Fasten Kloster - © Foto: Kloster Pernegg

Fastenkurs im Kloster Pernegg: Entleerung und Euphorie

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Gestresste, Sinnsuchende, Selbsterfahrungsjunkies und Abspeckfans: Sie alle treffen sich im Waldviertler Kloster Pernegg zu einer Woche "Fasten für Gesunde".

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Gestresste, Sinnsuchende, Selbsterfahrungsjunkies und Abspeckfans: Sie alle treffen sich im Waldviertler Kloster Pernegg zu einer Woche "Fasten für Gesunde".

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Am Anfang ist es noch Karottensaft - aromatisch vermischt mit Orange, Apfel, Kiwi und ein paar Tropfen Öl. "Das wird in der Früh das Beste vom Tag werden", prophezeit Maria den Neuankömmlingen im Gruppenraum. Bereits zum dritten Mal macht sich die schlanke Frau im Kloster Pernegg, einer Dependance des Prämonstratenser-Stiftes Geras im nördlichen Waldviertel, auf Entdeckungsreise in Körper und Seele. So viel Routine macht sicher: Während die Anfänger scheu die Karottenmixtur in der Mitte mustern, blickt sie gelassen in die Runde.

Big Mac und Fastentee

Auch Uschi ist ein alter Hase, was das Fasten betrifft. "Total gestresst" ist die Chefin einer Immobilienkanzlei und Mutter eines 19-jährigen Sohnes Freitag Abend im verschneiten Pernegg angekommen – nicht ohne zuvor dem Sprössling zuliebe bei McDonald's vorbeizuschauen. Sie selbst sei natürlich enthaltsam gewesen, beteuert sie: "Seit ich vor zwölf Jahren das erste Mal fasten war, bin ich süchtig. Nach so einer Woche kennt man sich selbst nicht mehr."

Die Erwartungen sind groß. Das weiß auch Alexander Graffi, jener Mann, der die neun Männer und zehn Frauen durch die Woche leiten wird - auf einem Parcours zwischen Einlauf und Euphorie. "Zur Begrüßung genehmigen wir uns noch einen leckeren Cocktail", versucht er die Gruppe zu ermuntern und vertröstet sie – nach einer Einführung über die Grundregeln und Folgen des Fastens – auf die letzte, feste Mahlzeit: eine klare Gemüsesuppe mit Knäckebrot.

Es ist wichtig, nach fünf Fastentagen den ersten Apfel richtig zu essen: Man muss ihn riechen, schmecken, kauen und genießen.

Hellmut Lützner

Seit zwei Jahren begleitet Graffi als einer von neun ausgebildeten Fastengruppenleitern in Pernegg Menschen beim "Fasten für Gesunde". Ein Angebot, das auf wachsende Beliebtheit stößt: Im heurigen zehnten Jahr des Fastenprogramms werden in dem malerischen Kloster bereits 30 Kurse – zum Preis von rund 800 Euro – angeboten: ein 170 Kilometer langer Fastenpilgerweg ist ebenso im Angebot wie eine Fastenwoche mit dem ehemaligen Abt von Stift Geras, Joachim Angerer. "Bei uns kann man nicht nur ein Mensch sein, der liefert, sondern auch einer, der aufmacht", erklärt der spirituelle Leiter der Fastenkurse, Pater Sebastian Kreit.

Fasten Kloster Seminar - © Foto: Newmann Rita
© Foto: Newmann Rita

Einer, der das erfahren hat, war auch Alexander Graffi: "Ich wollte auf Gott hören und sehen, ob es besser funktioniert, wenn man fastet", erzählt er nach dem abendlichen Suppenessen. "Ich habe mich tatsächlich wie neugeboren gefühlt: leichter, freier, energiegeladener." Kurz entschlossen besuchte er die Deutsche Fastenakademie und lernte dort jene Regeln kennen, nach denen in Pernegg streng gefastet wird – die Methode nach Hellmut Lützner.

Im Unterschied zum Heilfasten nach Otto Buchinger ist sein "Fasten für Gesunde" für kürzere Zeit anberaumt -und auch ohne ärztliche Anleitung möglich. "Wir weisen die Teilnehmer vor Kursbeginn aber darauf hin, dass sie gesund sein müssen", erklärt Graffi. Eine Konsultation des Hausarztes vor einer Fastenwoche sei ratsam, aber nicht verpflichtend.

