Floating - © Foto: Floating-Zentrum Schwerelos

Floating: Schwerelos durch die Nacht

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Floating gilt als ultimativer Weg zur Tiefenentspannung. Das medizinisch geprüfte Verfahren führt in eine seltsam stille Welt. Persönliche Erfahrungen mit dem radikalen Reizentzug.

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Floating gilt als ultimativer Weg zur Tiefenentspannung. Das medizinisch geprüfte Verfahren führt in eine seltsam stille Welt. Persönliche Erfahrungen mit dem radikalen Reizentzug.

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Es ist nicht das erste Mal, dass ich in einen Floating-Tank steige. Vor etlichen Jahren habe ich einen im Wohnprojekt der Wiener Sargfabrik ausprobiert. Durch eine Luke ließ ich mich in das warme Dunkel hinab. Wohlig umhüllte das Wasser meinen Körper, doch richtig entspannt war ich nicht. Die Vorstellung, dass der Deckel am Eingang, so wie vorgesehen, über meinem Kopf zuklappen würde, bereitete mir Unbehagen. Die Aura stockdunkler Abschottung erinnerte mich ein bisschen an Edgar Allan Poes Schauergeschichte „Lebendig begraben“. Als leichter Kontrollfreak mit latent klaustrophobischen Tendenzen konnte ich gerne darauf verzichten. Ich achtete darauf, dass die Luke stets einen Spalt offen stand – und blieb nicht allzu lange.

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Diesmal ist es anders. Jaser Al Janabi führt mich durch das Floating-Zentrum „Schwerelos“. Hier in der Wiener Lange Gasse gibt es keine geschlossenen Tanks, sondern große Badewannen. Es herrscht die Atmosphäre einer kleinen Wellness-Oase, mitten in der Stadt. Der Mitarbeiter zeigt mir den Maschinenraum und die Massen an Salzsäcken, die hier gelagert werden, um das Wasser anzureichern.

Auch im Toten Meer sorgt das viele Salz dafür, dass man auf dem Wasser treiben kann, völlig mühelos. In der fast gesättigten Salzsole eines Floating-Tanks macht man sich diesen Effekt zunutze. In keinem anderen Zustand ist die Schwerkraft weniger spürbar. Es sei denn, man fliegt ins Weltall. Als „kosmische Hängematte“ wird das Floaten daher manchmal auch bezeichnet. Da das Wasser mit ca. 35 Grad Celsius die gleiche Temperatur wie die Haut hat, kann es dazu kommen, dass sich die Grenzen zwischen Ich und Umwelt auflösen. „Wenn Sie Raum- und Zeitgefühl verlieren, holt Sie das Licht nach 50 Minuten wieder zurück“, sagt Al Janabi. Er führt mich in die Kabine und gibt mir Instruktionen: Duschen, Ohrenstöpsel, Lichtschalter und Alarmknopf. Es ist einer der ersten kühleren Herbstabende. Eine gute Zeit, um in die Wanne zu gleiten.

Zwischen Wachen und Schlafen

Die Idee eines Floating-Zentrums, das für alle zugänglich ist und sich an wissenschaftlichen Maßstäben orientiert, wurde an der Medizinischen Universität Wien geboren. Für sein Doktoratsstudium hat Andreas Huber zunächst ein kleines Labor im achten Bezirk aufgebaut. „Bei meiner Studie ging es um Zustände zwischen Wachen und Schlafen, wie sie bei tiefer Entspannung und der Isolation von äußeren Reizen auftreten. Floating schien das richtige Werkzeug für solche ‚hypnagogen‘ Verfassungen zu sein“, berichtet der Begründer des Zentrums. „Die dabei auftretenden Bewusstseinsveränderungen sind charakterisiert durch innere Bilder, die vergleichbar mit luziden Träumen sind.“ Zudem hat das Floating ganz greifbare körperliche Wirkungen, vor allem die Reduktion von Stress. Über die körperliche Ebene wird der Geist beeinflusst. Das für Entspannung zuständige parasympathische Nervensystem sorgt dabei für massiven Input. Studien zeigen, dass durch wiederholtes Floating ein neuer Umgang mit Stress erlernt werden kann, so Andreas Huber: „Im Zuge dieser Arbeit habe ich auch die Forscher in Schweden kennengelernt, welche die bisher umfangreichste Studie zur angstlösenden Wirkung des Floatings durchgeführt haben.“ Bereits vor fünf Jahren hat Kristoffer Jonsson von der Universität Karlstad vielversprechende Effekte dieser Methode bei Patienten mit Generalisierter Angststörung (GAD) nachweisen können.

