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Ein Novum in der Gesetzgebung

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Eine ausgesprochene Diskriminierung des Richterstandes durch den Gesetzgeber erblicken nicht nur Richter, sondern auch Außenstehende in dem 94 RDG, der keine Parallele im früheren Dienstrecht, aber auch keine in der übrigen österreichischen Gesetzgebung hat. Darnach hat das Dienstrecht einem Richter für das Verfahren bei der „unfreiwilligen Versetzung in den zeitlichen oder dauernden Ruhestand“ bei Vorliegen von Umständen, die die Vermutung begründen, daß der Richter infolge geistiger Gebrechen zur Besorgung seiner Angelegenheiten unfähig ist, einen Kurator zu bestellen, der für den betroffenen Richter am Verfahren teilzunehmen hat... Letzteres kann nach der österreichischen Gesetzessprache nur bedeuten, daß der betroffene Richter persönlich aus diesem Verfahren ausgeschaltet ist, daran nicht mehr teilnehmen darf; für eine solche Maßnahme genügt bereits die „begründete Vermutung“ eines geistigen Defekts, der. Handlungsunfähigkeit bzw. Geschäftfunfäji higkeit zur Folge hat.

Es handelt sich hierbei, wie gesagt! um ein Novum in der österreichischen Gesetzgebung und eine ausschließlich auf Richter anwendbare Sonderbestimmung. Keinem anderen öffentlichen Beamten, keinem sonstigen österrei-chen Staatsbürger, keinem Ausländer, keinem noch so gemeingefährlichen Individuum darf ohne rechtskräftig abgeschlossenes, gesetzlich genau geregeltes und mit allen möglicher Garantien gegen Mißbrauch ausgestattetes Verfahren (Entmündigungsverfahren) gegen seinen Willen ein Kurator aufgedrängt werden. Nur einem österreichischen Richter kann es widerfahren, daß er auf Grund der bloßen „begründeten Vermutung“, er sei geisteskrank, unter Kuratel gestellt und von der Teilnahme an einem für ihn lebenswichtigen, vielleicht seine Existenz bedrohenden Verfahren ausgeschlossen, also in diesem Verfahren wehrlos gemacht wird; denn dem „Kurator“ macht das Gesetz nicht zur Pflicht, sich gegen die gegen den betroffenen Richter in Aussicht genommene Maßnahme zur Wehr zu setzen.

Der Gesetzgeber ist hier, gelinde ausgedrückt, wohl sehr weit gegangen.

Eine zwar unauffällige, aber besonders einschneidende Neuerung bringt 133 RDG. Immer schon wurden Disziplinarverfahren gegen Richter unter Ausschluß der Öffentlichkeit abgeführt. Dies galt jedoch nur für die Disziplinarverhandlung, während die Disziplinarentscheidung, das „Erkenntnis“, jederzeit veröffentlicht werden durfte und wichtigere solcher Entscheidungen laufend, auch noch in den letzten Jahren, in der „Amtlichen Sammlung“ (SSt.) veröffentlicht wurden. Nunmehr ist durch die Einfügung der Worte „und des Erkenntnisses“ in 133 Abs. 3 RDG ausdrücklich auch jede Mitteilung an die Öffentlichkeit über den Inhalt von Disziplinar-erkenntnissen untersagt, damit eine Zuwiderhandlung als Gesetzesverletzung und disziplinar zu ahndende richterliche Pflichtverletzung gebrandmarkt. Dasselbe gilt gemäß 93 RDG für das Verfahren vor dem Dienstgericht (= Disziplinargericht) bei der unfreiwilligen Versetzung des Richters an einen anderen Dienstort oder in den zeitlichen oder dauernden Ruhestand.

Durch diese Neuerung ist die Disziplinargerichtsbarkeit über Richter, jetzt zum Teil alt „Dienstgerichtsbarkeit“ bezeichnet, die schon bisher Ermessensjustiz war und es geblieben ist, außerdem zur absoluten Geheimjustiz gemacht und jeder Kontrolle durch die Öffentlichkeit entzogen worden. Dadurch ist dem disziplinar gemaßregelten Richter, dem gegen seinen Willen versetzten oder abgesetzten Richter nicht nur der letzte Ausweg jedes von der Behörde wirklich oder vermeintlich zu Unrecht Verfolgten, nämlich die Flucht in die Öffentlichkeit, abgeschnitten, es wird dadurch auch jeder Vergleich von derartigen Entscheidungen untereinander, jede öffentliche Erörterung und Kritik solcher Entscheidungen, aber auch die Verteidigung durch Hinweise auf bereits entschiedene Fälle (Präzedenzfälle) künftig unmöglich. Nicht einmal die Disziplinarrichter selbst haben in Hinkunft mehr die Möglichkeit, sich aus der juristischen Literatur, aus Entscheidungssammlungen über die jeweilige Praxis in derartigen Rechtsfällen zu orientieren. Das wiegt um so schwerer, als, wie erwähnt, das Disziplinarrecht kein Tatbestandstrafrecht ist und die Beurteilung der Frage, ob ein bestimmtes Verhalten eine Pflichtverletzung bildet, ob es disziplinar zu behandeln und wie es zu ahnden ist, schon bisher nur an Hand der Praxis, der tatsächlichen Übung der Disziplinarsenate möglich war. Diese Praxis ist fürderhin nicht mehr zugänglich. Die Praxis der „Absetzung“ des Richters wird notwendigerweise unbekannt bleiben.

Das bedeutet unweigerlich, daß dem freien Ermessen in allen diesen Angelegenheiten und der verschiedenen Behandlung gleicher Fälle keine erkennbare Schranke mehr gesetzt ist und die Rechtsunsicherheit auf diesem Gebiet kaum mehr zu überbieten ist.

Zu beachten ist, daß der hermetische Abschluß des Disziplinarverfahrens gegenüber der Öffentlichkeit nur für das Verfahren gegen Richter, nicht für das gegen andere Beamte gilt.

Die „Erläuternden Bemerkungen“ verlieren auch über diese Neuerung kein Wort.

Diese „Kostproben“ aus dem Richterdienstgesetz dürften genügen, darzutun, welch schwerverdauliche Dinge die Richter darin vorfinden. Sie machen aber wohl auch verständlich, daß sich die Richter unsicher fühlen, daß sie nachdenklich, vorsichtig und schweigsam geworden sind, daß ihnen die Lust am Kritisieren vergangen ist.

Als mildernden Umstand gegenüber dem ihnen gemachten Vorwurf des Schweigens können die Richter auch anführen, daß ihre Standesorganisationen (Gewerkschaftssektion und Richtervereinigung) dem Gesetzentwurf — noch bevor die Richter die Möglichkeit hatten, ihn kennenzulernen — zugestimmt haben, wofür allerdings eine stichhältige Begründung bis heute aussteht; weiter, daß die maßgeblichen Vertreter der Bundesregierung, Bundeskanzler und Justizminister, das Richterdienstgesetz als bedeutenden Fortschritt gepriesen und ihm uneingeschränkte Anerkennung gezollt haben (siehe Sondernummer der Richterzeitung vom Mai 1962), damit sozusagen die Beurteilung dieses Gesetzeswerkes vorweggenommen haben,

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