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Es geht um die Wurst

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DIE VÄTERLICHE GESTALT des beruhigend gut genährten Fleischhauers und die mütterliche Güte seiner ebenso rundlichen besseren Hälfte stellen wohl seit eh und je ein Symbol für das seriöse, vertrauenerweckende Gewerbe dar. Sauberkeit, Hygiene und Ordnung sind weitere integrierende Qualitätsmerkmale der Fleischhauerbranche. Natürlich weiß man auch als Laie, daß in den letzten Jahren und Jahrzehnten der rasante Fortschritt der Technik und der Chemie sicher auch vor den Türen der Wursterzeuger nicht haltgemacht haben kann. Leider aber dürften nicht alle Menschen gleich dem Zauberlehrling in Goethes Ballade der Versuchung der Macht — wie sie ihnen der technische Fortschritt in die Hand gibt — gewachsen sein. Wäre es sonst nötig, daß jede Woche irgendwo in Österreich mindestens ein Fleischhauer oder ein Wurstfabrikant vor dem Richter steht? Menschlich gesehen geben sie ein bedauernswertes Bild ab, jene Männer, denen wir seit Großmutters Zeiten gerne Vertrauen entgegengebracht haben. Doch unser Mitleid ist wirklich nur im Augenblick der Gerichtsverhandlung gerechtfertigt; im sonstigen täglichen Sprachgebrauch heißt es nämlich schlicht und einfach Verfälschung, wenn eine Wurst anstatt guten Fleisches auf einmal Schwarten, Sehnen, viel Wasser und noch mehr chemische Zusätze enthält. Zusätze, wie Milcheiweiß, Phosphate und Stärke, die vor allem dazu gut sind, der Ware ein schönes Aussehen zu geben und das überschüssige Wasser in dieser Ware zu binden.

Leider sind es keine Einzelfälle, daß Fleischhauer wegen des Verfälschungsdeliktes, einer Übertretung des Lebensmittelgesetzes, vor den Richter kommen. Im Verlauf solcher Verhandlungen fällt es dem unvoreingenommenen Beobachter oft wirklich schwer, den Vergleich mit kleinen Buben beiseitezuschieben, die wohl den Mut hatten, einen Fußball ins Fenster des Hausmeisters zu werfen, die aber dann sofort der Mut verläßt, wenn dieser Hausmeister aus seiner Wohnung heraustritt. Während kleine fußballspielende Buben in der Flucht ihr Heil suchen, pflegen seriöse Fleischhauer zu behaupten, die beanstandete Wurst könne keinesfalls von ihnen sein; gibt es aber — weil der Betrieb und die Mengen der beschlagnahmten Ware viel zu groß sind — für solche Fluchtversuche keine Chance mehr, dann heißt es eben mit treuherzigem Augenaufschlag, Zusammensetzungen, wie sie vom gerichtlichen Sachverständigen nach genauen Analysen der Wurst rekonstruiert wurden, seien ganz unmöglich, weil man im gesamten Betrieb kein Batzerl Stärke vorrätig habe. So liebenswürdig kindlich diese Form der Verantwortung auch sein mag, sie ist sicher nur von einem Gedanken diktiert: von der Hoffnung nämlich, jener Fortschritt, der wohl derartige Verfälschungen möglich macht, möge ausschließlich auf das Fleischergewerbe begrenzt sein. Der Fortschritt im Aufdecken dieser Methoden aber möge vor den Türen der Bundesanstalt für Lebensmitteluntersuchung haltmachen. Und das ist glücklicherweise eine falsche Hoffnung. Es könnte uns Verbrauchern nämlich sonst widerfahren, daß wir in einigen Jahren nur noch Würste und Pasteten zu essen bekommen, die ausschließlich dem

Fortschritt der Chemie ihre Entstehung verdanken. Kräftige Ansätze dazu gibt es ja bedauerlicherweise schon in ausreichender Menge.