Dass Fastenkrisen auftreten können, ist Alexander Graffi wohl bewusst. "An den ersten Tagen kommt es manchmal zu Kopf- oder Muskelschmerzen." Umso wichtiger sei es, die fünf Grundregeln des Fastens nach Lützner zu beachten:

  • reichhaltige Flüssigkeitszufuhr (mindestens drei Liter Tee, Gemüsebrühe, Obst- und Gemüsesäfte und Wasser pro Tag);
  • Verzicht auf Nikotin und Alkohol, Süßigkeiten und Kaffee;
  • Loslösung von beruflichen und familiären Bindungen, weg von Terminkalender und Telefon;
  • Tun, wonach der Körper verlangt: schlafen, bewegen, Sport treiben;
  • Ausscheidungen fördern: den Darm entleeren, die Nieren durchspülen, schwitzen.
Fasten Kloster - © Foto: Newmann Rita
© Foto: Newmann Rita

Ob Fasten zu einer tiefgreifenden Erfahrung wird – oder nur den gefürchten Jo-Jo-Effekt in Gang setzt – hängt freilich zu allererst von der richtigen Fastenleitung ab. Das weiß niemand besser als Hellmut Lützner selbst: Der heute 76-jährige Internist hat nach der Tätigkeit in der weltbekannten Buchinger-Klinik in Überlingen am Bodensee seine eigene 120-Betten-Klinik aufgebaut – und speziell für Pernegg das Konzept des Erlebnisfastens entwickelt. "Es ist wichtig, nach fünf Fastentagen den ersten Apfel richtig zu essen: Man muss ihn riechen, schmecken, kauen und genießen."

Vertriebener Hunger

Für die 19 Fastenkandidaten in Pernegg ist dieses Apfelerlebnis noch in weiter Ferne. Sie stehen am Samstag morgen vor der ersten, unangenehmen Herausforderung – dem Glaubern. Mit einer Mischung aus Vorfreude und Selbstmitleid nehmen sie im Speisesaal an der großen Tafel Platz und saugen an der – mit Zitronensaft und Pfefferminztee verfeinerten – Glaubersalzlösung. Ab jetzt ist der Eintritt in die Fastenwoche besiegelt, führt doch die Mixtur zu einer vollständigen Entleerung des Darms - und lässt das Hungergefühl erlöschen.

Ab jetzt ist der Eintritt in die Fastenwoche besiegelt, führt doch die Mixtur zu einer vollständigen Entleerung des Darms – und lässt das Hungergefühl erlöschen.

"Schmeckt wie Cuba Libre", meint Georg, ein Rechtsanwalt, mit gequältem Lächeln. Thomas, Juniorchef eines mittelgroßen Unternehmens, pflichtet ihm grinsend bei. Eineinhalb Stunden später durchstreift der Dreißigjährige noch immer die Gänge des Klosters und wartet auf den ultimativen Toilettengang. Wenn der nicht kommt, kann nur ein Einlauf helfen.

Das Glaubern hat Claudia schon hinter sich: Als Fastenprofi hat die Tennislehrerin das Gebräu schon am Vorabend getrunken. Die fünf Fastentage sind ihr längst zu wenig: "Insgesamt will ich wieder 40 Tage fasten – wie der Jesus." Durch diese Radikalkur komme sie endlich wieder auf ihr Idealgewicht.

Kloster statt Strand

Eine Einstellung, bei der Ingrid Kiefer, Ernährungswissenschaftlerin am Wiener Institut für Sozialmedizin, die Hände zusammen schlägt: "Beim Fasten bekommt der Körper zu wenig Eiweiß. Er baut also Muskelmasse ab und damit sinkt der Energie-Grundumsatz - was leicht zum Jo-Jo-Effekt führt." Fasten allein zur Gewichtsreduktion sei also ungeeignet. Gegen Fasten zur persönlichen Bereicherung hat sie jedoch nichts einzuwenden.

Dass es zu einer persönlichen Horizonterweiterung kommen wird, ist für Immobilienmaklerin Uschi gewiss. Statt in Griechenland am Strand zu liegen, durchstreift sie fastend die Umgebung des Klosters, lässt sich massieren und liest ein gutes Buch. "Man kann sich äußerlich ja nicht erholen, wenn man innerlich nicht gereinigt ist."

Infos über die Fastenkurse in Pernegg unter beim Kloster Pernegg; Infos zur Fastenleiterausbildung bei der Deutschen Fastenakademie.

Buch

Natürlich gesund durch Fasten

Von Hans Scherz
Kneipp Verlag, 2004
95 Seiten, € 12,90

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