Ein Computer, der arbeitet wie ein Gehirn

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Der Traum, künstliches Leben zu erschaffen, im Zeitalter der Neurowissenschaften: Ein im Computer generiertes Gehirn. Wissenschaftler am Schweizer Brain and Mind Institute der École Polytechnique in Lausanne sind dieser Vision eines virtuellen Denkorgans so nahe gekommen wie bisher noch niemand vor ihnen. Im „Blue Brain Project“ stellen sie nicht nur Funktionen des menschlichen Gehirns nach. Ambitioniertes Ziel ist vielmehr eine Eins-zu-Eins-Nachbildung sämtlicher Neuronen und ihrer Verschaltungen.

„Ein Gehirn auf zellulärer Ebene zu modellieren, ist eine gewaltige Aufgabe“, sagt Projektleiter Henry Markram. „Dazu müssen hunderttausende Parameter in die Berechnungen miteinbezogen werden.“ Dafür steht den Forschern ein BlueGene/L-Supercomputer von IBM zur Verfügung. Der Rechenknecht hat die Größe von vier Kühlschränken, besteht aus 8192 Prozessoren und verarbeitet knapp 23 Billionen Gleitkommaoperationen pro Sekunde. Doch selbst seine Leistungsfähigkeit reicht nicht aus, um ein komplettes menschliches Gehirn in allen Details zu simulieren. Deshalb haben sich die Hirnbastler in einem ersten Schritt erst einmal den Neokortex einer zwei Wochen alten Ratte vorgenommen.

Ständig komplexere Modelle

Es gelang ihnen, ein exaktes dreidimensionales Modell einer so genannten kortikalen Säule zu erstellen. Dabei handelt es sich um etwa zwei Millimeter lange Einheiten aus jeweils etwa 10.000 Neuronen. Jede einzelne Nervenzelle steht mit rund 3000 anderen im Signalaustausch. Das ergibt ein hochkomplexes Gefüge, einem elektrischen Schaltkreis vergleichbar. Dann ließen sie die Simulation ablaufen, indem sie elektrische Impulse durch das Modell schickten und zusahen, welche Wege die resultierenden Signalketten nahmen. Die visuelle Auswertung dieser mehrere Hundert Gigabyte großen Datenmenge übernimmt ein auf Grafikverarbeitung spezialisierter anderer Supercomputer. „Es ist, als säße man direkt im Hirn“, sagt Markram. „Man kann eine einzelne Zelle anzoomen und beobachten, wie sie feuert.“

Nun arbeiten die Wissenschaftler daran, die Komplexität ihres Modells sukzessive zu erhöhen. Das Endziel ist eine funktionsfähige Simulation des menschlichen Gehirns. In Interviews gibt sich Makram diesbezüglich stets hoch optimistisch. Doch auch ihm ist klar, dass zuvor noch etliche Fragen zu klären sind. So ist es eine der Grundannahmen des Blue Brain Project, dass die kortikale Säule in allen Säugetieren ähnlich funktioniert. Ausgehend vom bereits erstellten Rattenmodell könnte man sich so schrittweise zur Simulation höherer Lebewesen vorarbeiten. Manche Neurowissenschaftler bezweifeln jedoch, dass diese Grundannahme zutrifft. Ein weiteres Problem: Nach derzeitigem Wissensstand verändert sich die kortikale Säule während des Lebens. „Solche altersabhängigen Veränderungen müssten eigentlich in ein Hirnmodell miteinbezogen werden“, meint etwa Dirk Feldmeyer vom Forschungszentrum Jülich. Außerdem setzt jedes Modell ein detailliertes Verständnis des Originals voraus. Im Falle des menschlichen Gehirns ist man davon aber noch weit entfernt. Dann ist aber auch unklar, wie man mögliche Fehler der Computersimulation erkennen könnte. Makram antwortet den Kritikern, dass er eben Grundlagenforschung betreibe. „Viele Neurowissenschaftler betrachten unser Projekt sehr skeptisch“, gibt er zu. „Aber wenn man auf die Skeptiker hört, geht gar nichts weiter.“ (R. L.)

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