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Forschung für Laien zugänglich machen

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Haben Sie unkonventionelle Forschungsideen, wissen aber nicht, wie man sie umsetzt und wer interessiert sein könnte? „Wissenschaftsläden” helfen ihnen weiter...

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Haben Sie unkonventionelle Forschungsideen, wissen aber nicht, wie man sie umsetzt und wer interessiert sein könnte? „Wissenschaftsläden” helfen ihnen weiter...

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Ausgehend von der Erkenntnis, daß es in der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern, Bürgern und Verwaltung große Defizite gibt, und bessere Kontakte vonnöten sind, ergab sich die Notwendigkeit einer vermittelnden Stelle, die Kontakte knüpft, Kenntnisse sammelt, weitergibt und aus diesen Kenntnissen etwas macht, mit einem Wort: die Notwendigkeit von „Wissenschaftsläden” (WILA).

Dazu kommt, daß es zur Zeit auf der Welt an die zehn Millionen Veröffentlichungen jährlich gibt, also täglich 27.000. Einer UNESCO-Sta-tistik zufolge gab es allein im Jahr 1991 weltweit 685.039 neue wissenschaftliche Buchpublikationen. Wie soll oder kann sich der einzelne da noch zurechtfinden?

Ins Leben gerufen wurde die Einrichtung der „Wissenschaftsläde” (WILA^) in Holland, wo es die Idee bereits zu Beginn der siebziger Jahre gab. Sie wurden relativ rasch, an den Universitäten etabliert, wo sie sogar getrennt nach Fachgebieten eingerichtet sind und gut funktionieren Vorbild, auch für Holland, war der empirische Erfahrungsaustausch im angelsächsischen Raum.

Ein Wissenschaftsladen sieht sich als Schaltstelle für den Wissenstransfer zwischen Universitäten und sogenannten wissenschaftsfernen Gruppen wie Bürgerinitiativen oder kleineren Gemeinden, die sich keine eigene Forschung leisten können -und natürlich für Privatpersonen ohne entsprechende Lobby und Finanzierungsmittel. Umgekehrt profitieren aber auch die Universitäten von der Bevölkerung, denn manche Anfrage erweist sich als interessantes Thema etwa für eine Diplomarbeit.

In Osterreich gibt es Wissen-schaftsläden in Linz, Graz, Innsbruck, Salzburg - und seit 1992 auch in Wien. Stefan Sauermann vom WILA Wien: „Alle Menschen sollten gleichermaßen von der Wissenschaft profitieren können. Der Wissenschaftsbetrieb ist von diesem Grundsatz jedoch weit entfernt. Eine ziemlich kleine, elitäre Gruppe „macht” und nützt Wissenschaft. Dazu kommt, daß sich unsere Zeit in hohem Maß dem Expertentum verschrieben hat. Experten werden heute bei fast jeder Entscheidung hinzugezogen.

Die Palette der Anfragen im WILA ist äußerst vielfältig. In den letzten drei Jahren hat man es in Osterreich mit über tausend Anfragen zu tun gehabt.

■ So wollte zum Beispiel der Bürgermeister von Bainbach im Mühlviertel wissen, ob und wie sich die alte Pferdeeisenbahn revitalisieren ließe. Ein Wissenschaftsladen erarbeitete ihm ein komplettes Konzept. Für die Errichtung eines Pferdeeisenbahn-Museums wurde ein Historiker als Batgeber hinzugezogen.

■ Der Verein „Tagesmütter” wollte sich rechtlich absichern und fragte nach den in Österreich gültigen Richtlinien. Das Thema wurde als Diplomarbeit vergeben.

■ Lehrern „stank” der Unterricht. Sie suchten wissenschaftliche Grundlagen über das Raumklima in Schulklassen. Auch ihnen wurde mit einer Diplomarbeit geholfen.

■ Eine Hausfrau wollte über die Belastung von Gemüse mit Schwermetall Bescheid wissen. Ergebnis: eine Broschüre für viele Interessierte.

Der Wiener Wissenschaftsladen kümmert sich auch um studentische Anliegen. So kamen Studenten der Wiener Universität, die viel Zeit im „Audi Max” verbringen, mit der Feststellung zum WILA, daß die Stärke ihrer Brillen von Jahr zu Jahr verstärkt werden müsse. Sie wollten wissen, ob das in Zusammenhang mit der schwachen Beleuchtung im Audi Max stehe. Der WILA forschte nach, welche Vorschriften es für Hörsäle dieser Größenordnung gibt und fand heraus, daß die Önorm 500 Lux vorschreibt. Es wurde mit einem Luxmeter während einer Vorlesung gemessen, um diesen Wert nachzuprüfen. Ergebnis: 30 bis 50 Lux!

Dieser Wert ist laut Önorm für „Kleintier- und Geflügelstätte” vorgesehen! Stefan Sauermann: „Die Universitätsdirektion wurde über diesen Tatbestand informiert, ein Umbau wurde zugesagt. Beides für den Sommer 1993. Nur leider ist der „Hühnerstall”, auch laut Aussage des Vorsitzenden der Hochschülerschaft an der Universität Wien, Mathias Winkler, nach wie vor gegeben.

Eine Gemeinde in Niederösterreich wollte wissen, wie es einer Polizistin in der Männerwelt, in ihrem Berufsalltag geht, ob sie von der Bevölkerung akzeptiert wird und ob die Frauen ihrer Gemeinde vom Einsatz einer Polizistin profitieren würden oder nicht. Der WILA Wien hat sich um diese Frage gekümmert.

Stefan Sauermann dazu: „Unser Wissenschaftsladen war anfangs die theoretische Spielerei einiger Studenten, die sich überlegten, ob ein solches Projekt in der Theorie zu starten wäre. Es blieben nur einige wenige von uns dabei, als es dann in die Praxis ging. Heute besteht unser Kernteam aus sieben Mitarbeitern, das sind Jungakademiker und Studenten. Wir suchen laufend Menschen, die an Vernetzung interessiert sind. Außerdem braucht ein Wissenschaftsladen natürlich Geld. Sowohl die Stadt Wien als auch das Wissenschaftsministerium haben Geldmittel in Aussicht gestellt, vor Fertigstellung des Budgets und im Hinblick auf die angesagte Sparwelle ist aber noch „nix fix”.

Einigkeit herrscht über die Aufgabenstellung: „Wir wollen helfen, daß Menschen die Expertisen der Experten verstehen und lesen lernen. Wir bieten „Gebrauchsanweisungen” für den Umgang mit Wissenschaftlern an. Themen die man an uns heranträgt, werden multidis-ziplinär behandelt Die Interessen der Bevölkerung sollen in die Forschung einfließen.

Das Beispiel Tschernobyl hat gezeigt, daß einander widersprechende Expertengutachten zur Frage berechtigen, ob der Bürger der Wissenschaft heute noch vertrauen kann und soll. Wissenschaftstransfer betreiben heißt Flexibilität und Offenheit nach allen Seiten hin.

Universitäten sollen heute nicht mehr als abgeschottete Systeme gesehen werden, deren Aufgabe darin besteht, ihre Studierenden zu verwalten. Ein vielfältiger Austausch kann mit Hilfe der WILA viel besser erreicht werden.”

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