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Fortschritte bei der Energieübertragung mit Hochspannung

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Die fortschreitende Industrialisierung und der Ausbau der Großstädte hat es mit sich gebracht, daß der Schwerpunkt des Verbrauches des elektrischen Stromes vielfach nidit mehr mit den Stätten seiner Erzeugung zusammenfällt.

Eines der wichtigsten Probleme der Energiewirtschaft ist aus diesem Grunde die Energieübertragung. An sich stellt die leichte Möglichkeit der Übertragung elektrischen Stromes über Berg und Tal, über Flüsse und Verkehrswege, man kann wohl sagen, den größten Vorteil bei der Nutzbarmachung der Elektrizität dar. Natürlich kostet die Errichtung der Leitungen, welche die Energieübertragung bewerkstelligen, Geld, und zwar oft ganz bedeutende Summen, die keineswegs gegen die Beträge für den Bau der Kraftwerke selbst zu vernachlässigen sind.

übertragen wird Arbeit, als welche ja die elektrische Energie anzusprechen ist. Größe und Stärke der Übertragungsmittel bestimmen jedoch die Leistung, also die geleistete beziehungsweise übertragene Arbeit pro Sekunde. Elektrische Leistung ist bekanntlich, kurz gesprochen,

das Produkt aus Strom und Spannung.

Der Stromtransport ist zwangsläufig mit Leistung Verlusten verbunden. Die hauptsächlichsten Verluste sind die sogenannten .Ohmsdien Verluste“, das sind die Erwärmungsverluste, die der elektrische Strom im Leiter verursacht. Diese wachsen sehr stark (quadratisch) mit stei- gender Stromstärke. Großer Strom bedeutet somit große Verluste. Es liegt daher nahe, zum Erhalt einer möglichst großen Leistung große Spannung bei mäßigen Stromstärken für die Übertragung zu verwenden.

Natürlich ist auch hier eine Grenze gesetzt. Zunächst steigt der Preis für die höheren Erfordernisse der Isolation bei höherer Spannung. Man braucht höhere Maste, breitere Ausleger, längere Isolatorenketten usw., die natürlich höhere Anschaffungskosten verursachen. Bei Höchstspannungen tritt ferner ein weiterer Leistungsverlust auf, der bei kleineren Spannungen unmerklich bleibt. Es 6ind dies die sogenannten „Koronaver- luste", die, ähnlich wie die bekannten Elmsfeuer, eine Abstrahlung von Energie in den die Leitung umgebenden Luftraum darstellen. Ihre Größe hängt insbesondere von den Witterungsverhältnissen ab und ist bei Regen und Nebel bis 30fach größer als bei schönem Wetter.

Um Übertragungsleitungen möglichst günstig auszulegen, hat man daher frühzeitig Wirtschaftlichkeitsberechnungen durchgeführt, deren wichtigster Punkt die Festlegung der Übertragungsspannung war. Allerdings hängt das Resultat ganz wesentlich von dem Stand der Technik ab, sowohl was die Kosten für die Erzeugung der Leitungsdrähte, der Maste und Isolatoren betrifft, die mehrfach einschneidend gesenkt werden konnten, als auch bezüglich der Herabminderung der erwähnten Koronaverluste durch entsprechende Ausführung der Leiter.

Wirtschaftlichkeitsberechnungen aus der letzten Zeit zeigen, daß optimale Verhältnisse heute um etwa 350.000 Volt liegen. Wie später ausgeführt wird, bleibt leider immerhin ein ziemlicher Spielraum für die Wahl der Spannung. Die Berechnungen sind außerdem örtlich verschieden und schwanken insbesondere nach der Dichte der Besiedlung des betreffenden Gebietes.

Bis Kriegsende und in der Nachkriegszeit bis zum Jahre 1952 ist man in der Höhe der Spannung nirgends über 220.000 Volt gegangen, wenn man von verschiedenen kurzen Versuchsstrecken absieht, auf denen jedoch keine nennenswerten Leistungen übertragen werden konnten.

In Paris findet alle zwei Jahre eine Hochspannungskonferenz, die CIGRÈ (Conférence Internationale des Grands Réseaux Électriques), statt, deren wichtigstes Gebiet die Höchstspannungsübertragung darstellt. Der Schreiber dieses Aufsatzes hatte Gelegenheit, an den letzten drei Sessionen (1948, 1950 und 1952) der CIGRÊ teilzunehmen. Im Jahre 1948 herrschte bezüglich Hochspannungsübertragung mit Gleichstrom Optimismus und Siegessicherheit. Die .hochgespannten Erwartungen haben sich jedoch nicht erfüllt. Bereits im Jahre 1950 war das Interesse an der Entwicklung der Gleichstromübertragung wesentlich geringer und bei der CIGRÉ 1952 war es um dieses Gebiet fast ganz still geworden.

