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Franz Joseph für sechs Jahre...

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Wahlen werfen in der Demokratie immer ihre Schatten voraus und beeinflussen lange vor ihrem Termin das innenpolitische Leben. So sagt man ja auch nicht mit Unrecht, daß das letzte Jahr einer Legislaturperiode meist weniger fruchtbar ist, weil die politischen Parteien in dieser Zeit auf Popularitätsgewinn eingestellt sein müssen und daher manche zwar dringend notwendige, aber eben unpopuläre Maßnahme nicht mehr gesetzt wird. Es hat nicht viel Sinn, sich über diese zwar wenig erfreuliche, aber unvermeidbare Nebenerscheinung des demokratischen Lebens aufzuregen, sie gehört nun einmal zum Beiwerk des politischen Alltags, und man muß sie nehmen wie sie ist. Man könnte nun fragen, warum auch die Bundespräsidentenwahlen in Österreich der gleichen Tendenz unterliegen, hat doch das Staatsoberhaupt sein Amt unparteiisch zu verwalten, was bedeutet, daß die Elemente der Tagespolitik bei der Kandidatur und der Wahl des Bundespräsidenten keine Bolle spielen — oder zumindest keine besondere Rolle spielen sollten.

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Wahlen werfen in der Demokratie immer ihre Schatten voraus und beeinflussen lange vor ihrem Termin das innenpolitische Leben. So sagt man ja auch nicht mit Unrecht, daß das letzte Jahr einer Legislaturperiode meist weniger fruchtbar ist, weil die politischen Parteien in dieser Zeit auf Popularitätsgewinn eingestellt sein müssen und daher manche zwar dringend notwendige, aber eben unpopuläre Maßnahme nicht mehr gesetzt wird. Es hat nicht viel Sinn, sich über diese zwar wenig erfreuliche, aber unvermeidbare Nebenerscheinung des demokratischen Lebens aufzuregen, sie gehört nun einmal zum Beiwerk des politischen Alltags, und man muß sie nehmen wie sie ist. Man könnte nun fragen, warum auch die Bundespräsidentenwahlen in Österreich der gleichen Tendenz unterliegen, hat doch das Staatsoberhaupt sein Amt unparteiisch zu verwalten, was bedeutet, daß die Elemente der Tagespolitik bei der Kandidatur und der Wahl des Bundespräsidenten keine Bolle spielen — oder zumindest keine besondere Rolle spielen sollten.

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Dieser Überlegung stehen aber zwei Tatsachen gegenüber: Erstens sind es die politischen Parteien, die ihre Kandidaten für das höchste Amt der Republik präsentieren, und zweitens ist es die österreichische Bundesverfassung, die das Amt des Bundespräsidenten zu einem echten politischen Amt macht. Besonders das letztere darf nicht übersehen werden.

Die Stellung des österreichischen Bundespräsidenten ist nämlich erstaunlich stark, stehen doch dem österreichischen Staatsoberhaupt nach der Bundesverfassung weit mehr Kompetenzen und Prärogativen zu, als dies mit Ausnahme der Stellung des französischen Staatspräsidenten sonst in europäischen Republiken der Fall ist. Es ist daher nicht uninteressant, zunächst einmal kurz einen bedeutsamen Unterschied darzustellen, der sich zwischen der Stellung des österreichischen Staatsoberhauptes und der anderer europäischer Staatspräsidenten ergibt So ist zum Beispiel die Stellung des deutschen Bundespräsidenten verfassungsmäßig eine . wesentlich schwächere als die des österreichischen.