„Die ersten 15 Minuten können komisch sein“, sagt Jaser Al Janabi. Die Mitarbeiter werden hier dazu angehalten, selbst regelmäßig zu floaten, um darüber aus der Innenperspektive berichten zu können. „Ich schlafe dabei immer ein“, lächelt der gebürtige Iraker und drückt die Augen zu. „Man ruht hier einfach so gut.“

Der Atem hallt durch den Körper: Ist die Umwelt einmal stummgeschaltet, wird man hypersensibel für die inneren Eindrücke.

Ich schwebe im Wasser und schaue zur Decke. Ein mattes, warmes Licht durchdringt den Raum. Vor allem Kopf und Nacken fühlen sich jetzt seltsam an. Mir fällt es schwer, die Muskulatur zu lockern und den Kopf „loszulassen“. Ungewohnt auch die akustische Situation: Die Ohren sind abgedichtet, unter Wasser. Was bleibt, sind Geräusche aus dem Inneren, die jetzt stärker hervortreten. Das Gehirn hat offensichtlich eine Art von Lautstärkeregler für unsere Wahrnehmungen. Ist die Umwelt einmal stummgeschaltet, wird man hypersensibel für die inneren Eindrücke. Mein Magen gluckst. Der Atem hallt dumpf durch den Körper; vielleicht so, wie Taucher oder Astronauten ihre Atmung erleben. Ich atme ruhig. Das führt zu einem Feedback-Loop, den ich von meiner Yoga-Praxis gut kenne: Die achtsame Wahrnehmung des ruhigen Atems beruhigt. Schön langsam entspannt sich auch mein Nacken. Der Kopf sinkt nach hinten.

„Es hat sich bald gezeigt, dass die Teilnehmer auch nach dem Ende unserer Studie weiter floaten wollten“, erzählt Andreas Huber. „Dadurch wurde mir bewusst, dass es in Wien einen Bedarf für diese vielseitige Methode gibt.“ Der Wissenschafter begann, eine Vision zu verfolgen. Anstatt von Förderungen durch Drittmittel abhängig zu sein, sollte die gewerbliche Nutzung des Floatings die entsprechende Forschung finanzieren. Das Potenzial scheint groß: Auch beim Burnout-Syndrom sowie bei chronischen muskulären Schmerzen gibt es Daten, wonach diese Methode eine hilfreiche Behandlung sein kann.

„Mit der Zeit wird jeder butterweich“

Gerade aus orthopädischer Sicht schafft das Floating ideale Bedingungen: Die Wirbelsäule ist völlig gerade, die Muskeln sind entspannt; Gelenke, Bänder und Bandscheiben entlastet. Ein ideales Setting also, um Zerrungen und Verstauchungen, Ischias und Hexenschuss, Gelenkbeschwerden und Bandscheibenvorfälle zu lindern. „Die Leute kommen oft ohne Schmerzen und Schonhaltung wieder raus“, bemerkt Huber. Natürlich gibt es auch Kontraindikationen: So sollte man etwa bei Thromboseneigung, Herzkreislaufproblemen oder offenen Hautstellen dem Floaten fernbleiben. Das Salzwasser kann schmerzen.

Nach langwierigen Gesprächen mit den Behörden und als eine passende Immobilie gefunden war, startete 2018 der Betrieb des Wiener Floating-Zentrums. „Die Nachfrage ist stetig gestiegen“, sagt Huber. Bis die Coronakrise kam – und die Einrichtung für acht Monate geschlossen werden musste. Kurz vor dem ersten Lockdown erteilte die Ethikkommission der Med-Uni Wien die Genehmigung, eine Studie mit Angstpatienten durchzuführen. Das Projekt liegt derzeit noch auf Eis, da die Pandemie weiterhin Verzerrungen bei einer solchen Studie befürchten lässt. „Das allgemeine Angstniveau ist in den letzten beiden Jahren sicher gestiegen“, so der wissenschaftliche Unternehmer.

Einfach so im Dunklen zu verweilen, fühlt sich sehr speziell an. Ich weiß nicht mehr, wie lange ich schon hier drinnen bin: ‚Auszeit‘.