Um Wechselstromübertragungen mit so hohen Spannungen wirtschaftlich durchzuführen, war es nach dem früheren notwendig, eine Methode zu finden, die erwähnten Abstrahlungsverluste

(Koronaverluste) in erträglichen Grenzen zu halten.

Dies kann auf Grund physikalischer Erkenntnisse durch spezielle Vergrößerung des Durchmessers (Verringerung der Krümmung der Mantelfläche) der vom Strom durchflossenen Leiter erfolgen. Man verwendet Drahtseile nach Art vieladriger Kabel, deren Querschnitt durch imprägnierte Papieradern künstlich vergrößert ist, oder Hohlkabel, deren Mantel aus vernuteten, in der Längsrichtung verdrillten Einzeldrähten besteht, und ähnliche Konstruktionen. Die Durchmesser, die dann verwendet werden, sind recht beachtlich und erreichen Werte bis 50 mm.

Natürlich steigen auch die Kosten solcher Leiterseile mit dem Durchmesser und mit der Kompliziertheit der Ausführung. Ein entscheidender Fortschritt wurde daher erst erreicht, als man darauf verfiel, die Einzelleiter jeder Phase (zum Beispiel einer Drehstromleitung, die drei Phasen, das heißt drei Einzelleiter besitzt) in ein Bündel von zwei, drei und mehr Leiterseilen „aufzulösen“, das heißt durch entsprechend viele Teilleiter zu ersetzen. Die Verbindung erfolgt durch Abstandstücke, durch die zum Beispiel beim Duplexsystem (Bündel von zwei Leitern) die beiden Drähte des Bündels im Abstand von 20 bis 80 cm parallel geführt werden. Man verwendet dabei sowohl vertikale als auch horizontale Anordnung der beiden Seile des Bündels.

Solche Bündelsysteme entsprechen bezüglich der Koronaverluste einem einzigen Leiter mit einem wesentlich größeren Durchmesser als jener der einzelnen Drähte des Bündels zusammengenommen.

Schon in den Jahren um 1930 wurde unter wesentlicher Beteiligung österreichischer Techniker — führend waren G. Markt und B. Men- gele — die Verwendung von Bündel- leitem für Hochspannungsübertragungen vorgeschlagen. Es ist dadurch möglich geworden, Spannungen bis 400.000 Volt wirtschaftlich bei der Übertragung großer Entfernungen zu verwenden, da die Bün delleiter auch sonst sehr günstige elektrische Eigenschaften (kleine Induktivität und daher kleiner Spannungsabfall) besitzen.

Für Europa — mit Ausnahme von England — hat man sich im Rahmen der internationalen Normungsbestrebungen auf 380.000 Volt für die neue Höchstspannungsübertragung ge einigt. In England mit seinen etwas kleineren Entfernungen fiel die Wähl auf 275.000 Volt. Leider hat Amerika sich den europäischen Spannungsfestsetzungen nicht angeschlossen und führt seine neuen Hochspannungsleitungen mit 330.000 Volt aus. Es wird dies mit dem Ergebnis von Wirtschaftlichkeitsberechnungen begründet, die bei dieser Spannung angeblich die kleinsten Kosten ergeben sollen. Wie erwähnt, lassen die Berechnungen jedoch immerhin noch einen genügend großen Spielraum, so daß eine internationale Einigung wohl möglich wäre. Es ist daher bedauerlich, daß trotz der im Rahmen der

„Internationalen Elektrotechnischen Kommission („IEC", mit dem Sitz in Genf) durchgeführten Normung auf allen Gebieten der Elektrotechnik bezüglich der verwendeten Höchstspannungen (380.000 oder 330.000 Volt) praktisch keine Einigkeit erzielt werden konnte. Es mag dies zum Teil durch die örtlichen Verhältnisse wirklich begründet sein, zum Teil liegt die Ursache aber auch in einem unverständlichen Starrsinn gewisser technischer Kreise, die sich theoretisch zwar für Normung auf breitester Basis aussprechen, praktisch aber nicht geneigt sind, auch nur den Bleistift zu ergreifen, um einen einmal eingetragenen Spannungswert abzuändern. Wenn dies nicht einmal bei Projekten für neu zu errichtende Anlagen gelingt, wie sollen dann die Schwierigkeiten jemals überwunden werden, die der internationalen Normung entgegenstehen, wenn es sich um Festsetzungen für bereits bestehende Einrichtungen handelt, deren Abänderung Geld kostet.

