Die Vermessung des Unsichtbaren

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Astronomen haben die bisher umfangreichste Karte der Verteilung Dunkler Materie im Universum erstellt. Was genau die mysteriöse Substanz ist, bleibt aber unbekannt.

Laut Astronomen bestehen nur etwa vier bis fünf Prozent des Universums aus "gewöhnlicher“ Materie. Das ist jener Stoff, aus dem Menschen, Pflanzen, Moleküle und Sterne zusammengesetzt sind. Der große Rest ist dunkel - aber vorhanden. Er setzt sich aus Dunkler Energie und Dunkler Materie zusammen. Erstere sorgt für die Expansion des Universums. Letztere bewirkt das Gegenteil, indem sie als unsichtbarer kosmischer Klebstoff die sichtbare Materie zusammen hält. Vergangene Woche stellte ein kanadisch-britisches Team von Astronomen auf einer Tagung der Amerikanischen Astronomischen Gesellschaft die bislang umfangreichste Karte Dunkler Materie vor.

Das kartierte Gebiet umfasst mehr als eine Milliarde Lichtjahre und ist damit rund 100 Mal größer als die bisher größte Karte. Nach wie vor weiß man recht wenig über Dunkle Materie. "Ihre Verteilung zu kennen, ist der erste Schritt ihre Natur zu verstehen und wie sie in unsere aktuellen physikalischen Theorien passt“, sagt Projektleiter Ludovic Van Waerbeke, von der University of British Columbia. Die Vermessung ist aber auch deshalb bemerkenswert, weil man Dunkle Materie nicht direkt beobachten kann. Sie gibt keinerlei elektromagnetische Strahlung ab, ist also unsichtbar für Radio-, Röntgen- oder Lichtteleskope.

Sechs Milliarden Jahre lang unterwegs

Die Wissenschaftler haben für ihre Vermessung deshalb eine Methode angewendet, die den sogenannten Gravitationslinseneffekt ausnützt. Dabei macht man sich zunutze, dass Licht entfernter Galaxien und Sterne abgelenkt wird, wenn es sich in der Nähe sehr großer Massen befindet. Beim Betrachter kommt das Licht verzerrt an. Daraus kann man errechnen, wo sich Masse, in diesem Fall unsichtbare Dunkle Materie, befinden muss (siehe Kasten). Die Forscher analysierten Bilder von zehn Millionen Galaxien, die über einen Zeitraum von fünf Jahren am CFH-Teleskop (Canada-France-Hawaii Telescope) in Hawaii aufgenommen wurden. Das Licht der am weitesten entfernten Galaxien war sechs Milliarden Jahre unterwegs zur Erde. Das ist halb so lang wie das Universum existiert.

Das Ergebnis dieses Verfahrens präsentiert ein Bild, in dem Dunkle Materie als komplexes Netzwerk von Knoten und schmalen Verbindungen das Weltall durchzieht. Dabei ist die Dichteverteilung der Dunklen Materie gerade dort am größten, wo es viel sichtbare Materie, also Galaxien, gibt. Die Wissenschaftler betonen, dass die Verteilung Dunkler Materie sehr gut mit am Computer erstellten Prognosen übereinstimmt. "Diese Arbeit ist deshalb so wichtig, weil man zum ersten Mal Messungen mit den Prognosen von Computersimulationen vergleichen kann“, meint Bodo Ziegler, Professor am Institut für Astronomie der Uni Wien. "Es zeigt, dass unser Verständnis vom Urknall und den Mechanismen der Strukturbildung im Universum weitgehend richtig ist.“ In den kommenden drei Jahren wollen die Astronomen ein um den Faktor Zehn größeres Gebiet kartieren.

Gravitationskraft Dunkler Materie

Der Nachweis Dunkler Materie ist wichtig für Astronomen, weil sie eine Erklärung für einige ansonsten nur schwer deutbare Phänomene liefert. Auf den Themenplan der Astronomie kam Dunkle Materie erstmals im Jahr 1933. Damals beobachtete der Schweizer Wissenschaftler Fritz Zwicky den etwa 300 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernten Coma-Haufen - eine Ansammlung aus rund 1000 Galaxien.