Ich schwebe in einem Meer von Dunkelheit. Irgendwann habe ich das Licht abgeschaltet. Keine Spur von Angst. Kein Impuls mehr, sich zu bewegen oder etwas zu tun. Die Aufmerksamkeit ist nach innen gerichtet. Wohlige Wärme, tiefe Entspannung. Der Atem hallt im Hintergrund, Gedanken ziehen vorbei, ruhig und beschaulich. „Marrakesch“, so fällt mir gerade ein, „war die schönste Stadt, in der ich jemals war.“ Ein paar Bilder tauchen auf, orientalische Szenerien bleiben jedoch aus. Ebenso wie luzide Imaginationen oder besondere Ideen. Das braucht es auch gar nicht: Nur so im Dunklen zu verweilen, fühlt sich sehr speziell an. Ich weiß nicht mehr, wie lange ich schon hier drinnen bin: „Auszeit“.

Rundum schwerelos. Ich genieße die totale Nacht.

Dass sich beim Floating auch die Kreativität steigern lässt, kann ich jetzt gut nachvollziehen. Manche nutzen dieses Setting, um ihre motorischen Fähigkeiten zu verbessern oder um eine neue Sicht auf bestimmte Probleme zu bekommen. Andere wollen damit in die Tiefen ihres Unbewussten vordringen. „Mit der Zeit wird hier jeder butterweich“, sagt Andreas Huber. „Wenn die Verhärtungen des ‚Muskelpanzers‘ schwinden, kommt man viel leichter zu den Problemstellen – egal, ob sich diese im Körper oder im Seelenleben befinden.“ Deshalb könne man in diesem Zentrum auch andere Angebote wie Massage, Physiotherapie, Coaching oder Psychotherapie in Anspruch nehmen. Das Floating schaffe gute Voraussetzungen dafür. Die hartnäckige Arbeit am „Selbst“ aber kann es freilich nicht ersetzen.

Rundum schwerelos. Ich genieße die totale Nacht. Den Raum, die Stille. Und ich habe aufgehört, gelegentlich Ausschau zu halten nach dem roten Ring des Alarmknopfes. Das Wort „Urvertrauen“ kommt mir in den Sinn. Hier könnte man gut darüber meditieren. In der Fachliteratur wird das Floating zuweilen sogar als „Rückkehr in den Mutterleib“ beschrieben. Im jetzigen Zustand erscheint mir das nicht ganz abwegig. Es ist schon eine uterale Situation, aber luftig und geräumig.

Inneres Nachglühen

Das Licht geht an, ich öffne die Augen. Es wirkt zunächst grell. Der Kopf liegt nicht ganz da, wo ich ihn erwartet hätte. Ich lasse mir Zeit für den Übergang. Es dauert eine Weile, bis sich die Wanne zu leeren beginnt. Man verlässt einen Floating-Tank mit dem gleichen Prozedere wie eine Therme. Doch die Entspannung ist tiefer, die Erfahrung schwingt nach. Kenner dieser Methode beschreiben die Leichtigkeit danach als inneres Glühen („Post-Float-Glow“). Ein solcher Connaisseur bin ich noch nicht. „Beim zweiten Mal findet man meist schneller und tiefer hinein“, sagt Yaser Al Janabi, als ich mich von ihm verabschiede. Draußen im Getöse der Straße spüre ich dann doch ein leichtes Glühen: Es ist eine beglückende Erfahrung, sich fallenzulassen.

Fakt

Der Reiz des Reizentzugs

Schamanen, Yogis, Fakire, Mönche und andere spirituell Suchende teilten schon immer eine seltsame Vorliebe: Sie zogen sich aus dem geschäftigen Alltag zurück und setzten sich in diversen Abstufungen einer sensorischen Isolation aus – in einsamen Höhlen oder Wüsten, in Schwitzhütten, durch Fasten oder Schweigegebote. Die Grundidee des Floatings ist also uralt. Die ersten Floating-Anlagen mit konzentriertem Salzwasser wurden in den 1950er Jahren vom amerikanischen Biologen John C. Lilly entwickelt, der damals am US National Institute of Mental Health tätig war. Man wollte die Funktionsweise des Gehirns erforschen und ging der Frage nach, ob die psychische Stabilität von den Reizen aus der Außenwelt abhängig ist. Und es zeigte sich, dass Menschen die Abschottung im FloatingTank nicht nur gut überstehen, sondern dieser Reizentzug auch imaginative, halbtraumartige Zustände begünstigt, die einen positiven Wert haben können. Welche Strukturen das Gehirn erschafft, wenn die Außenreize wegfallen, war auch das Thema der Doktoratsstudie von Andreas Huber, dem Begründer des Floating-Zentrums in Wien (siehe oben).

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