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Durch die Hintertür ?

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Ein ungewöhnliches Problem dürfte demnächst die Oeffentlichkeit beschäftigen: die Frage der „sozial-medizinischen Indikation”. Nach Pressemeldungen, insbesondere über einen Vortrag des Justizministers, hat sich die Strafrechtskommission dafür ausgesprochen, daß straffrei bleiben soll, wer eine Fruchttötung nach gewissenhafter Prüfung deshalb vorgenommen hat, um von einer Schwangeren eine Lebensgefahr oder eine Gefahr einer lange dauernden, schweren Gesundheitsschädigung abzuwenden. Eine ähnliche Bestimmung gilt, allerdings eingeschränkt, schon derzeit. Neu hinzukomm e,n soll jedoch, daß bei Beurteilung der Gesundheitsschädigung auch die wirtschaftlichen Verhältnisse der Frau zu b e r ü c k s i c h t i g e n s i n d. Da- mjt wäre aber die sozial-medizinische Indikation inj Strafgesetz verankert.

Von medizinischer Indikation spricht man, wenn das Kind einer Schwangeren getötet werden darf, deren Leben oder Gesundheit andernfalls ernstlich gefährdet wäre. Unser Strafgesetz anerkennt diese Indikation nicht ausdrücklich; nach § 3 57 a StG. ist aber der Arzt straffrei, wenn er sich „gewissenhaft” oder „nach etwa bestehenden Vorschriften” davon überzeugt hat, daß eine gegenwärtige Lebensgefahr oder die Gefahr dauernden schweren Schadens für die Gesundheit der Frau nicht anders abgewendet werden kann. Da es aber die erwähnten „Vorschriften” bei uns derzeit nicht gibt, können sich gewissenlose Aerzte allzu leicht die Voraussetzung für Straffreiheit schaffen. Es ist erfreulich, daß vor kurzem im Nationalrat ein Gesetzentwurf eingebracht wurde, der diese Gesetzeslücke schließen soll.

Leider haben andere Staaten die Straflosigkeit bei gegebener medizinischer Indikation in ihr Strafrecht ausdrücklich eingebaut, obwohl die Biologie das „Mensch-sein” im Mutterleib sehr früh ansetzt und das Naturrecht, vom Verteidigungskrieg und von der Notwehr abgesehen, die Tötung eines unschuldigen Menschen verbietet. Denselben Standpunkt vertritt auch eindeutig die katholische Kirche sowohl im kanonischen Recht wie auch in Aeußerungen der Päpste. Die Stellungnahme der modernen Aerzte zur medizinischen Indikation ist zwar in der Praxis noch verschieden, doch wird die medizinische Indikation nach Auffassung der medizinischen Wissenschaft jetzt überhaupt nur mehr für seltene Fälle ernstlich erwogen.

Mit „sozialer Indikation” bezeichnet man die wirtschaftlichen und sozialen Gründe, derentwegen das Strafgesetz die Tötung im Mutterleib erlaubt oder für straffrei erklärt. Diese Indikation ist in unserem Strafrecht derzeit nicht verankert. Trotzdem führen Angeklagte häufig soziale Gründe als Rechtfertigung an. Für viele werdende Mütter mag ja tatsächlich wirtschaftliche Not ein mildernder Umstand sein, den der Richter berücksichtigen wird. Die gesetzliche Anerkennung dagegen wäre, vom naturrechtlichen und vom religiösen Standpunkt abgesehen, ein glatter Widerspruch zur Idee des Rechts- und des Sozialstaates und zöge ungeahnte Weiterungen nach sich.

Nach der Verfassung sind alle Staatsbürger vor dem Gesetz gleichberechtigt; einige Gesetze nehmen die Ungeborenen unter ihren besonderen Schutz. So haben nach § 22 ABGB selbst ungeborene Kinder vom-Zeitpunkt der Empfängnis an Anspruch auf den Schutz des Gesetzes. Unser Jugendwohlfahrtsgesetz aus dem Jahre 1954 tritt gleichfalls für d’ė Sicherung der körperlichen Entwicklung des Kindes von der Empfängnis an ein. Die Straffreiheit der sozialen Indikation widerspräche diesen Bestimmungen Oesterreich wird häufig als Sozialstaat bezeichnet und hat erst vor kurzem ein vorbildliches Mutterschutzgesetz erlassen, welches Leben und Gesundheit der Dienstnehmerinnen und ihrer Kinder schützen will. Auch das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz gewährt Dienstnehmerinnen wichtige wirtschaftliche Hilfe, die auch dem Ungeborenen zugute kommt. Im Gegensatz zu diesen gesetzlichen Bestimmungen würde der Staat bei Anerkennung der sozialen Indikation die Pflicht, vornehmlich das Leben der wirtschaftlich Schwachen zu schützen, kraß verletzen. Die Anerkennung dieser Indikation würde folgerichtig auch den Mord an bereits geborenen Kindern rechtfertigen, wenn sie ärger Not preisgegeben sind; auch die Tötung Erbkranker und Siecher jedes Alters müßte aus dem gleichen Grunde straffrei werden.

