Ein „Milchbubi“ in grimmiger Kälte

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Andere seines Kalibers würden diese Episode ihres Lebens peinlich berührt unter den Tisch fallen lassen. Doch Rudolf Grimm macht sich aus seiner Vorgeschichte als Gitarrist der Punk-Band „Bärchen und die Milchbubis“ noch heute seinen Spaß: Auf der Homepage des 48-jährigen Experimentalphysikers prangt ein Schwarz-Weiß-Foto, das den Zwei-Meter-Hühnen Anfang der Achtzigerjahre inmitten seiner Bandkollegen zeigt: knappes T-Shirt, Hosenträger, weltverbesserischer Blick. Songs wie „Schweinekram“ oder „Jung kaputt spart Altersheim“ gibt es zum Runterladen. „Hardcore-Pop für die aufgeklärten Teenager“, urteilte Twen 1982 über die Neue-Deutsche-Welle-Band. Doch im Sommer 1983 kam das Aus – und der gebürtige Mannheimer Rudolf Grimm stellte seine Gitarre in die Ecke. Zum Glück: Heute gilt der in Innsbruck tätige Quantenphysiker als einer der erfolgreichsten Forscher auf seinem Gebiet.

Grimms Forschungsdomäne ist die ultrakalte Quantenmaterie; seine Experimente kreisen um die Phänomene Bose-Einstein-Kondensat (BEC), Superfluidität und Supraleitung. Im Zustand des BEC verlieren Teilchen bei Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt (–273,15 °C) quasi ihre Identität und beginnen – völlig ohne Reibung – im Gleichmarsch zu funktionieren. BEC gilt als völlig eigener Zustand der Materie – neben fest, flüssig oder gasförmig. 2002 gelang Grimms Arbeitsgruppe die weltweit erste Erzeugung eines Bose-Einstein-Kondensats aus Cäsiumatomen, ein Jahr später erzeugte er erstmals ein BEC aus Molekülen.

Dass Grimm in der Lage ist, diese komplexen Forschungen anschaulich zu präsentieren, hat ihm Dienstag dieser Woche die Auszeichnung zu Österreichs „Wissenschafter des Jahres 2009“ eingebracht – verliehen vom Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten. „Herr Grimm hätte sogar selbst Journalist werden können, so gut kann er Texte formulieren“, meint ein Kollege.

Gottlob sollte es anders kommen: Nach dem Aus der „Milchbubis“ schloss Rudolf Grimm in Hannover sein Physik-Studium ab und forschte von 1986 bis 1989 als Doktorand an der ETH Zürich. Anschließend ging er für ein Semester ans Institut für Spektroskopie der Akademie der Wissenschaften der UdSSR bei Moskau, wo er seine russische Frau kennenlernte. Es folgten zehn Forschungsjahre am Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg und 2000 die Berufung auf den Lehrstuhl für Experimentalphysik an der Universität Innsbruck. Dort leitet er seit 2006 das Forschungszentrum für Quantenphysik. Außerdem ist er seit 2003 wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Unter dem Dach dieses Instituts sorgt er gemeinsam mit Rainer Blatt, Hans Briegel und Peter Zoller (in Innsbruck) sowie Anton Zeilinger (in Wien) regelmäßig für Schlagzeilen. „Rudi Grimm vereinigt auf ganz ungewöhnliche Weise kreatives Forschen mit besonnenem und zielgerichtetem Vorgehen“, streut ihm Anton Zeilinger Rosen. Die Ehrung mit dem Wittgenstein-Preis, der am höchsten dotierten österreichischen Wissenschaftsauszeichnung, war 2005 nur logisch.

Auch die Republik Österreich machte dem großen Deutschen ihre Aufwartung – und verlieh dem Ex-„Harcore-Popper“ 2007 die österreichische Staatsbürgerschaft. „Das war aber wegen meiner Leistungen“, betont der Vater dreier Kinder in Anspielung auf Kärntner Unsitten. „Bezahlt habe ich dafür nicht.“

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