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Einheit des Wissens

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Es ist nicht ganzjeicht für jemanden, der seit Jahrzehnten an verantwortlicher Stelle seine Arbeit der geplanten Internationalen Katholischen Universität in Salzburg, wie wir sie am Ende erstrebten, gewidmet hat, zu den Salzburger Geschehnissen der letzten zwei Jahre rückblickend und vorwärtsschauend Stellung zu nehmen. Einige grundsätzliche Feststellungen müßten deshalb vorausgeschickt werden, ehe wir auf das in Salzburg in den letzten Jahren Erreichte eingehen.

Seit 80 Jahren mühte sich der Katholische Universitätsverein um eine ausgesprochen katholische Universität zunächst für Österreich, dann, seit den zwanziger Jahren, für das deutsche Sprachgebiet, bis schließlich durch die von Jahr zu Jahr wachsende weltweite Bedeutung der Salzburger Hochschulwochen die Internationale Katholische Universität ins Auge gefaßt wurde. Daß es nicht dazu kam, hat mancherlei Gründe. Nicht der letzte Grund ist der, wie Friedrich Heer in seinem Beitrag zu meinem 70. Geburtstag in der „Furche“ vom 2. November 1962 ausgesprochen hat, daß zuweilen ein gigantischer Kleinmut angesichts einer weitschauenden und weitgreifenden Planung im Orbis Catholicus zu finden ist. Aber es gibt noch andere Gründe, die heute zu erörtern noch nicht die Zeit ist und die zu erörtern auch gar keinen Sinn hat, weil die Schwierigkeiten, die sich in den letzten Jahren einer so weitgreifenden Planung entgegenstellten, unter den gegebenen Bedingungen unüberwindlich waren. Daß sie für ein relativ armes Land wie Spanien es nicht waren, beweist die in wenigen Jahren vom opus D e i erstellte Katholische Universität in Pamplona, über die im Dezember in der „Furche“ berichtet wurde. So hat sich der Katholische Universitätsverein in realistischer Abschätzung der Lage bereitwillig an der Errichtung einer staatlichen Universität in Salzburg beteiligt und wird es, soweit ihm Gelegenheit dazu gegeben ist, auch weiterhin tun. Aber es darf doch wohl, wie es hier und da schon in freundlicher Weise geschehen ist, von den verantwortlichen Männern des Katholischen Universitätsvereins und all denen, die ihn seit Jahrzehnten unterstützt haben, in aller Bescheidenheit festgestellt werden, daß die zähe und zeitweise aussichtslos erscheinende Arbeit des Universitätsvereins wesentlich dazu beigetragen hat, den Gedanken an eine Universität in Salzburg wachzuhalten und die Voraussetzungen zu schaffen, die zur tatsächlichen Gründung hinführten. Wenn einmal die Geschichte dieser Bemühungen geschrieben sein wird, wird man sehen, wie nahe man schon der Errichtung einer Universität in den dreißiger Jahren war und wie nur die unheilvolle Besetzung Österreichs im Jahre 1938 die Eröffnung der Philosophischen Fakultät verhindert hat.

