frage, die im Text implizit mit "Ja" beantwortet wurde. Als "Gründe" werden im Text die unterlegene Wirtschaftsweise, die fehlende Technologie und die (angebliche) körperliche Unterlegenheit angeführt. Die indigene Bevölkerung wird als wehrlos und den Strukturen ausgeliefert dargestellt: "Wo Gold gefunden wird, werden die Indianer brutal vertrieben." "Treffen Indianer auf weiße Siedler, werden sie häufig mit Krankheiten angesteckt, gegen die sie keine Abwehrstoffe besitzen. Masern oder Grippe können zu tödlichen Krankheiten werden."

Passive Täter

Auffällig sind hier - wie in vielen anderen Abschnitten über Gewalt oder Diskriminierung - auch die Passivkonstruktionen: Nicht die "Siedler" stecken die Indigenen an, sondern diese "werden angesteckt" und sterben aufgrund ihrer körperlichen Unterlegenheit (keine Abwehrstoffe). Damit werden Verantwortungen verschleiert. Verschwiegen wird hier auch der Widerstand der Indígenas selbst, ihre politischen Bewegungen und Persönlichkeiten, wodurch das passive Bild des "Ureinwohners" verstärkt wird. Auch staatliche Einflüsse (Schul- und Gesundheitswesen), Tourismus, Migration und Ausbau der Transporttechnologien werden bei den so genannten "Naturvölkern" teilweise ausgeblendet.

Dass derartige Komplexität auch in einfacher Sprache vermittelt werden kann, zeigt das Geografie-Buch Panorama.at1 (S. 27). Hier werden die indigenen Kulturen der Penan und der Dajak vorgestellt, wobei die Verbindungen und Technologien thematisiert werden: Die Penan würden metallene Gegenstände erwerben, respektive ertauschen - bei den Dajak wird die Verwendung der Dieselmotoren und das Schulsystem erwähnt. Dies zeigt Wandel und Verbindungen auf.

Vorurteile auflösen

In anderen Schulbüchern fand sich auch bereits in Anklängen eine Kritik der verwendeten Begriffe - beispielsweise wurde der Begriff der "Indianer" als (sinnlose) Fremdbezeichnung erklärt und auf die Alternative "native americans" hingewiesen. Leider stellt dies noch die Ausnahme dar: In einigen der im Jahr 2005 aktuellen Bücher kamen die kolonialen Erfindungen "Buschmänner" und "Pygmäen" ebenso vor wie "Zigeuner", "Negersklaven", "Eskimos", "primitive Volksstämme", "Kopfjäger", "Naturvölker", "Horde" usw. Teilweise wurden diese Ausdrücke mittlerweile gestrichen ("Negersklaven" gehört dankenswerterweise dazu).

Wer allerdings einfach nur "Zigeuner" durch "Roma und Sinti" ersetzt, wird dadurch wenig gewinnen. Nur wer die Geschichte der Begriffe und Stereotype kennt und die damit zusammenhängenden Machthierarchien und Diskriminierungen, kann sie hinterfragen und in weiterer Folge auch Vorurteile ansprechen und auflösen. Schulbücher bieten jedenfalls einen guten Ausgangspunkt, um kritisches Denken zu üben und ein geschärftes Sprachbewusstsein zu entwickeln. Doch vor allem gilt es, die Lehrenden zu erreichen - schließlich machen sie die unreflektierteste Stelle zur besten, wenn diese mit den Schülern diskutiert wird.

Die Autorinnen sind Sozial- und Kulturanthropologinnen. Kürzlich erschien ihre allgemein verständliche Anleitung zum Schulbuchgebrauch. Analysiert wurden jeweils die drei in der AHS auflagenstärksten Bücher aus den Fächern Geografie, Geschichte und Biologie auf Rassismen, Sexismen, Antisemitismus, Homophobie und andere abwertende Diskurse.

DIE ANDEREN IM SCHULBUCH. Rassismen, Exotismen, Sexismen und Antisemitismus in österreichischen Schulbüchern

Von Christa Markom & Heidi Weinhäupl

Braumüller Verlag, Wien 2007

274 Seiten, geb., € 24,90

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