Hier sei zunächst nur als formale Bemerkung erwähnt, daß das deutsche Staatsoberhaupt offiziell nicht den Titel „Bundespräsident“ führt, sein Titel lautet „Präsident der Bundesrepublik Deutschland“, und nur in der Anrede wird das Wort „Bundespräsident“ gebraucht. Ihm stehen nach dem deutschen Grundgesetz in der sonst wichtigsten Funktion eines Staatsoberhauptes, nämlich der der Bestellung der Regierung, wesentlich weniger Befugnisse zu, als dem österreichischen Bundespräsidenten, indem er keine freie Hand bei der Ernennung des Bundeskanzlers hat. Dieser wird nämlich vom Bundestag mit Mehr-heitsentscheidung dem Bundespräsidenten „vorgeschlagen“, der diesen Vorschlag akzeptieren muß. während der österreichische Bundespräsident bei der Auswahl des Bundeskanzlers zunächst völlig freie Hand hat. Die österreichische Bundesverfassung ermächtigt — eine Ermächtigung in der Bundesverfassung ist gleichzeitig auch eine Verpflichtung für den Ermächtigten, von dieser Vollmacht Gebrauch zu machen — den Bundespräsidenten zur Ernennung des Bundeskanzlers, der 'ihm sodann die übrigen Mitglieder der Bundesregierung, Vizekanzler, Bundesminister und Staatssekretäre, vorzuschlagen hat. Der Bundespräsident ist aber nicht verpflichtet, diesen Vorschlägen zuzustimmen. Das bedeutet also, daß die gesamte Bundesregierung sowie jedes einzelne ihrer Mitglieder des Vertrauens des Bundespräsidenten bedarf. Allerdings ist der Bundespräsident verpflichtet, die Bundesregierung oder ein einzelnes ihrer Mitglieder des Amtes zu entheben, wenn der Nationalrat der gesamiten Bundesregierung oder einem ihrer Mitglieder das Vertrauen versagt. Die Bundesregierung und jedes Mitglied brauchen also ein doppeltes Vertrauen: das des Staatsoberhauptes und das des Nationalrates. Das heißt, Bundespräsident und Nationalrat haben zur Bundesregierung die gleiche Stellung, wobei dem Bundespräsidenten insoferne ein etwas stärkeres Gewicht zukommt, als er es ist, der die Ernennung zu vollziehen hat. Da es außerdem nach der österreichischen Bundesverfassung nicht das Instrument des Vertrauensvotums des Parlamentes gibt, ist darin ebenfalls eine Stärkung der Stellung des Bundespräsidenten zu erblicken. Das Vertrauensvotum, eine Einrichtung, die.fast alle parlamentarischen Demokratien kennen, bedeutet nämlich, daß dem Parlament das Recht zusteht, anläßlich der Regierungserklärung oder anläßlich der Stellung einer Vertrauensfrage der Regierung an das Parlament, die Regierung ausdrücklich zu bestätigen. Ein Versagen des Vertrauensvotums bedeutet in diesem Fall die sofortige Demission der Regierung. Dieses Bestätigungsrecht hat der österreichische Nationalrat nicht!

Eine ähnliche Stellung im Verhältnis zur Regierung wie der österreichische Bundespräsident haben der italienische und der finnische Staatspräsident. Stärker ausgeprägt ist hingegen die Stellung des französische Staatspräsident, dem auch seit der Umgestaltung der französischen Verfassung durch den früheren Staatspräsidenten De Gaulle eine weitgehende Mitwirkung in der Regierungsfunktion zukommt.Es ist klar, daß der österreichische Bundespräsident durch die geschilderte Funktion bei der Bestellung der Regierung eine Stellung einnimmt, deren politische Bedeutung nicht unterschätzt werden darf. In der Geschichte der Zweiten Republik hat sich dies schon einmal deutlich erwiesen, als der ehemalige Bundespräsident Körner die Berufung eines Vertreters der dritten Partei, des damaligen VdU, in die Bundesregierung abgelehnt hat, was praktisch zur Neubildung der Großen Koalition führte.

In diesem Zusammenhang muß nun auch angeführt werden, daß dem Bundespräsidenten das Recht zusteht, auf Antrag der Bundesregierung den Nationalrat aufzulösen. Das ergäbt zum Beispiel auch die Möglichkeit, daß der Bundespräsident eine nur ihm genehme Bundesregierung bestellt, die ihm, wenn sie Gefahr läuft, vom Nationalrat das Mißtrauensvotum ausgesprochen zu erhalten, den Antrag auf Auflösung des Nationalrates unterbreiten kann. Der Bundespräsident ist in einem solchen Fall also stärker als das Parlament, wozu noch kommt, daß ihm in einem solchen Fall gemäß Art. 18/3 der Bundesverfassung das Recht zusteht, gesetzesändernde Verordnungen zu erlassen, zu denen er allerdings die Zustimmung des Unterausschusses des Hauptausschusses bedarf. Dieser Unterausschuß bleibt bis zum Zusammentritt des neu gewählten Parlaments in Funktion.

Verf assungsände runge n. dauernde Belastung der Gebietskörperschaften und finanzielle Verpflichtunigen der Bundesbürger sowie Veräußerung von Staatsgut und Abänderung arbeitsrechtlicher Bestimmungen sind von diesem Verordnungsrecht allerdings ausgenommen. Außerdem muß betont werden, daß nach dem Sinn unserer Bundesverfassung eine solche Vorgangsweise wohl nur im Falle einer echten parlamentarischen Krise gerechtfertigt wäre; aber gerade dadurch wird das Staatsoberhaupt zu einer Person, die mit der Machtvollkommenheit ausgestattet ist, der Gefahr einer echten Staatskrise vorzubeugen beziehungsweise wenn sie eingetreten ist, sie durch seine Machtvollkommenheit rasch zu lösen. Das Staatsvolk darf also zum Bundespräsidenten das verfassungsmäßige Vertrauen haben, daß durch seine Entscheidungen staatspolitisch gefährliche Situationen jederzeit gemeistert werden können. Das aber ist schließlich und endlich ein Zeichen tatsächlich gegebener Autorität und damit auch einer höchsten politischen Funktion.