Eine Zusammenschau ist selten geworden

Nach dieser knappen, aber notwendigen Feststellung sei mit allem Nachdruck auf die weiterhin gebotene und von nun an vornehmste Aufgabe des Katholischen Universitätsvereins bingewiesen. Sie hat sich schon, bevor man an eine staatliche Universität in Salzburg dachte, aus der heutigen Situation an den Universitäten ergeben. Es muß hier nicht wiederholt werden, was oft genug gesagt und geschrieben worden ist, daß durch die notwendige Spezialisierung der Einzelwissenschaften und durch die rapide Erhöhung der Hörerzahl an den Universitäten die wenigsten Universitätslehrer noch in der Lage sind, einmal den Überblick über das eigene Fach und verwandte Fächer zu behalten, dann aber vor allem Zeit zu finden, sich jener Forschung zu widmen, die eine Zusammenschau der Wissenschaften ermöglicht. Das wird heute in allen westlichen Ländern erkannt. Um nur ein Beispiel zu nennen: In den letzten Monaten hat, wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ berichtete, eine Gruppe von Wissenschaftlern aus Ländern der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft unter dem Vorsitz des Leiters der Technischen Hochschule von Massachusetts (USA), Dr. James K i 11 i a n, die Gründung eines Internationalen Instituts für Naturwissenschaften und Technik vorgeschlagen. Die Regierung Kennedy hat den Vorschlag unter der Bedingung wohlwollend aufgenommen, daß sich eine genügende Zahl von NATO-Staaten am Aufbau dieser als „Gipfel des Universitätssystems“ gedachten Einrichtung beteiligt. Im Bericht heißt es weiter: „Die Internationale Hochschule soll Ausbildung und Forschung auf dem Gebiet der Naturwissenschaften und Technik über den Rahmen, der den naturwissenschaftlichen Fakultäten der Universitäten gesetzt ist, hinausführen.“

Studium generale der Forscher

Was hier für die Naturwissenschaften geplant ist, ist von ebenso großer Bedeutung für die Geisteswissenschaften. Die Einheit des Geistes verlangt nach der Einheit des Wissens im Menschen wie in den menschlichen Einrichtungen. Aber der einzelne kann das heute weniger denn je leisten. Gelehrte universalen Ranges, die einmal das gesamte Wissen ihrer Zeit umfaßten, gibt es heute nicht mehr. Dazu ist der Wissensstoff zu groß geworden. Deshalb bedarf es im Bereich der Geisteswissenschaften wie der Naturwissenschaften der Zusammenarbeit vieler, um zur Zusammenschau des in den Einzeldisziplinen Erarbeiteten zu gelangen. Institute sind nötig, in denen mit den Mitteln strengster wissenschaftlicher Methodik die Probleme der Einzelwissenschaften erforscht werden, aber immer im engsten Kontakt mit verwandten Instituten und mit dem Ziel, die Ergebnisse der Forschung auf den verschiedenen Gebieten in gemeinsamer Arbeit zu integrieren. So wird ein Studium generale der Forscher geschaffen, das in seiner Auswirkung auch der Lehre zugute kommen wird. Denn das Ergebnis der Forschung ist nicht Selbstzweck und das eifersüchtig gehütete Palladium des Forschers, sondern muß in die Gesamt- und Ganzheitserkenntnis der Wirklichkeit eingebaut werden, wie sie sich aus der natürlichen Erkenntnis und der Offenbarungseinsicht ergibt. Auch der Offenbarungseinsicht! Wenn Karl Rah ner SJ vom Selbstverständnis der Theologie in ihrem Verhältnis zu den Naturwissenschaften spricht, so gilt das ebenso in Hinsicht auf die Geisteswissenschaften. Es ist deshalb — und damit kommen wir zu dem, was der Katholische Universitätsverein in Salzburg schon in beachtlicher Weise verwirklicht hat — unerläßlich, dem Internationalen Forschungszentrum mit seinen sieben bestehenden Instituten noch ein achtes hinzuzufügen, das das erwähnte Selbstverständnis der Theologie in Beziehung zu den Geistesund Naturwissenschaften ergründen und darstellen würde. Erst dann wäre die Absicht derjenigen, die das Internationale Forschungszentrum konzipiert und errichtet haben, erfüllt. Nicht, als würde diese Beziehung nicht schon heute in verschiedenen Instituten gesehen und verfolgt. Aber ein eigenes Forschungsinstitut dieser Art könnte sich ausschließlich dem angedeuteten Forschurgszweck widmen.

