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Die Steinzeitmenschen lassen grüßen

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Das Erbe unserer Vorfahren prägt nach wie vor unser Denken und Verhalten - und führt dadurch zu manch einem „Mißverständnis" zwischen Mann und Frau.

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Das Erbe unserer Vorfahren prägt nach wie vor unser Denken und Verhalten - und führt dadurch zu manch einem „Mißverständnis" zwischen Mann und Frau.

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Sie: „Wir haben uns verfahren! Fragen wir jemanden nach dem Weg." Kr: „Ich finde schon hin. Wir brauchen niemanden zu fragen." Aus einer simplen Meinungsverschiedenheit entsteht ein Streit.

Eine „typische" Situation, die wohl vielen bekannt vorkommt. Nur Klischee und erlerntes Rollenverhalten? Nicht nur, behaupten jetzt Forscher, die sich mit männlichen und weiblichen Denkprozessen auseinandersetzen. Hinter dieser beinahe sprichwörtlichen Eigenheit des Mannes, nicht nach dem Weg fragen zu wollen, verbirgt sich mehr als bloße „Sturheit".

Gewisse Mißverständnisse zwischen Männern und Frauen sind offensichtlich programmiert, denn: obwohl beide Geschlechter in ihrer Gesamtintelligenz bei diversen Tests gleich gut abschneiden, verwenden Männer und Frauen jeweils unterschiedliche Strategien zur Lösung verschiedener Aufgaben.

Männer orientieren sich im Gegensatz zu Frauen nicht so sehr an markanten Punkten in der Landschaft, schreibt beispielsweise der amerikanische Wissenschaftsjournalist William F. Allman in seinem Buch „Mammutjäger in der Metro" (siehe Bücher zum Thema). Sie skizzieren sich im Geiste eine Art Reiseroute, die sie dann abwandern. „Beispielsweise, indem sie sich merken, daß sie erst ein Stück geradeaus marschieren und dann die dritte Straße links abbiegen müssen. Frauen hingegen verlassen sich in der Regel auf Orientierungspunkte und Wahrzeichen in ihrer Umgebung." Daher würde den Männern manchmal erst sehr spät auffallen, daß sie sich „völlig verfranst" haben. „Hingegen merken weibliche Reisebegleiter, da sie sich an Landmarken orientieren, schon recht bald, daß sie gerade durch völlig unbekanntes Gebiet fahren", zieht der Wissenschaftsjournalist den Schluß.

Den Grund für diese unterschiedlichen Lösungsstrategien vermuten Wissenschafter in der Evolution. Männer waren meist Jäger und muß-

ten ständig durch fremdes Gebiet ziehen. Sie prägten sich daher eine imaginäre Landkarte im Kopf ein. Frauen hingegen betätigten sich in der Regel als Sammlerinnen. Für sie war es wichtig, sich entsprechende Details in der Landschaft einzuprägen, um im nächsten Jahr die besten Sammelplätze auch wiederzufinden.

„Diese Unterschiede in der räumlichen Vorstellung sind vielleicht der Grund für viele Ehekrisen, die sich im Verlauf einer gemeinsamen Autofahrt entwickeln", so Allman. Dabei sei die männliche räumliche Vorstellungskraft keinesfalls der weiblichen

überlegen, sondern einfach nur anders, betont der Autor.

Allman schildert in seinem Buch interessante Experimente, die diese unterschiedlichen Denkmuster veranschaulichen:

Frauen und Männer, die nichts ahnend in einem Raum voller Bücher, Bilder, Becher und anderem Gerumpel warten mußten, sollten, nachdem sie in einen anderen Raum gebeten wurden, möglichst viele dieser Gegenstände aufzählen. Im Gegensatz zu den bisherigen Erfahrungen -Männer sind bei räumlichen Versuchen im Schnitt besser - waren bei diesem Experiment die Frauen deutlich überlegen, sowohl hinsichtlich der absoluten Zahl der aufgezählten Gegenstände, als auch bezüglich der genauen Lage in der Abstellkammer.

Ein weiteres Experiment bestätigte ebenfalls die Vermutung der Forscher, daß Frauen sich vor allem an kleinen örtlichen Gegebenheiten — einem Riß in der Wand oder ei-

nem wechselnden Fußbodenmuster - orientieren. Frauen finden schneller durch komplizierte Kellerlabyrinthe. Entfernt man aber entsprechende Orientierungsmarkierungen, schneiden sie schlechter ab.

Ergebnisse, die auch Brigitte Rescher vom Wiener Institut für Neuro-physiologie bestätigen kann. „Frauen und Männer finden anscheinend andere Dinge merkenswert." Rescher beschäftigt sich seit zehn Jahren mit Unterschieden zwischen männlichen und weiblichen Verarbeitungsprozessen im Gehirn, und sie hat diese Unterschiede gefunden.

Die Neurophysiologin untersucht derzeit Testpersonen, die räumliche Vorstellungsaufgaben lö'sen sollen. „Da scheint es so zu sein, daß Männer und Frauen verschiedene Strategien bei der Bewältigung der Aufgabe anwenden, um zur gleichen, in beiden Fällen richtigen, Lösung zu kommen." Frauen würden eher verbal beschreibende Strategien anwenden, während Männer sich Gegenstände eher visuell vorstellen können. Die Neurophysiologin möchte ihre For-

schungsergebnisse aber nicht bewertet sehen: „Es geht um keine Wertung, sondern um eine Differenzierung. Mann und Frau weisen unterschiedliche geistige Verarbeitungsprozesse auf. Keines von beiden ist besser noch schlechter."

Generell schneiden Männer jedoch bei Raumvorstellungsaufgaben besser ab, während Frauen im Schnitt bei verbalen Prozessen besser sind - beispielsweise, wenn Testpersonen so schnell wie möglich Wörter mit „L" aufschreiben sollen.

Sind solche Unterschiede im Denken und Verhalten angeboren oder anerzogen?

„Wieviel wovon, das wissen wir nicht. Das beschäftigt die Menschen schon seit 2.000 Jahren und ich glaube nicht, daß irgend jemand derzeit eine Antwort daraufgeben kann", meint Rescher. Dennoch geht die Neurophysiologin davon aus, daß es genetische Komponenten gibt. Auch Hormone hätten zu gewissen Zeitpunkten, in der fünften bis sechsten Schwangerschaftswoche und kurz nach der Geburt, entscheidenden Einfluß auf die Entwicklung des Gehirnes. Die Hormone seien vermutlich dafür verantwortlich, daß sich Männer beim Denken im Gegensatz zu Frauen eher auf eine Gehirnhälfte spezialisieren. So benutzen Männer in der Regel bei Reimversuchen nur die linke Seite ihres Gehirnes, bei weiblichen Versuchspersonen zeige sich auch in der rechten Hemisphäre Gehirnaktivität.

„Diese Unterschiede korrelieren mit Ergebnissen, die man von anatomischen Untersuchungen hat", weiß Rescher. Der wichtigste geschlechterspezifische Unterschied liegt beim sogenannten Raiken, einer Verbindung zwischen der linken und rechten Gehirnhälfte. Bei Frauen besitzt der Balken mehr Faserverbindungen und ist auch größer.

Die meisten Studien deuten darauf hin, daß die Gehirne von Männern asymmetrischer sind als die von Frauen, schreibt auch die Wissenschaftsjournalistin Jeanne Rubner in ihrem Buch „Was Frauen und Männer so im Kopf haben". „Daß die Geschlechter in ihren sprachlichen und räumlichen Fähigkeiten nicht übereinstimmen, hat also möglicherweise mit der Organisation ihrer Gehirne zu tun."

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