Fasten Diät Entgiftung Entschlackung - © Foto: Couleur / Pixabay

Fasten-Seminare: Nichts inklusive

19451960198020002020

Urlaub in einem feinen Hotel. Und es gibt (fast) nichts zu essen. Stattdessen Entschlackung, Entgiftung und Diät. Über den Fasten-Trend.

19451960198020002020

Urlaub in einem feinen Hotel. Und es gibt (fast) nichts zu essen. Stattdessen Entschlackung, Entgiftung und Diät. Über den Fasten-Trend.

Werbung
Werbung
Werbung

Zwei Millionen Österreicher wollen heuer fasten. Das ist zumindest das Ergebnis einer Umfrage, die vom Teehersteller Sonnentor in Auftrag gegebenen wurde. Was der Einzelne dabei unter Fasten versteht, lässt die Studie hingegen offen: Von der radikalen Saftkur bis zum eingeschränkten Fernsehkonsum scheint alles möglich.

Dass es einen regelrechten Fasten-Trend gibt, bestätigt die Medizinerin Gertrud Hasslacher-Zehentner. Als Vorstandsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Gesundheitsförderung (die eine Ausbildung zum zertifizierten Fastentrainer anbietet), weiß sie auch, wer die Fasten-Seminare besucht: Als erstes fallen ihr "ausgepowerte Menschen" ein, dann "so ziemlich jeder: einfache Menschen genauso wie Akademiker; viele befinden sich in der Lebensmitte, zunehmend aber auch Jüngere."

Skeptisch bis ablehnend

Dass immer mehr Menschen freiwillig auf Essen verzichten, mag überraschen. Denn die wirklichen Fachleute - Ernährungsmediziner und Ernährungswissenschafter - stehen der wachsenden Zahl an Fastenmethoden und -moden im besten Falle skeptisch, meist sogar direkt ablehnend gegenüber. Dabei bleibt oft unklar, was ein bestimmter Experte mit dem Begriff "Fasten" genau bezeichnet: (wirklich gefährliche) Nulldiäten oder (angeblich lebensverlängerndes) Dinner Cancelling oder… Vieles ist denkbar.

Mehr als die Hälfte sagt: Ich möchte meine Mitte finden. Und immer weniger argumentieren: Ich will abnehmen.

Gertrud Hasslacher-Zehentner

Unter naturwissenschaftlich Denkenden ruft auch die in der Fasten-Szene übliche Redeweise Unverständnis hervor. "Ich weiß nicht, was, entschlacken' bedeuten soll. Das ist kein wissenschaftlicher Begriff", zeigt sich etwa Österreichs einziger Professor für Ernährungsmedizin Kurt Widhalm beinahe genervt und fügt hinzu: "Damit wird viel Unfug getrieben." Natürlich ist der Mensch kein Schlacke produzierender Hochofen, aber gibt es nicht positive Wirkungen auf den Stoffwechsel? "Richtig ist, dass einige giftige Stoffe, die im Fett eingelagert sind, beim Abnehmen aufgeschlossen und ausgeschieden werden können", so Widhalm.

Ob und inwieweit ein solcher Entgiftungsprozess tatsächlich bei bestimmten Fastenkuren abläuft, ist nicht erforscht. Jedoch weiß man, dass zunächst nicht Fett, sondern Wasser, die gespeicherten Zuckervorräte und Muskelmasse verloren gehen. Als Medizinerin kennt Hasslacher-Zehentner die kritischen Einwände ihrer Standeskollegen, meint aber, dass bei dem von ihr propagierten Konzept nach Buchinger-Lützner auf eine ausreichende Nährstoffzufuhr geachtet und durch ein Bewegungsprogramm dem Muskelabbau vorgebeugt wird.

Nur kurze Zeit fasten

Viele kritisieren auch die Darmreinigung, die bei ihrer Fastenmethode angewandt wird. Die Fastenexpertin rechtfertigt dies mit den langjährigen guten Erfahrungen: "Der Hungerreiz wird dabei geringer." Auch empfiehlt sie Fasten nur für kurze Zeit - konkret fünf reine Fasttage - womit unerwünschte körperliche Nebenwirkungen minimiert werden.

"Seelische Schlacken"

Des Weiteren betont die erfahrene Fastenleiterin: "Wir bauen auch seelische Schlacken ab." Am liebsten zieht sie sich dafür mit einer Fastengruppe in ein Hotel zurück: "Weil da tut sich im seelisch-geistigen Bereich mehr." Dass die Fastenteilnehmer die Auseinandersetzung mit sich selbst suchen, ist für Hasslacher-Zehentner offenkundig: "Mehr als die Hälfte sagt: Ich möchte meine Mitte finden. Und immer weniger argumentieren: Ich will abnehmen." Gewicht verlieren Fastende tatsächlich - oft aber in Form von Muskelmasse, weshalb sie nach einer abstinenten Woche schnell wieder ihre Kilos zurückgewinnen: Der berühmte Jojo-Effekt. Auch das ein Grund, warum viele Ernährungswissenschafter Fastenkuren als ineffiziente Diäten verurteilen.

Alle Fastenden, die einmal angefangen haben zu fasten, fasten immer wieder.

Gertrud Hasslacher-Zehentner

Wolfgang Marktl, Physiologie-Professor an der Medizinischen Universität Wien, wendet demgegenüber ein, dass Fasten sich nicht mit Diäthalten gleichsetzen lässt, sondern es natürlich auch um ein spirituelles Erleben geht. Dass die Körperreaktionen sich auf eine Nahrungsmangelsituation einstellen, hält er für richtig. Sie deswegen als Notstand zu dramatisieren für irrig. Denn: Genauso gut könne man argumentieren, dass - auf wohl kalkulierte Weise - der Organismus dazu angeleitet wird zu ökonomisieren. Dabei werden biochemische Kreisläufe aktiviert, auf die der Körper in früheren Zeiten (des realen Mangels) problemlos umschalten konnte, die in unserer Überflussgesellschaft aber nur mehr selten zum Einsatz kommen. "Warum sollte dies Stoffwechsel-physiologisch nicht sinnvoll sein", fragt Marktl kritisch.

Wohlige Zufriedenheit

Auch für die wohlige Zufriedenheit, von der so viele Fastende nach einiger Zeit berichten, hat der Physiologe eine molekulare Erklärung. Der Körper schüttet natürliche Opioide aus: "Beim Abbau von Fett werden sogenannte Ketosäuren frei. Diese werden unter anderem für die Gehirnversorgung verwendet. Man spekuliert, dass sie positive Effekte auf die Hirnzustände haben."

Gut fühlen sich auch die Teilnehmer der Fastenkur von Hasslacher-Zehentner. Viele machen die Erfahrung, dass sie sensibler auf ihre Umwelt reagieren. "Der Geist leert sich" heißt es dazu in der Fastenliteratur. Doch der nüchternen Medizinerin klingt das ein wenig zu esoterisch: "Ich sage lieber: 'Es ordnet sich etwas im Fasten.'"

Eine andere Formel, die das Wesen des Fastens auf den Punkt bringt und die sie gerne zitiert, lautet: "Fasten führt zu Wegkreuzungen". Dabei führt die Kreuzung scheinbar immer wieder zur selben Kreuzung zurück. Denn so Hasslacher-Zehentner: "Alle Fastenden, die einmal angefangen haben zu fasten, fasten immer wieder."

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung