Entschlacken und auftanken

Werbung
Werbung
Werbung

Es ist heiß und feucht zugleich, als ich in einem kleinen Resort an der Küste Sri Lankas für eine zweiwöchige Ayurveda-Kur einchecke. Die Kulisse ist atemberaubend. Kilometerlang säumen Kokospalmen den feinen Sandstrand, während die schweren Wellen des Indischen Ozeans donnernd auf das flache Korallenriff aufrollen. So oder so ähnlich muss das Paradies aussehen.

Ich bin aber nicht zur Entspannung hier, sondern um etwas für meine Gesundheit zu tun -was keineswegs ein Widerspruch sein muss. Dabei soll mich die uralte Heilmethode des Ayurveda -übersetzt als das Wissen (Veda) vom Leben (Ayus) - unterstützen. Vor mindestens 2000 Jahren im indischen Kulturraum entstanden, rückt bei dieser ganzheitlichen Therapie der Mensch in seiner Individualität in den Fokus. Was das heißt, erfahre ich an Leib und Seele. Kaum habe ich den Koffer ausgepackt, werde ich schon zur medizinischen Konsultation gerufen. Zwei Ayurveda-Ärztinnen befragen mich nach meinen körperlichen wie psychischen Befindlichkeiten, fühlen den Puls und betrachten meine Zunge. Kurz darauf stehen Diagnose und Behandlungsplan fest.

Reinigung und Entgiftung

Kern der ayurvedischen Medizin, die in Indien, Sri Lanka und Nepal auch von der Bevölkerung intensiv genutzt wird, ist die Lehre von den Doshas. Dosha heißt, aus dem Sanskrit übersetzt, "das, was verderben kann". Gemeint sind -stark vereinfacht gesagt - jene Vitalkräfte, die die mentalen sowie physiologischen Funktionen bestimmen und die in jedem Menschen einzigartig kombiniert sind. Vata ist demnach verantwortlich für das Nervensystem, die Atmung und die Bewegung. Pitta steuert Stoffwechsel und Verdauung. Kapha wiederum reguliert die Körperstrukturen. Darüber hinaus beeinflussen die Doshas, so die ayurvedische Lehre, Emotionen, Charaktereigenschaften und sogar den Körperbau. Jeder Mensch wird demnach bei seiner Geburt mit einer Konstitution ausgestattet, die auf diesen Doshas gründet. Nur die Wenigsten verfügen allerdings über die Eigenschaften eines einzigen Doshas, meist sind zwei oder drei Doshas in unterschiedlicher Gewichtung miteinander kombiniert.

Über die jeweilige Grundkonstitution hinaus beeinflussen Tagesrhythmen, Jahreszeiten oder das biologische Alter das Verhältnis der drei Vitalkräfte zueinander. Dazu kommen Faktoren wie Ernährung, Stress oder Schlafgewohnheiten, die den Auf-oder Abbau der Doshas befördern. Ziel einer Ayurveda-Behandlung ist es daher, Vata, Pitta und Kapha wieder in ihr natürliches Gleichgewicht zu bringen, um so den Organismus zur Selbstheilung anzuregen. Auf diese Weise sollen einerseits bestehende Krankheiten geheilt und andererseits, vorbeugend, Maßnahmen für ein gesundes Leben getroffen werden.

Ich selbst bekomme in den ersten Tagen meiner Kur zunächst einmal Massagen. Kopf, Gesicht, Rücken, Füße, Hände und sogar die Verdauungsorgane werden mit einem mit Heilkräutern präparierten Öl massiert, das eigens auf meine Konstitution abgestimmt ist. "Wir verwenden für unsere Behandlungen Kokosnuss-,Rizinus-,Sesam-und Ghee-Öl", erklärt mir die singhalesische Ärztin W. G. Lakshani Umadya Premarathne, die ihr fünfjähriges Studium mit dem "Bachelor of Ayurveda, Medicine and Surgery"(BAMS) an der Universität von Kelaniya in Ragama abgeschlossen hat. "Warme Kräuterstempel mit Extrakten aus Knoblauch oder Blättern des Indischen Lungenkrauts sorgen zudem dafür, dass das Öl über die Haut tief in den Organismus eindringen kann." Die Öl-Massagen sollen nicht nur die Wirkstoffe der Heilkräuter in den Körper leiten, sondern auch dazu führen, dass eingelagerte Giftstoffe und Schlacken gebunden und abgeführt werden.

