Die verkauften Leben

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Sie träumen von einem besseren Leben und enden als Prostituierte oder Haushaltshilfen. 2012 wurden in Österreich 140 Opfer von Menschenhandel identifiziert.

Er habe eine Reiseagentur, mit der er Leute nach Europa bringen könne. Er habe einige afrikanische Restaurants in Wien, in denen er Facharbeiter brauche. Das erzählte Joana Adesuwa Reiterers Ehemann in seiner Heimat Nigeria. Nach der Heirat folgte ihm die Nigerianerin im Jahr 2003 nach Wien und stellte bald fest, dass alles ganz anders sein sollte: "Ich wollte eines der Restaurants sehen, aber es gab keines. Bei uns zuhause haben auch andere Mädchen gewohnt, sie haben immer gelacht und gemeint, dass ich das alles nicht verstehen würde. Dann haben sie mich aufgeklärt“, erzählt sie. In Wirklichkeit schickte ihr Ehemann die Mädchen auf den Wiener Straßenstrich. Bald verlangte er von seiner Frau, dass sie ihn bei seiner Arbeit unterstützen solle. Sie weigerte sich: "Ich kannte damals den Begriff ‚Menschenhandel‘ nicht, aber für mich war das nicht richtig und deshalb bin ich zur Polizei und danach ins Frauenhaus gegangen“. Heute leitet Adesuwa Reiterer den Verein "Exit“, der Frauen aus Nigeria in solchen Notlagen zur Seite steht.

180 Personen wurden 2012 verdächtigt, in Menschenhandel involviert zu sein, 140 Opfer konnten ausfindig gemacht werden. "Die meisten Fälle haben wir im Bereich der sexuellen Ausbeutung“, sagt Gerald Tatzgern vom Bundeskriminalamt (BKA). Österreichweit würden insgesamt etwa 10.000 Prostituierte arbeiten, nur 6500 davon gingen dieser Beschäftigung legal nach, was laut Tatzgern aber nicht automatisch bedeute, dass sie das auch freiwillig tun würden. Jene Frauen, die in Österreich als Opfer des Menschenhandels identifiziert werden konnten, stammten zumeist aus Rumänien oder Bulgarien, gefolgt von Ungarn und Nigeria. Auch jene Opfer, die sich an die Interventionsstelle für Betroffene von Frauenhandel (LEFÖ-IBF) wendeten, wurden zu zwei Dritteln sexuell ausgebeutet und zu einem Drittel als Haushaltshilfen oder in anderen Arbeiten ausgenutzt.

Hohe Dunkelziffer

Laut Evelyn Probst, Koordinatorin von LEFÖ-IBF, sagen diese Zahlen aber nichts über das tatsächliche Verhältnis der Betroffenen aus: "Der Großteil der Behörden verbindet Menschenhandel mit sexueller Ausbeutung und so werden Opfer aus anderen Bereichen schwerer wahrgenommen“. Zwar sind es laut BKA vor allem Frauen, die von Menschenhändlern ausgebeutet werden, aber der Prozentsatz der betroffenen Männer sei höher, als es an das Tageslicht käme: "Männliche Opfer werden meistens im Travestie-Bereich oder in der Landwirtschaft und im Bauwesen zur Arbeit geschickt“, so Tatzgern.

Egal aus welchem Land die Betroffenen stammen, Menschenhandel baut immer auf dem Wunsch nach einem besseren Leben auf. "Genau dort setzen die Händler an und leiten es zu dem um, was sie wollen - nämlich möglichst viel Geld in möglichst kurzer Zeit zu verdienen“, erklärt Evelyn Probst. Beim Anwerben der Frauen wird unterschiedlich vorgegangen. Oftmals kennen die Betroffenen die Mittelsmänner persönlich, nigerianische Händler bieten ihren "Kundinnen“ ein Gesamtpaket, das Transport, Arbeitssuche und Unterkunft beinhalten soll, gegen 45.000 bis 50.000 Euro an. Versprochen wird ihnen eine Arbeit als Babysitterin oder in einem afrikanischen Lokal, in Wien angekommen werden sie in ganz anderen Bereichen als vereinbart eingesetzt. Innerhalb Europas geschieht die Anwerbung von migrationsbereiten Frauen oft ganz banal über Annoncen in Zeitungen, Mundpropaganda oder hoch professionell wirkende Internetseiten.