Zwei weitere Bestimmunigen der Bundesverfassung unterstreichen die Bedeutung des höchsten Amtes der Republik. Dies ist zunächst einmal die im Art. 65/1 festgelegte Bestimmung, daß der Bundespräsident die Republik Österreich nach außen vertritt. Das bedeutet nicht weniger, als daß zum Beispiel alle Staatsverträge nicht durch die Regierung oder das Parlament, sondern ausschließlich nur durch den Bundespräsidenten abgeschlossen werden können. Auch hier ist allerdings der Bundespräsident an einen entsprechenden Antrag der Bundesregierung gebunden. Bei Staatsverträgen, die gesetzesändernden Inhalt haben, bedarf es natürlich auch eines entsprechenden Beschlusses des Nationalrats.

Daraus ergibt sich aber, daß ohne Zustimmung des Bundespräsidenten kein Vertrag mit einem anderen Staat möglich ist, und ferner, daß dem Bundespräsidenten ein Recht auf Berichterstattung durch den Außenminister in allen außenpolitischen Belangen zusteht. In der Praxis hat sich außerdem die Übung herausgebildet, daß jeder Minister, der in Angelegenheiten seines Ressorts eine Auslandsreise antritt, sich vor ihr beim Bundespräsidenten zur Information einzufinden hat Dolce far niente!Ein Urlaub ohne Sorgen durch unser Reiseservice ERSTE ÖSTERREICHISCHE SPAR-CASSE und ihm nach seiner Rückkehr Bericht erstattet.

Die andere bedeutsame Funktion des Bundespräsidenten ist die eines Oberbefehlshabers über das Bundesheer (Art. 80/1). Auch hier ist der Bundespräsident an die Mitwirkung des Landesverteidigungsministers gebunden, was ebenfalls eine Berichterstattungspflicht des Ministers ihm gegenüber bedeutet. Inwieweit dieser Oberbefehl eine unmittelbare Befehlsgewalt gegenüber den Einheiten des Bundesheeres bedeutet, ist in den Bestimmungen der einschlägigen Bundesgesetze geregelt. Aber auch diesbezüglich kann man sagen, daß ohne Mitwirkung des Staatsoberhauptes nichts wesentliches im Bereich der Kompetenzen der Landesverteidigung geschehen kann.

Diese Darstellung über die Bedeutung des höchsten Amtes unserer Republik wäre aber nicht vollständig, würde man es unterlassen, auf die Bestellungsart des Bundespräsidenten zu verweisen. Der österreichische Bundespräsident wird als einziges europäisches Staatsoberhaupt der Gegenwart unmittelbar vom Volk gewählt, während die Präsidenten der anderen Republiken durch die gesetzgebenden Körperschaften gekürt werden. Die Wahl durch das Volk verleiht dem Staatsoberhaupt aber eine ganz besondere Stellung. Der österreichische Bundespräsident kann sich darauf berufen, daß er sein Amt auf Grund des Volkswillens ausübt. Natürlich muß es. eine Mehrheitsentscheidung sein, weil es immer nur die Mehrheit sein kann, die in einer Demokratie entscheidet, aber es ist eine Entscheidung für alle, und es wäre auch noch nie jemandem eingefallen, die Legitimation des gewählten Bundespräsidenten zu bestreiten, weil ein Teil der Bevölkerung einem anderen, unterlegenen Kandidaten seine Stimme gegeben hat.

Die Bundesverfassung sieht auch die Möglichkeit der Abberufung des Bundespräsidenten vor. aber diese ist an eine juristische und eine politische Voraussetzung geknüpft. Eine Abberufung des Bundespräsidenten kann nur erfolgen, wenn er die Bundesverfassung verletzt hat und die Bundesversammlung (Nationalrat und Bundesrat) bei Anwesenheit von mindestens der Hälfte ihrer Mitglieder mit Zweidrittelmehrheit beschließt, den Bundespräsidenten vor dem Verfassungsgerichtshof unter Anklage zu stellen. Es ergibt sich von selbst, daß diese Verfassungsbestimmung reine Theorie ist, denn weder kann angenommen werden, daß ein Bundespräsident die Verfassung verletzt, noch, daß sich in der Bundesversammlung eine qualifizierte Mehrheit findet. Dies alles sind nur die wichtigsten Überlegungen, die die Bedeutung des höchsten Amtes unserer Republik ins richtige Licht setzen. Es wären noch die zahlreichen anderen Prärogativen des Bundespräsidenten, das Begnadigungs- und Abolitionsrecht, das Ernennungsrecht der Beamten und Offiziere usw. zu nennen. Aus all dem ergibt sich aber auch die Erklärung, warum die Bundespräsidentenwahlen schon lange vor ihrem Termin ihre Schatten vorauswerfen. Es zeigt aber auch, welch große Bedeutung einem solchen Wahlgang beizumessen ist.

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