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Die Verfassung 1920

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Das B-VG. 1920 änderte nichts an der Kreation der Regierung und an der Position ihres nun „Bundeskanzler“ genannten Vorsitzenden. Die Novelle 1929, in deren Fassung das B-VG. noch heute gilt, änderte das Bestellungsverfahren und damit auch die Stellung des Kanzlers. Der Bundespräsident ernennt und entläßt den Kanzler und auf seinen Vorschlag die übrigen Regierungsmitglieder. Der Kanzler hat diese Akte auch gegenzuzeichnen. Diese doppelte Mitwirkungsbefugnis bedeutete eine Aufwertung des Kanzlers. Die Regelung hätte auch eine gewisse „Vereinheitlichung“ der Regierung bedeuten können. Da aber das Institut des Mißtrauensvotums — der Nationalrat kann der Regierung und jedem einzelnen Minister das Vertrauen versagen, worauf sie zu entheben sind — in Geltung blieb, komplizierte sich die Struktur der Regierung. Sie steht in der Mitte zwischen Parlament und Präsident und bedarf des Vertrauens beider. — Die innere Organisation der Regierung, das Verhältnis der Minister zueinander, zum Kanzler und zur Regierung blieb unverändert: jeder Minister führt sein Ressort selbständig, unabhängig und eigenverantwortlich. Auch der Kanzler ist Minister. Er leitet das Bundeskanzleramt, ein Ministerium, das im wesentlichen die Agenden der seinerzeitigen Staatskanzlei führt. Die Regierung als Gesamtheit der Minister ist rei - nes Kollegialorgan. Ihre Mitglieder sind gleichberechtigt, der Kanzler hat procedemdi causa den Vorsitz. Er ist Vorsitzender des Kollegiums, nicht Vorgesetzter der Minister. „Im Verhältnis zu den Bundesministem ist der Bundeskanzler Kollege unter Kollegen, im Verhältnis zur Bundesregierung nur Vorsitzender und nicht Chef.“ (Merkl.) Das B-VG. weist überdies dem Kanzler eine Vielfalt von Zuständigkeiten zu, die hier nur beispielsweise angegeben werden.

Der Kanzler ist ein besonderer Garant der Verfassung. Er trägt durch die ihm obliegende Gegenzeichnung die Verantwortlichkeit für das verfassungsmäßige Zustande-

Er gehörte nun nicht mehr dem Direktorium und formell noch nicht der Regierung an; er war dem Staatsrat unterstellt. Er war Gegen-; zeichnungsorgan in bezug auf die vom Direktorium und vom Staatsrat gesetzten Akte und war unter Ministerverantwortlichkeit gestellt. In Stellvertretung der Präsidenten der Nationalversammlung hatte er den Vorsitz in der Regierung. In der Ver- fassungispraxis entwickelte sich diese Ausnahme zur Regel. Der Kanzler hatte auf das einheitliche Zusammenarbeiten aller Staatsämter (Ministerien) und auf die Wahrung der auf allen Verwaltungszweigen gemeinsamen Interessen hinzuwirken. In dieser Funktion stand ihm aber kein Imperium zu. Imperativ konnte der Staatsrat ein- greifen, der Kanzler konnte nur anregen. Der Staatskanzlei oblag die Führung der Verfassungsangelegenheiten, die Herausgabe des Staatsgesetzblattes, die Besorgung der Amtsgeschäfte des Staatsrates. Reichsgericht und Verwaltungsgerichtshof waren ihr in administrativer Hinsicht unterstellt. Sie war ja kein Staatsamt, kein „Ressort“, schien daher am besten geeignet, die Bedürfnisse dieser Gerichte zu versorgen.

Die Märzverfassung 1919 betraute den Staatskanzler definitiv mit dem Vorsitz in der aus ihm und den Staatssekretären gebildeten Staets- regierung. Die Regierung wurde von der Nationalversammlung auf Grund von Vorschlägen des Hauptausschusses gewählt. Sie war vom Vertrauen des Nationalrates abhängig. Der Kanzler hatte wohl faktisch einen Einfluß auf die Bildung der Ministerliste, aber kaum ein formelles Mitwirkungsrecht bei der Bestellung. In rechtlicher Hinsicht stand ihm nur die Gegenzeichnung der Bestellungsurkunden zu. Dem maß man die Bedeutung bei, daß kein Regierungs- mitglied gegen oder ohne den Willen des Kanzlers berufen werden konnte, „was im Interesse der Stellung .des Regierungschefs“ nötig sei.. Dies war aber -wohl ein Minimum an rechtlicher Mitwirkung.

kommen der Bundesgesetze und für die Einhaltung der Zuständigkeitsbestimmungen, die den Wirkungskreis des Bundespräsidenten betreffen. — Er ist Verbindungsorgan zwischen Nationalrat und Bundesrat, indem er diesem jeden Gesetzesbeschluß bekanntzugeben und dessen Einsprüche jenem mitzuteilen hat. — Er ist ferner Kundmachungsorgan. Ihm obliegt die Kundmachung von Bundesgesetzen sowie gewisser Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes. — Er ist in bestimmten Fällen Vertreter des Bundespräsidenten.

Er ist weiter Repräsentant des Bundes gegenüber den Ländern. So ist ihm die Bestellung des Landeshauptmannstellvertreters zur Kenntnis zu bringen.

Das B-VG. enthält aber keine Rechtsnorm, die den Bundeskanzler ermächtigt, die Richtlinien der Politik zu bestimmen. Über die Bestimmung der politischen Grundentscheidung schweigt die Verfassung. Der Kanzler ist im Gegensatz zu Regierungschefs anderer Staaten (vgl. Art. 65 des Bonner Grundgesetzes, Art. 95 der italienischen Verfassung, Art. 21 der französischen Verfassung) nicht ermächtigt, den übrigen Ministerkollegen irgendwelche

Anordnungen, und seien sie auch nur allgemeinster Art, zu geben. Er hat weder in bezug auf ihr Verhalten in ihrem Ressort, noch in bezug auf ihr Verhalten in der Regierung ein Weisungsrecht. In Korrespondenz zu dieser Rechtsstellung trägt er auch nicht die Alleinverantwortung für die Regierungspolitik. Auch in bezug auf die Verantwortlichkeit ist er also den übrigen Ministem gleichgestellt.

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