IN DER ZWEITEN MAIWOCHE DIESES Jahres war es, da ging — von der Presse leider sehr stiefmütterlich behandelt — ein Prozeß gegen eine Nahrungsmittelflrma im Liesinger Bezirksgericht über die Bühne. Dabei stand eine Leberpastete zur Diskussion, die nach den Aussagen des gerichtlichen Sachverständigen und Leiters der Bundesanstalt für Lebensmitteluntersuchung, Dozenten DDr. Friedrich Petuely, nur durch den Fortschritt der Chemie hergestellt werden könne. Würde man nämlich ohne Zusatz von Milcheiweiß, ohne Stärke und Verdickungsmittel sowie ohne die Kolloidmühlen (Kolloidmühlen sind technische Geräte, die Knorpeln, Schwarten, Sehnen, Eutergewebe, Pansen und alles mögliche andere wertlose Material zu einer gleichmäßig leimigen Soße vermählen), würde man also ohne diese Hilfsmittel ein Produkt wie diese Leberpastete herstellen wollen, dann würde es in der vorliegenden Form nicht gelingen. Der Richter Doktor Bemmer sagte, es gehöre zum Grundwissen eines versierten Fleischhauers, daß eine Pastete aus Schweinefleisch hergestellt werden müsse. Der Staatsanwalt Doktor Wrabetz zog auch noch die Erwartungen des Verbrauchers als Beurteilungsnorm heran und meinte, wer eine als Pastete bezeichnete Ware kauft, erwarte sich keinesfalls ein Produkt, das aus Schweins-köpfen, Schwarten und überwiegend aus Wasser besteht. All diese Verfälschungskriterien sowie ein ekelerregend hoher Gehalt dieser Ware an Darmbakterien führten denn auch zu einer Verurteilung des beschuldigten Direktors.

FÜR UNS VERBRAUCHER IST DIESER PROZESS jedenfalls von grundlegender Bedeutung; schließlich wurden vom Verteidiger und vom Beschuldigten im Verlauf dieses Prozesses immer wieder zur Entschuldigung angeführt, daß es im österreichischen Lebensmittelbuch (dem vielzitierten Codex alimen-tarius austriacus, der eine Sammlung

von objektivierten Sachverständigengutachten darstellt) keine ausreichenden Bestimmungen über die Zusammensetzung einer Leberpastete gibt. Hoffen wir, daß dieser Prozeß einerseits dazu führt, daß der Fleischcodex bald neu aufgelegt werden möge, daß sich auch auf dem

Gebiet einer Fleischhygieneverordnung etwas rührt und nicht zuletzt, daß auch die wenigen unseriösen Wurstproduzenten merken, die Ausrede auf die mangelhaften oder veralteten Codexbestimmungen gilt nicht länger als ein Freibrief für unseriöse Produktionsmethoden.

Über die mangelhafte Fleischbeschau in unserem Lande traf Staatsanwalt Dr. Wrabetz eine sehr charakteristische Feststellung; er sagte, die Tierärzte haben die importierten Schweinsköpfe nicht genügend beschaut, weshalb es zur starken bakteriellen Verunreinigung der Leberpastete kam. Diese „mangelhafte Beschau ist bei importierter Ware besonders gefährlich, weil wir ja nicht wissen, inwieweit die Untersuchungen in den Lieferländern tatsächlich ernst genommen werden“. Der Staatsanwalt meinte weiter, während in anderen Ländern tiefgefrorene Ware aufgetaut und genau untersucht werde, beschränke sich bei uns die Beschau und Untersuchung des importierten Fleisches praktisch auf eine aktenmäßige Kontrolle darüber, ob die Tiefkühlkette unterbrochen worden sei oder nicht. Und Papier ist bekanntlich geduldig!

Nun mag es leicht den falschen Anschein erwecken, als gebe es nur die verurteilte Firma im Katalog der Sünder wider das Lebensmittelgesetz; dies ist leider nicht so. Es genügt, je eine Woche im April und im Mai herauszugreifen, und schon hat man eine ganze Serie wenig schöner Vorfälle dieser Art beisammen. Orte der Handlung waren die Steiermark und Wien; dies ist aber sicher keine Qualitätsfrage für die Fleischhauer, sondern eher eine Frage des Interesses der Presse. Andernfalls aber könnte es sein, daß angeklagte Fleischhauer weiterhin mit schöner Offenheit vor Gericht angeben, „dank den modernen Maschinen kann doch ohnehin kein Verbraucher mehr beurteilen, was in den Würsten wirklich enthalten ist“. Andere Fleischhauer dagegen sprechen voll Empörung von den „hochgezüchteten“ Untersuchungsmethoden der Bundesanstalten für Lebensmitteluntersuchung. Eine Grazer Tageszeitung, die sich um die Publikation von Wurstverfälschungen besondere Verdienste erworben hat, setzte dieser Bemerkung von den übereifrigen Bundesanstalten für Lebensmitteluntersuchung nur die

schlichte Feststellung entgegen, die Bundesanstalten haben also ihre Untersuchungsmethoden verfeinert, „so ist das also. Die Wurst kann auch früher verbotene Drüsen enthalten haben. Aber wenn man das nicht nachzuweisen vermochte, konnte man es eben nicht beanstan-

den. Jetzt schon. Was ist das nun? Hochgezüchtetes Sachverständigenwesen — oder ein Fortschritt im Dienste der Volksgesundheit? Darauf muß der Konsument selbst antworten“.

NUN, DIE ANTWORT DES VERBRAUCHERS liegt wohl auf der Hand, wenn wir erfahren, was innerhalb eines verhältnismäßig kurzer. Zeitraumes alles an „Wurst-prczessen“ in Tageszeitungen festgehalten wurde: Mitte April wurde im Bezirksgericht Leibnitz über eine Kminerwurst verhandelt, die hauptsächlich Salzstoß mit reichlich

Schwarten enthielt, mehlig war und eimm gummiartigen Geschmack hatte. Am 23. April wurde vom Landesstrafgericht in Graz eine Wirtin verarteilt, weil sie Frankfurter verkauft hatte, aus denen ein unappetitlicher grauer Saft herausrann; außerdem herrschten in der Küche

dieser Wirtin Zustände, die den Richter zur Bemerkung veranlaßten, „da dreht es einem ja den Magen um“. Zum gleichen Zeitpunkt wurde im Wiener Strafbezirksgericht auf dem Hernalser Gürtel ein Fleischhauer verurteilt, der verdorbene Jagdwurstkonserven feilgehalten hatte. Am 26. April sagte ein Fleischhauer im Bezirksgericht Stainz in der Steiermark ganz unschuldig aus, er habe sich nichts Schlechtes dabei gedacht, als er in verschiedene Fleischwürste — verbotenerweise — auch Schwarten hineingegeben habe; denn nach einer Rücksprache mit dem Bundesinnungsmeister habe er erfahren, daß dieser „auch Schwarten bei allen Würsten verarbeitet“. Am 27. April stand ein Kindberger Fleischhauer vor dem Kindberger Bezirksgericht; von ihm hergestellte Würste waren durch Beigabe von Schwarten, Bindegewebsteilen und Kartoffelmehl verfälscht worden. In einer seiner Leberwürste hatte man ferner einen Reißnagel gefunden, einzelne seiner Wurstsorten waren verbotenerweise mit Blut gefärbt und viele seiner Würste auch noch bakteriell Stärkstens verunreinigt.

Zur gleichen Zeit standen in Wien ein Delikatessengroßhändler und ein Kleinhändler vor dem Wiener Strafbezirksgericht, weil sie Krakauer verkauft hatten, die nicht nur mehr Mehl enthielt, als man zur Herstellung eines Puddings braucht, sondern die auch bereits zu gären begonnen hatte. Am 4. Mai gab es in Wien eine Berufungsverhandlung, weil ein Fleischhauer, ein Wurstgroßhändler und ein Wurstproduzent aus Niederösterreich es sich nicht erklären konnten, woher die Stärke in ihre „Polnische“ gekommen war. Diese Frage konnte bis jetzt noch nicht geklärt werden, weshalb die Verhandlung vertagt werden mußte.

SOWEIT ALSO DIE UNGESCHMINKTEN Verhandlungstatsachen. Doch daß sich Vorfälle dieser Art häufen können, muß doch nur ein bedauerlicher Zufall sein. Womit ließe sich sonst das Vertrauen erklären, das die Hausfrauen nach wie vor zu unserem Fleischhauer haben, der sich der Versuchung des technischen Fortschrittes sicher gewachsen zeigt? Sie glauben nämlich wirklich an ihn, an den seriösen Fleischhauer und seine liebenswürdige Frau, die schon manches Rezept verraten hat, wie man aus einer guten Ware eine noch bessere Speise herstellt!! kann.

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