Wie Planeten um ihren Zentralstern, so rotieren auch Galaxien um ein Zentrum. Zwicky fiel auf, dass sich die äußersten Galaxien schneller um dieses Zentrum drehten, als das gemäß der damals vorherrschenden Ansicht der Fall sein dürfte. Eigentlich hätten sie aus dem Galaxiehaufen fliegen müssen wie ein Auto, das zu schnell in eine Kurve rast. Der Wissenschaftler postulierte, dass eine unsichtbare Masse aufgrund ihrer Gravitation die Galaxien zusammen hält. Anfangs wurde seine Theorie von der Fachwelt zwar nicht ernst genommen. Das änderte sich jedoch im Laufe der folgenden Jahrzehnte dank immer neuer Beobachtungen, die seine Vermutung bestätigten.

Obwohl sich Dunkle Materie nur indirekt nachweisen lässt, glauben die meisten Astronomen heute an ihre Existenz. Sie ist integrativer Bestandteil des kosmologischen Standardmodells, das die Entwicklung des Universums beschreibt. Die Gravitationskraft Dunkler Materie bietet eine stimmige Erklärung dafür, wie sich in der Frühzeit des Universums sichtbare Materie zu Sternen und Galaxien verbunden hat. Nach wie vor ungeklärt ist aber, woraus sie besteht.

Die Mehrheit der Forscher meint, dass sich Dunkle Materie aus noch unentdeckten Elementarteilchen zusammensetzt, die sie WIMPS nennen (Weakly Interacting Massive Particles; dt.: schwach wechselwirkende Teilchen mit Masse). Der Theorie zufolge sind diese Teilchen praktisch überall vorhanden. Sie durchdringen gewöhnliche Materie, hinterlassen dabei aber so gut wie keine Spuren. Deshalb ist der Nachweis von WIMPS keine triviale Aufgabe. Weltweit gibt es mehrere großexperimentelle Anlagen, die Ausschau nach WIMPS halten. Sie befinden sich tief unter der Erde, um vor kosmischer Strahlung geschützt zu sein, welche die Messungen stören würde.

Astronomie oder Teilchenphysik?

Die größte derartige Anlage ist CRESST (Cryogenic Rare Event Search with Superconducting Thermometers, dt. etwa: tiefgekühlte Suche nach seltenen Ereignissen mittels supraleitender Thermometer) im Inneren des italienischen Gran-Sasso-Gebirgsmassivs. Wichtigste Komponente von CRESST ist ein Detektor aus 33 Kalziumwolframat-Kristallen. Kollidiert eines der gesuchten WIMP-Teilchen mit Kristallatomen, sollte sich dieses Ereignis in Form eines minimalen Temperaturanstiegs in der Größenordnung weniger Millionstel Grad bemerkbar machen. Zwischen Juni 2009 und April 2011 hat der Detektor 67 solcher verdächtigen Ereignisse registriert - zu wenig um den strengen Kriterien eines wissenschaftlichen Beweises zu genügen.

Andere Detektoren wie die ebenfalls im Gran-Sasso-Massiv beheimateten Xenon100 und DAMA/LIBRA oder das amerikanische CoGeNT-Experiment haben Hinweise auf WIMPS gefunden. Doch es fehlt die statistische Signifikanz, um auszuschließen, dass diese Ereignisse nicht von gewöhnlicher Hintergrundstrahlung verursacht wurden. "Es wäre eine Erlösung für die wissenschaftliche Gemeinschaft, wenn man endlich so ein Teilchen experimentell nachweisen könnte“, sagt Bodo Ziegler. Parallel zu den (unter)irdischen Bemühungen wird deshalb im All nach Dunkler Materie gesucht. Etwa mit dem europäischen Satelliten PAMELA oder dem NASA-Weltraumteleskop Fermi. Spannend bleibt, wer zuerst das Rätsel der Dunklen Materie löst - Astronomie oder Teilchenphysik.

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