Die bisher im Internationalen Forschungszentrum zusammengefaßten sieben Institute: die Institute für Wissenschaftstheorie, Universalgeschichte, Politische Wissenschaften, Religionswissenschaft und Christliches Altertum, Kirchliche Zeitgeschichte, vergleichende Erziehungswissenschaft und das Ostinstitut mit den beiden Abteilungen für den christlichen Osten und für den nichtchristlichen Osten, haben das erste Jahr ihrer Arbeit neben der inneren Organisation und dem Aufbau der Bibliothek dazu benutzt, sowohl intern wie extern die Forschungsarbeit zu beginnen. Seminare in den einzelnen Instituten wie gemeinsam mit anderen Instituten behandeln Themen, die auf die Gesamtplanung des Internationalen Forschungszentrums ausgerichtet sind. Forschungsgespräche, wie das im August 1962 mit den Gelehrten Kelsen, Verdroß, Voegelin und anderen, über das Naturrecht in der politischen Theorie mühen sich um die gesamtwissenschaftliche Behandlung einer für das heutige Denken wichtigen Fragestellung. Eingehende Diskussion der Referate in strengster Klausur ermöglicht eine allseitige Erfassung und weitgehende Klärung der Fragen, ganz abgesehen von dem menschlich wohltuenden Klima, das die erste große Aussprache schuf. Die Referate und eine Zusammenfassung der harten, aber immer fairen Disputation werden in Bälde im Springer-Verlag in Wien erscheinen.

Wir brauchen akademische Lehrer ...

Damit ist die erste Aufgabe des Internationalen Forschungszentrums als einer Institution des Katholischen' Universitätsvereins, aber in eigener wissenschaftlicher Selbständigkeit unter dem Präsidenten und dem Wissenschaftlichen Leiter, einigermaßen umschrieben. Es bleibt noch, die zweite Aufgabe des Internationalen Forschungszentrums kurz zu kennzeichnen. Als in den zwanziger Jahren der weitsichtige Erzabt Petrus Klotz im Bund mit Bundeskanzler Prälat S e i p e 1 die Salzburger Universitätsbestrebungen mit Energie wieder aufnahm und durch Peter Behrens das Kolleg St. Benedikt erbauen ließ, war sein Gedanke, in ihm den Lehramtskandidaten für die Stiftsschulen der Benediktiner und Zisterzienser in Österreich eine .Heimstätte zu schaffen, sobald es zur Philosophischen Fakultät der Salzburger Universität komme. Die Philosophische Fakultät, die für Herbst 1938 vorbereitet war, zu der schon durch die von den Bischöfen Österreichs eingesetzte Kommission Einladungen an eine Reihe von bekannten Wissenschaftlern ergangen waren, wurde, wie erwähnt, durch den gewaltsamen Anschluß Österreichs vereitelt. Was damals ins Auge gefaßt wurde, ist heute mehr denn je wichtig und dringend geworden. Wir brauchen nicht nur Gymnasiallehrer, sondern vor allem akademische Lehrer, die im Geiste der oben skizzierten Zusammenschau der verschiedenen Wissenschaften gebildet werden, um ihren Hörern eine auf der christlichen Grundlage der Wahrheit in vollem Sinne aufgeschlossene Bildung vermitteln zu können. Deshalb bietet das Internationale Forschungszentrum qualifizierten jungen Wissenschaftlern als Assistenten oder als Stipendiaten Gelegenheit, in mehrjähriger Arbeit an den Forschungen' des Internationalen Forschungszentrums teilzunehmen. Es bleibt zu hoffen, daß vor allem die Katholiken in Österreich diese besondere Aufgabe des Internationalen Forschungszentrums in Österreich verstehen und helfen werden, eine Institution zu entwickeln, die im höchsten Sinne zeitgemäß und ökumenisch ist. Denn, wie das Beiwort „international“ sagt, will sie sowohl in ihrer personalen Zusammensetzung wie in ihrer Zielsetzung einen Beitrag zu der Aufgabe leisten, die Österreich vielleicht als einzige im Gesamt der Völker geblieben ist: die i kulturellen Werte, die es durch Jahrhunderte ererbt, entwickelt, vermittelt hat, auf geistigem Gebiet unserer Zeit überzeugend vorzustellen. Salzburg ist dafür aus mehr als einem Grund der gegebene Ort.

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