Eine Million Teile auf Kollisionskurs im All

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Unzählige ausgediente Satelliten, Raketenteile und anderer Schrott umrunden ständig die Erde. Experten warnen, dass diese Objekte eine zunehmende Bedrohung für die Raumfahrt darstellen. Lösungsvorschläge gibt es jede Menge, konkrete Gegenmaßnahmen befinden sich allerdings erst im Forschungsstadium.

Gleich drei Ereignisse stellten jüngst infrage, ob alles Gute von oben komme. Am 24. September stürzte der amerikanische Beobachtungssatellit UARS auf die Erde. Am 23. Oktober folgte der deutsche Röntgensatellit ROSAT. Den vorläufigen Abschluss dieser Serie bildete vorige Woche der russische Weltraumfrachter Progress M-10M, der kontrolliert über dem Südpazifik zum Absturz gebracht wurde. Solche Abstürze sind nicht ungewöhnlich, aber sie häufen sich.

Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) schätzt, dass jedes Jahr zwischen 60 und 80 Tonnen Material künstlichen Ursprungs in die Erdatmosphäre eindringen. Im englischsprachigen Raum spricht man von "space debris“, also Weltraumtrümmern. Auf Deutsch hat sich der Ausdruck Weltraumschrott oder Weltraummüll etabliert. Darunter versteht man von Menschen hergestellte Objekte, die im erdnahen Orbit um den Planeten kreisen und keine Funktion mehr erfüllen. Typischer Weltraumschrott sind defekte oder ausgediente Satelliten, Teile von Triebwerken, aber auch Werkzeug, das Astronauten bei Weltraumspaziergängen verloren haben.

Rasende Teile auf Kollisionskurs

Je nach Größe und Material der Objekte verglühen davon 60 bis 90 Prozent beim Eintritt in die Erdatmosphäre. Teile, die den Weg bis zur Erdoberfläche schaffen, landen meist im Meer. Statistisch betrachtet, bedeuten solche Abstürze keine große Gefahr für die Erdbewohner. Die Raumfahrtagentur NASA bezifferte etwa das Risiko, dass beim Absturz von UARS Todesopfer zu beklagen gewesen wären, mit 1:3200. Im Weltall selbst wird die wachsende Menge an Weltraummüll jedoch zu einem zunehmenden Problem. Die Teile rasen mit einer Geschwindigkeit von durchschnittlich sieben bis acht Kilometer pro Sekunde durch den Orbit. Selbst kleinere Objekte können ernsthaften Schaden an in Betrieb befindlichen Satelliten anrichten. Die Internationale Raumstation ISS etwa muss jährlich vier bis fünf Ausweichmanöver durchführen, um Zusammenstösse mit Weltraumschrott zu vermeiden. Das kostet Treibstoff und damit Geld.

Etwa 22.000 Trümmer Weltraumschrott mit einer Größe von mehr als zehn Zentimeter Durchmesser sind derzeit bekannt und katalogisiert. Rund 600.000 Teile messen zwischen einem und zehn Zentimeter. Sie lassen sich mit optischen Teleskopen oder Radar zwar auffinden, man kann ihre Bahn aber nicht dauerhaft verfolgen. Die Anzahl noch kleinerer Partikel lässt sich nur grob schätzen und wird etwa von der europäischen Weltraumbehörde ESA mit 300 Millionen angegeben.

Das größte Problem ist, dass sich der Weltraumschrott selbstständig vermehrt. Das passiert zum Beispiel, wenn Treibstofftanks explodieren, große Teile auseinander brechen oder Schrottstücke miteinander kollidieren. Dabei entstehen dann viele neue, kleinere Teile, was die Wahrscheinlichkeit künftiger Kollisionen erhöht. Im schlimmsten Fall setzt eine Kettenreaktion ein, die jede weitere Raumfahrt verunmöglicht (Kesslersyndrom).

Zwei Ereignisse haben die Situation in den vergangenen Jahren drastisch verschärft. Im Jänner 2007 schoss China seinen Wettersatelliten Feng Yun 1C mittels einer Mittelstreckenrakete ab. Diese Demonstration militärischer Stärke vergrößerte die Menge an mehr als einen Zentimeter großen Weltraumtrümmern um geschätzte 40.000. Im Februar 2009 kollidierte in 600 Kilometer Höhe ein aktiver amerikanischer Kommunikationssatellit mit einem ausgemusterten russischen. Dabei entstanden zwei Wolken aus zusammen etwa 600 Trümmern. Diese beiden Kollisionen verdoppelten die Menge katalogisierten Weltraumschrotts. Die meisten Teile an Weltraumschrott befinden sich in einem Radius zwischen 800 und 850 Kilometern um die Erde. Dort liegen jedoch die bevorzugten Bahnen jener Satelliten, die der Erdbeobachtung dienen.

Eine Million Teile fliegt 2020 im Orbit

Fachleute erkannten längst die Problematik des Schrotts für die Raumfahrt. Das American Institute of Aeronautics and Astronautics (AIAA) veröffentlichte 1981 die erste Studie zur Thematik: Weltraumschrott sei statistisch eine größere Bedrohung als Meteoriteneinschläge. Übereinstimmend halten internationale Weltraumbehörden kurzfristige Maßnahmen für nötig, um eine weitere Vermehrung unerwünschter Objekte zu verhindern. Daher werden ausgediente Satelliten entweder zum Absturz gebracht oder mit dem letzten Treibstoff auf höhere, weniger frequentierte Umlaufbahnen geschickt. Ältere Satelliten verfügen nicht über diese Möglichkeit. Langfristig ist es unverzichtbar, den Müll zu entsorgen. Passiert nichts dergleichen, werden im Jahr 2200 etwa eine Million Teile mit einer Größe von mehr als zehn Zentimeter den erdnahen Orbit füllen, rechnet der ESA-Astronom Benjamin Virgilli vor.

Den Müll abschießen oder einfangen?

Inzwischen liegt eine Reihe von Vorschlägen vor, wie der Müll zu beseitigen wäre. Forscher des US Naval Research Laboratory empfehlen, winzige Metallpartikel im Weltall auszusetzen. Diese würden den Weltraumschrott sukzessive abbremsen und schließlich zum Absturz auf die Erde zwingen. Den gleichen Effekt möchte James Mason vom Ames Research Center der NASA erreichen. Seine Idee: Man bestrahlt ausgesuchte Stücke Weltraumschrott von der Erde aus mit einem Laser. Eine Bestrahlungsdauer von durchschnittlich 103 Minuten sollte seinen Berechnungen zufolge ausreichen, um zehn Stück Weltraumschrott pro Tag auf die gewünschte Absturzbahn umzulenken. Ein mehrere Kilometer großes Metallnetz will hingegen die japanische Raumfahrtbehörde JAXA im Weltall auswerfen. Während es die Erde umkreist, soll es Weltraumschrott einfangen wie Fische. Dem Plan zufolge wird das Netz elektrisch geladen und daher vom Magnetfeld der Erde langsam angezogen werden, bis es samt seinem unliebsamen Fang in der Atmosphäre verglüht.

Abgesehen von technischen Fragen ist ungeklärt, wer die Kosten für solches Großreinemachen übernehmen wird. Noch ist nicht geklärt, wer die Haftung für den Müll und seine Folgen im All zu tragen hat.

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