Um nochmals auf die erwähnte Tagung der CIGRE in Paris im Jahre 1952 zurückzukommen, so konnte dort diesmal von einem ganz einschneidenden Fortschritt in der Technik der Hochspannungsübertragung berichtet werden. Und zwar handelt es sich nicht bloß um ein Projekt oder eine Versuchsanlage, wie solche ja schon seit einer Reihe von Jahren mit Spannungen bis 400.000 Volt in verschiedenen Ländern entstanden sind, sondern um die tatsächliche Inbetriebnahme der großen neu e.r bauten Höchstspannungsleitung in Schweden. Die Leitung führt von dem Kraftwerk Harspranget im Norden des

Landes über rund 1000 km bis zum Umspannwerk Hallsberg nächst den Industriezentren um Stockholm. Die Inbetriebnahme erfolgte am 30. März 1952 auf der Strecke Harspranget—Midskog und eine Woche später auf der Strecke Midskog— Hallsberg. Die Betriebsspannung (Nennspannung) hat seit dem genannten Datum den (genormten) Wert von 380.000 Volt, nachdem die Leitung schon einige Zeit vorher provisorisch mit 220.000 Volt gearbeitet hatte. Die Übertragungsleitung beläuft sich derzeit bis auf 150.000 kW, kann aber später, insbesondere bei Verwen dung von Serienkondensatoren (als Kompensationseinrichtung), bis auf 800.000 kW gesteigert werden.

Die Leitung, als Drehstromleitung ausgeführt, verwendet für jede der drei Phasen Duplexbündelleiter aus Stahlaluminium von 592 mm2 Gesamtquersdinitt (Durchmesser 31,7 mm). Der Abstand der beiden Leiter des Bündels ist 45 cm und wird durch die erwähnten Abstandstücke, die in Entfernungen von je 12 m vorgesehen sind, gewährleistet.

Neben den für die Leitung selbst zu bewältigenden Aufgaben mußte natürlich auch die Entwicklung der zugehörigen Transformatoren und Schalter, deren Konstruktion für 380.000 Volt viele Schwierigkeiten bot, durchgeführt werden. Außerdem mußten zahlreiche andere Probleme, wie Schutzeinrichtungen, die Blitzableiterfrage, die Herabminderung der durch die Leitung Verursachten Radiostörungen usw., gelöst weiden. Es kann den schwedischen Technikern zu ihrem Erfolg — die Leitung arbeitet bis heute anstandslos — nur gra-tuliert werden. Die erste Energieübertragung mit 380.000 Volt bedeutet wohl den größten Fortschritt, der nach dem Krieg auf dem Gebiete der Elektrotechnik erreicht werden konnte.

Auch in anderen Ländern sind Höchstspannungsleitungen im Bau, zum Beispiel in Rußland eine 400.000-Volt-Leitung von Kuibischew nach Moskau, welche die Energie der Wolgakraftwerke den großen Industriezentren zuführen soll.

Last not least besteht in Österreich schon seit mehr als 20 Jahren eine 220.000-Volt-Leitung, die bereits so gebaut wurde, daß sie nach Ergänzung der

Isolatorenketten durch einen dritten Langstabisolator auf 380.000 Volt umgeschal- tet werden kann. Es ist jene Leitung, die von Bürs bei Bludenz in Vorarlberg ins Rheinland führt und auf welcher der wichtigste österreichische Stromexport vorgenommen wird.

Aus örtlichen Gründen mußte in diesem Jahr ein verhältnismäßig kleiner Teil der Trasse dieser Leitung in der Nähe von Götzis in Vorarlberg verlegt werden. Dieses Leitungsstück wurde von einer österreichischen Firma endgültig als Bündelleitung ausgeführt, so daß jedes der beiden Drehstromsysteme drei Triplex- bündel enthält. Ein kompletter Mast, wie er dafür Verwendung findet, war auf der letzten Wiener Frühjahrsmesse ausgestellt. Die Höhe des Mastes beträgt rund 47 m über dem Boden bei 16 t Ge wicht. Als Spannweite zwischen 2 Masten ist 320 m vorgesehen. Der Querschnitt der Stahl-Aluminium-Seile beträgt 316 mm , entsprechend einem Außendurchmesser von je 23,1 mm. Die Isolation erfolgt mit Doppelvollkernisolatorenketten, soweit die Maste als Tragmaste verwendet werden. Die zugehörigen Abspannmaste (Eckmaste im Leitungszug) sind etwas anders ausgeführt. — Wie erwähnt, erfolgt der Betrieb der Leitung allerdings zunädist noch bis auf weiteres mit 220.000 Volt.

Österreich war auch das erste Land, das die Durchführbarkeit der

Verwendung von Bündelleitern nachgewiesen hat.

Gerade für unser Land wird die Verwendung von Höchstspannung (380.000 V) große Bedeutung haben. Einerseits werden in Zukunft, insbesondere in Tirol, durch den Ausbau der Wasserkräfte der ötz noch wesentlich größere Energiemengen zu transportieren sein, andererseits findet sich schon jetzt kaum ein Tal, in dem noch keine Hochspannungsleitung vorhanden ist. Um den für Österreich so wichtigen Stromexport klaglos durchführen zu können, bleibt nichts übrig als die Verwendung höchster Betriebsspannungen, da ja zum Beispiel mit einer einzigen 380.000-V-Leitung Energiemengen befördert werden können, zu der zwei bis vier Leitungen mit 100.000 V, wie sie derzeit vorherrschen, notwendig wären.

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