Reinigung und Entgiftung sind nämlich die zentralen Themen einer Ayurveda-Kur, und zwar auf der körperlichen wie der mentalen Ebene. Dazu dient einerseits das Fasten, andererseits die sogenannte Panchakarma-Kur. Panchakarma heißt, übertragen aus dem Sanskrit, "fünf Handlungen" und meint traditionell neben Virechana, dem Abführen über den Darm, auch Vamana (Erbrechen), Vasti (Einlauf), Nasya (Nasenspülung) und Raktamokshana (Aderlass) - zum Glück wird in meiner Kur auf Erbrechen und Aderlass verzichtet. Stirnölgüsse, Dampfbäder, Kräutermasken, Inhalationen oder Ölkompressen ergänzen die Ausleitungsverfahren und bringen zugleich Körper und Seele ins Gleichgewicht. Dann wird der Körper wieder belastungsfähig gemacht, das Immunsystem gestärkt und mit aufbauenden Kräutern und Nahrungsmitteln versorgt.

Einkehr und "Sinnesfasten"

Weitere angenehme Effekte ergeben sich ganz nebenbei. "Unsere Gäste möchten Körper und Geist reinigen und wieder ganz zu sich kommen", erklärt etwa Kathrin Lochmann, Betreiberin des Sithnara Ayurveda Resorts im Süden Sri Lankas. "Oft verbinden sie ihren Aufenthalt bei uns mit einem 'Sinnesfasten'. Sie lesen nicht, nutzen weder Handy noch Internet und reduzieren sogar die täglichen Gespräche. Diese innere Einkehr verleiht ihnen neue Energie." Ayurveda ist eine komplexe Heilkunst, die einem einiges an Eigeninitiative abverlangt. Neben den täglichen Arztkonsultationen und Behandlungen bilden ein regelmäßiger Tagesablauf, Yoga und Meditationen sowie eine ausgewogene Ernährung die wesentlichen Säulen der Kur. "Die ayurvedische Heilkunde kennt sechs verschiedene Geschmacksrichtungen: süß, sauer, salzig, bitter, scharf und herb", erläutert die Ärztin Lakshani Umadya Premarathne. "Mit einer bewussten Ernährung kann man die Verdauung anregen und viel zu seiner Gesundheit beitragen."

Zu fast jeder Mahlzeit werden zudem Medikamente gereicht, die teils auf Ölbasis, teils als Tee und teils in Pillenform eingenommen werden. Manchmal geraten ayurvedische Medikamente allerdings in die Negativschlagzeilen, etwa wegen Vergiftungen mit Quecksilber, Blei oder Arsen. Zwar wird der Großteil der Heilmittel aus unbedenklichen Pflanzenextrakten oder Mineralien gewonnen. Außerhalb Europas werden jedoch auch metallische Verbindungen verwendet. Und da Laboruntersuchungen auf Schwermetalle oder Pestizide oft teuer sind, gelangen immer wieder unkontrollierte Produkte auf den Markt. "Gut geführte Ayurveda-Einrichtungen sind offiziell registriert und zertifiziert", erklärt Kathrin Lochmann und mahnt zur Vorsicht: "Wir schicken unsere Medikamente regelmäßig zur Überprüfung in deutsche Labors und arbeiten mit ausgebildeten Ärzten zusammen."

Wissenschaft oder Wellness?

Ayurveda gilt im Westen als Komplementärmedizin, als Ergänzung zum schulmedizinischen Therapiespektrum. Ihre Wirkung im Sinne der evidenzbasierten Medizin ist kaum nachgewiesen, und manche Kritik besteht durchaus zu Recht: In Europa etwa fehlen eine flächendeckende professionalisierte Ausbildung sowie klinische Studien und Forschungseinrichtungen, im südasiatischen Raum gibt es lückenhafte Kontrollen. Andererseits hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Ayurveda als traditionelles ganzheitliches Medizinsystem anerkannt; in Indien und Sri Lanka ist diese Heilmethode der konventionellen Schulmedizin sogar gleichgestellt. Und auch auf dem Gebiet der Forschung gibt es Fortschritte. Das zeigt etwa die englischsprachige Datenbank DHARA (www. dharaonline.org), die weltweit wissenschaftliche Artikel zu ayurvedischen Studien verfügbar macht.

Wissenschaft hin, Wellness her - meine eigene Ayurveda-Kur endet mit purem Wohlbefinden: Ich werde mit warmer Kokosmilch übergossen, erhalte ein Gurken-Karotten-Peeling und genieße ein Blumenbad. Zumindest für mich hat sich die Reise gelohnt. So ausgeglichen, gesund und energiegeladen habe ich mich schon lange nicht mehr gefühlt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung