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Es wird wärmer auf der Erde

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Im Jahre 1946 wurde in dieser Zeitschrift das Phänomen der europäischen Klimaänderung seit der Jahrhundertwende eingehend dargelegt. Folgende, inzwischen allgemein bekanntgewordene Tatsachen wurden in dieser Arbeit behandelt: die Erwärmung des Golfstromes und des Polargebietes, der Temperaturanstieg in der gemäßigten Zone, die Milderung des europäischen Winters, der Rüdegang der Alpengletscher und schließlich die wirtschaftlichen Auswirkungen der Klimaänderung.

Inzwischen sind in den meteorologischen Zeitschriften fast aller Wetterdienste der Welt weitere Tatsachen dieser bedeutenden säkularen Klimaänderung, die nicht auf Europa beschränkt blieb, beschrieben worden. Namhafte Forscher wie C. E. P. Brooks, R. L. Ives, K. Knoch, L. Lysgaard, C. G. Rossby und I. R. Tannehill haben in den letzten Jahren aufschlußreiche Beiträge zu diesem Problem geliefert. Eine der interessantesten Arbeiten ist aber zweifellos die des englischen Meteorologen Justin S c h o v e, welche 1950 im Quarterly Journal of the Royal Meteoro- logical Society unter dem Titel „Die Klimaänderung seit 1850 in Europa und dem Atlantik" erschienen ist.

Schove wählte als Grundlage für seine weiträumigen Untersuchungen die meteorologischen Verhältnisse des Zeitabschnittes 1851 bis 1900. Er berechnete von dieser „Normalperiode“ Mittelwerte der Temperatur, des Luftdruckes, der Niederschlagsmenge und anderer meteorologischer Elemente und verglich die gefundenen „Standardwerte" mit den Messungsergebnissen vorangegangener und folgender Perioden. Es ergab sich, daß die Abweichungen der meteorologischen Elemente im 18. und 19. Jahrhundert von den Werten der Normalperiode 1851 bis 1900 sehr klein waren. Mit der Jahrhundertwende treten jedoch bei allen Wetterfaktoren grundlegende Veränderungen ein.

Der säkulare Temperaturanstieg unserer Zeit erscheint zuerst 1873 in Island (Stykkisholm) und ab 1878 in Südskandinavien. In Südengland tritt die Temperaturänderung nicht vor 1895 und in Südosteuropa erst ab 1905 ein. Es zeigt sich also ein Fortschreiten der säkularen Erwärmung von Norden nach Süden.

Beim Luftdruck ergibt sich seit 1065 eine Zunahme des Druckunterschiedes (Druck-

gefälles) zwischen Island und den Azoren um 2 Millibar. Nach dem sogenannten „barischen Windgesetz" wird mit zunehmendem Druckgefälle der Wind stärker. Die • westliche Luftströmung über dem Atlantik ist demnach seit 100 Jahren lebhafter geworden. Das bedeutet, daß das europäische Klima seit 100 Jahren maritimer geworden ist. Die größere Häufigkeit milder Winter und kühler Sommer in unserem Jahrhundert ist eine direkte Folgeerscheinung des Wechsels vom kontinentalen zum maritimen Klimatyp in Europa.

Weitere Prüfungen des Luftdruckes haben ergeben, daß sich 1865 in Island ein Druckmaximum bemerkbar machte, das 1885 über Norwegen, 1895 über den Britischen Inseln und Mitteleuropa, 1905 über Südosteuropa und 1920 über den Azoren wahrgenommen wurde. Auch das Druckmaximum erscheint also zuerst im Norden und schreitet dann südwärts gegen den Äquator fort.

Bei der Untersuchung der Niederschlagsverhältnisse kann man in Europa in den letzten hundert Jahren gut ausgeprägte trockene und feuchte Perioden unterscheiden. Sie erhalten sich nicht in bestimmten Gebieten, sondern neigen ebenfalls zu Ortsveränderungen. Zwischen 1875 und 1885 wird zum Beispiel Nord- und Osteuropa von einer Trockenperiode heimgesucht. 1895 greift sie auf die Britischen Inseln über, und gegenwärtig wird sie in den Mittelmeergebieten angetroffen. In diesem Zusammenhang ist die Untersuchung Lord Beveridges vom Jahre 1922 über die Weizenpreise von Interesse. Er brachte die Preisschwankungen mit verschiedenen westeuropäischen Niederschlagsserien in Zusammenhang und wies insbesondere auf den Kontrast der Wetterunbeständigkeit der Jahre 1857 bis 1882 und der Beständigkeit der Periode 1385 bis 1902 in Westeuropa hin.

Zwischen 1895 und 1925 sind die Gebiete nördlich 45 Grad nördlicher Breite feuchter und die Gebiete südlich davon trockener geworden. Aber nicht nur in Europa, denn Lysgaards Weltkarte der Niederschläge zeigt, daß diese Verteilung von Trockenheit und Feuchtigkeit ziemlich allgemein von 80 Grad westlicher Länge bis 50 Grad östlicher Länge, also von Nordamerika bis Rußland, vorhanden ist. Aus diesen Untersuchungen ergibt sich, daß ßich auch die

Trockenperiode im betrachteten Zeitraum südwärts quer durch Europa verlagert hak

Zwischen Luftdruck und Wind, Temperatur und Niederschlagsverhältnisse bestehen strenge gesetzmäßige Zusammenhänge. Hoher Luftdruck ist nicht nur mit trockenem, sondern in hohen Breiten auch mit kaltem Wetter verknüpft. Das etwa 1865 am nördlichen Polarkreis aufgetauchte Druckmaximum war daher gleichzeitig auch Trockenzone und Kältezentrum. Die Winde umkreisen ein Hochdruckgebiet im Uhrzeigersinn mit einer vom hohen Druck weggerichteten Komponente. In Europa herrechten daher in diesem Stadium östliche bis nordöstliche Winde vor. (Ostwindstadium.)

Das Druckmaximum verlagerte sich südwärts und erreichte gegen die Jahrhundertwende Mitteleuropa und die Brly tischen Inseln, wo sich gleichzeitig eine Trockenperiode einstellte. (Hochdruckstadium.) Der isländisch-grönländische Raum kam nun ab 1873 in ein Gebiet mit einer Häufigkeit an Westwinden, die mit Erwärmung verknüpft sind.

Schließlich gelangt das Druckmaximum um 1920 zum Wendekreis des Krebses. Die Westwindzone greift immer Weiter nach Süden aus und verleiht dem europäischen Klima ausgesprochen maritimes Gepräge. (Westwindstadium.)

Auf den Britischen Inseln können die Klimaschwankungen von 1875 bis 1925 durch diese drei Phasen erklärt werden. Ähnliche Klimafolgen sind auch in Skandinavien (1865 bis 1915), Italien (1885 bis 1935) und auch in den USA (1895 bis 1945) nachgewiesen worden.

Die Untersuchungen ergeben demnach, daß die einwandfrei nachgewiesene großzügige Bewegung des Wetters vom Polargebiet gegen den Äquator von allgemeiner, weltweiter Bedeutung ist und daß die zuerst in Westeuropa nachgewiesene Klimaschwankung als großräumige Druckanomalie aufgefaßt werden kann, die sich von Norden nach Süden verlagert hat. Wahrscheinlich ist die Arktis das Ursprungs gebiet der Druckwelle, die sich dann als ringförmige Hochdruckzone über die nördliche Halbkugel ausgebreitet, um 1880 den Polarkreis verlassen und um 1920 den Wendekreis des Krebses in der Tropenzone erreichthat.

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