Die Ablehnung der sozialen Indikation besagt natürlich nicht, daß die wirtschaftliche Notlage einer Schwangeren unberücksichtigt bleiben solle. Im Gegenteil! Behörden, die Verwandten, Nachbarschaft, die religiöse Gemeinschaft und auch die private Wohlfahrtspflege müssen alles daransetzen, die wirtschaftliche Lage der Betroffenen zu sichern. Es handelt sich hier meist um Mangel an Geld, Lebensmitteln, Kleidern; unzulängliche Wohnverhältnisse; die Notwendigkeit, Mutter und Kind vorübergehend in einem Heim unterzubringen, wenn die Großeltern nicht zur Aufnahme des Neugeborenen und seiner Mutter zu bewegen sind.

Die großen Erfolge der Wiener SOS-Gemein- schaft mit weit mehr als 700 geretteten Kindern beweisen, was schon private Fürsorge auf diesem Gebiete leisten kann. Selbst vom Staate und anderen öffentlichen Stellen ist in Oesterreich manches geschehen. Außer dem MutterSchutzgesetz und dem ASVG denke man nur an das Fürsorgerecht, an die Hebammen- und Mütterberatungsstellen, an die Säuglingswäscheaktion und die Geburtenbeihilfe des Familienlastenausgleichsgesetzes. Trotzdem sollte das soziale Gewissen unsere Abgeordneten nicht ruhen lassen, bis sie dem negativen Un- geborenenschutz des Strafgesetzes eine gesetzlich verankerte positive Fürsorge und eine Familienpolitik im Sinne der Papstenzykliken an die Seite gestellt haben. (Ein Antrag der Abgeordneten Solar aus jüngster Zeit weist in diese Richtung.) Aber auch die private Wohlfahrtspflege sollte der Ungeborenenhilfe viel mehr Interesse und Mittel zuwenden.

Wir haben uns ausführlicher mit der sogenannten sozialen Indikation befaßt, da sie möglicherweise durch ein Hintertürchen als sozial-medizinische Indikation in die. Strafgesetznovelle Eingang finden könnte.

Wir müssen uns nun darüber klar sein, daß die Gründe gegen die reine soziale Indikation fast zur Gänze auch gegen die sozial-medizinische Indikation sprechen. Bei der letzteren kann es sich um zwei Fälle handeln, nämlich entweder um die Schwierigkeit, die Mittel für eine kostspielige Behandlung zur Sicherung für Leben und Gesundheit der werdenden Mutter aufzubringen, oder um die wirtschaftliche Notlage nach der Geburt des Kindes, wodurch eine Lebensgefahr oder eine weitere dauernde Schädigung ihres schlechten Gesundheitszustandes herbeigeführt würde. In beiden Fällen aber gibt nicht der Gesundheitszustand der Frau den Ausschlag, sondern ihre sozial-wirtschaftliche Lage, so daß sich diese Indikation von der reinen sozialen Indikation nicht wesentlich unterscheidet. Der Arzt könnte hier nie sagen, daß die Gesundheits- oder Lebensgefährdung nur durch den Eingriff abgewendet werden könne; er müßte zumindest hinzufügen: „sofern die derzeitige Notlage weiterbesteht”. Diese zu beheben ist aber Sache der erwähnten Gemeinschaften. Leichtfertig und verantwortungslos wäre es, statt solcher Hilfeleistung Kinder im Mutterschoß einfach zum Tod zu verurteilen. Außerdem gefährdet ja — vom Grundsätzlichen ganz abgesehen — jeder Eingriff die Frau gesundheitlich, und zwar um so mehr, wenn sie krank und in wirtschaftlicher Not ist. Und wenn Begutachtungskommissionen wieder geschaffen werden, müßten sie sich in solchen Fällen unbedingt gegen den Eingriff aussprechen, weil eben nicht alles geschehen ist, um Leben und Gesundheit der Frau zu retten; sie müßten sich aber zugleich dafür einsetzen, daß alles Menschenmögliche getan wird, um die wirtschaftliche Not der werdenden Mutter zu beheben. Wie die Ungeborenenhilfe der SOS- Gemeinschaft bewiesen hat, ist eine solche Fürsorge möglich.

So oder so: auf jeden Fall muß verhindert werden, daß die Straffreiheit bei gegebener sozial-medizinischer Indikation in unser Strafrecht Eingang findet.

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