Ethik in der Forschung: Jeder trägt auch Verantwortung.

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Am Joanneum Research in Graz sollen die Forscher selbst verstärkt über die Auswirkungen ihrer Arbeit nachdenken.

Viele Experimente werden am Joanneum Research gemacht. Besonders interessant ist ein "Versuch", dem einzelnen Forscher klarzumachen, wie sehr er für sein Tun selbst die Verantwortung trägt. Ein Gespräch mit dem Geschäftsführer Professor Bernhard Pelzl.

SPEZIAL: Oft hört man den Satz: Wissenschaft und Forschung sind per se neutral. Ein Messer etwa könne man genauso gut zum Brotschneiden verwenden wie auch dafür, einen Mord zu begehen.

Bernhard Pelzl: Diese Ansicht teile ich nicht. Wenn man die wissenschaftliche Tätigkeit gesamtheitlich betrachtet, kann man nicht damit zufrieden sein, dass man eine Technologie gebiert - und diese dann möglicherweise in falsche Hände fällt. Ich glaube, dass jedes Handeln - und Forschung ist auch eine Art Handeln - die Überlegung der Konsequenzen impliziert.

SPEZIAL: Was sind denn Kriterien für eine ethische Forschung?

Pelzl: Ich glaube, dass diese Kriterien in den Forschern selbst liegen müssen. Ich empöre mich eigentlich immer über diese Art von Diskussionen. Bei jeder beliebigen Handlung, die ein Mensch in der Alltagswelt setzt, fordert man, dass sie anderen keinen Schaden zufügt, nicht unanständig ist. Was wir im Alltag ununterbrochen voneinander einfordern, wird in der Forschung oft nicht getan. Warum eigentlich?

SPEZIAL: Vielleicht weil die Forscher in bestimmten Strukturen leben: Forschungsprogramme und Institutionen bestimmen die Ausrichtung der Forschung. Wie viel Wahl hat da ein Forscher überhaupt?

Pelzl: Richtig ist: Die Institutionen setzen einen Rahmen. Joanneum Research etwa hat einen klaren Auftrag: Wir wollen zur Wettbewerbsfähigkeit des Standorts beitragen. Die Unterstützung der Wirtschaft ist natürlich ein spezieller Zugang zur Forschung. Das Ziel ist, in Kooperation mit Unternehmen neue Produkte zu schaffen, die wiederum helfen können, Arbeitsplätze zu erhalten oder neue zu schaffen. Prinzipiell ist das ein ethischer Zugang.

SPEZIAL: Die Forschung selbst könnte trotzdem unethisch sein. Jobs lassen sich auch durch Waffenforschung sichern - um ein vielleicht krasses Beispiel zu nennen.

Pelzl: Das ist kein blödes Beispiel. Wir hatten so einen Fall. In unserem Hause wurde eine neue Technologie zur Beschichtung von Werkstoffen entwickelt. Für dieses Beschichtungsverfahren zeigte eine Waffenherstellerfirma Interesse. Die Forscher hatten das Gefühl, dass hier etwas Unethisches geschieht und fragten bei mir an, ob sie diese Waffen beschichten dürfen. Und genau hier ist der Punkt, wo mein Ethik-Verständnis kritisch einsetzt. Solche Anfragen gibt es heute zuhauf - etwa im Bereich der biotechnologischen Forschung an Ethik-Kommissionen. Dadurch wird die ethische Verantwortung delegiert.

SPEZIAL: Die Ethik-Kommission sagt: "Ja, gute Forschung" oder "Nein, böse Forschung".

Pelzl: Und damit bin ich als Forscher aus dem Schneider. Genau so haben die Forscher am Joanneum Research ihren Chef, mich, gefragt - und ich habe die Verantwortung an sie zurückverwiesen. Denn ich erwarte, dass die Forscher sich mit ihrem eigenen Bekenntnis auseinandersetzen. In diesem Fall: Ob sie aus ihrer Person heraus sich dafür entscheiden können, dieses Verfahren bei Waffen anzuwenden.

spezial: Und?

Pelzl: Letztlich sind die Forscher einer Entscheidung enthoben worden, weil die Firma den Auftrag nicht erteilt hat. Doch das ist nicht das Wesentliche. Wichtig war der gemeinsame Reflexionsprozess, während dem jeder einzelne Forscher dazu gebracht wurde, seine Haltung zu überdenken.

spezial: Der Diskussionsprozess ist Ihnen wichtiger als ein bestimmtes Resultat?

Pelzl: Wenn die Positionen - vor dem Hintergrund der Menschenrechte - reflektiert sind, dann sind sie zu akzeptieren. Wir haben auch einen Ethik-Anhang in unserem Forschungs-Kollektivvertrag. Dort ist etwa festgehalten, dass ein Forscher, der aus seiner ethischen Überzeugung heraus etwas nicht tun will, nicht deswegen den Arbeitsplatz verlieren kann.

spezial: Wie wird dieser Reflexionsprozess gestaltet?

Pelzl: Das Ganze ist zurzeit in Entwicklung begriffen. Wir haben dazu eine Arbeitsgruppe "Ethik in Forschung und Technik" gegründet und damit begonnen, einzelne Fälle zu diskutieren.

spezial: Was war so ein Fall?

Pelzl: Zum Beispiel haben wir über die Risiken der Nanotechnologie geredet. Über negative Folgen ist noch wenig bekannt. Aber man weiß etwa, dass Nanoteilchen die Blut-Hirn-Schranke passieren oder sich im Körper anreichern können. Eine wichtige Frage, vor der die Experten standen, war: Was kann ich den Menschen mitteilen, ohne das Forschungsgebiet zu gefährden, und wie kann ich trotzdem verantwortungsvoll handeln? Oft ist es ja so, dass Befürchtungen einfach zerstreut werden, um etwaige Fortschritte nicht zu gefährden.

spezial: Ist das unethisch?

Pelzl: Wenn ich eine Gefahr vermute und sie nicht mitteile, damit ich weiter forschen kann, dann ist das unethisch. Das ist klar zum Ausdruck gekommen. Andererseits einfach alle Befürchtungen zu kommunizieren, wäre genauso unethisch, weil man damit eventuell vorschnell mögliche Erkenntnisse verhindert.

spezial: Letzte Frage: Die Art, wie Sie Forscher zu ethischen Diskussionen anregen, ist wohl in Österreich einzigartig. Warum halten Sie das für so wichtig?

Pelzl: Die Kurzantwort lautet: Weil ich mir wünsche, dass es bekennende Menschen gibt. Die Erwartung dahinter ist auch, dass damit der Horizont für Problemlösungen kreativ erweitert wird. Man könnte es also auch eine Verbesserung der Qualität der Forschung nennen.

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