"Wir hatten einmal eine Frau bei uns, die als Pflegerin angeworben wurde. Sie hat dann auch tatsächlich in diesem Beruf gearbeitet, aber sie hat dafür kein Geld bekommen, ist sehr schlecht behandelt worden und auch der Pass wurde ihr weggenommen“, erzählt Evelyn Probst. Im Bereich der Hausangestellten werden oftmals sogar Agenturen in den Menschenhandel hineingezogen: Hier sucht ein Arbeitgeber beispielsweise eine Haushaltshilfe, eine Agentur durchforstet die Lebensläufe der angemeldeten Frauen und vermittelt sie an diesen weiter. Im Arbeitsverhältnis sind die Bedingungen dann aber oft ganz anders, als sie ursprünglich festgelegt worden sind.

Wird den Frauen in Österreich klar, dass sie von den Menschenhändlern betrogen worden sind, ist der Weg zur Polizei kein leichter. "Die Frauen denken, dass ihnen sowieso niemand glauben wird. Sie machen sich selbst für ihre Situation verantwortlich, weil sie den Kriminellen geglaubt haben“, so Probst. Oft haben die Händler die Frauen zudem unter psychischer und physischer Gewalt, drohen mit Folgen für die Familie und erzählen ihren Opfern, dass sie die Polizei nur zurück in ihre Heimat abschieben würde. Auch die Familien der Betroffenen üben häufig Druck auf die Frauen aus: Sie verstehen nicht, warum sie in Österreich nicht arbeiten, wo sie doch genau deshalb ausgewandert sind und gleichzeitig schämen sich die Opfer, zu erzählen, welche Arbeit sie in Wirklichkeit ausüben müssen. "Was übrig bleibt ist der Eindruck, dass das Mädchen nach Europa gekommen ist und sich dann weigert, zu arbeiten“, erklärt Adesuwa Reiterer die Lage vieler Nigerianerinnen. Für jene Frauen, die sich dazu überwinden können, sich der Polizei anzuvertrauen, bemüht sich LEFÖ-IBF um ein unbefristetes Bleiberecht: "Der Staat hat die Verantwortung dafür, dass hier kein Verbrechen passiert. Aber er konnte das Opfer nicht davor schützen, dass seine Menschenwürde in dieser Massivität angegriffen oder sogar zerstört wurde“, so Evelyn Probst.

Kultur der Ausbeutung

Auch wenn es letztendlich gelingt, aus den Fängen der Menschenhändler zu fliehen, ist ein geregeltes und "normales“ Leben für die Frauen nicht gesichert. "Sie sind traumatisiert und wenn sie beispielsweise wieder abgeschoben werden, nehmen ihre Familien sie oft nicht mehr bei sich auf und am Ende stehen sie alleine, ohne Arbeit und Geld da. Dann beginnt der Kreislauf von neuem“, sagt Adesuwa Reiterer. Um das Geschäft mit den Menschenleben zu bekämpfen, müsse man laut Gerald Tatzgern vom BKA bei der Armutsbekämpfung in den Herkunftsländern der Opfer ansetzen. Auch der einzelne Bürger könne helfen: "Die Bevölkerung ist ja oft indirekt beteiligt, indem sie Güter aus Ländern kauft, in denen die Arbeiter ausgebeutet werden und wo der Käufer diese Ausbeutungssituationen gar nicht wahrhaben will“. Dem schließt sich auch Evelyn Probst an: "Eine Kultur, in der alles so billig wie möglich zu sein hat und in der ein Spruch wie ‚Geiz ist geil‘ ewig verwendet wird, hält davon ab, den Menschenhandel zu stoppen“. Für Joana Adesuwa Reiterer ist auch die Aufklärung der Öffentlichkeit wichtig, jeder einzelne, nicht nur Bordellbesucher, müsse Verantwortung übernehmen: "Wenn eine Frau, die zur Prostitution gezwungen wird, pro Kunde etwa 15 Euro bekommt und sie bei ihren ‚Händlern‘ 50.000 Euro Schulden hat, kann man sich ausrechnen, wie oft sie unfreiwillig mit einem Freier schlafen muss. Jede derartige Dienstleistung ist im Grunde eine Vergewaltigung und wie können wir dabei zusehen, wenn eine Frau über tausend Mal vergewaltigt wird?“.

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