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Friedensaufgaben der Atomforschung

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Von Zeit zu Zeit wird zwar die Weltöffentlichkeit durch Nachrichten über die Konstruktion von noch wirkungsvolleren Atomwaffen als bisher in Atem gehalten und geängstigt, von den friedlichen Auswirkungen der Atomforschung aber erfährt sie in der Regel wenig oder gar nichts. Ganz zu Unrecht, denn seit der Freigabe von radioaktiven Isotopen durch die Atomenergiekommission in Amerika wendet sich das Interesse der Industrie und Technik in steigendem Maße der Anwendung dieser aktiven Präparate für Zwecke der Qualitätsund Mengenkontrolle zu. Obwohl derzeit noch gewisse finanzielle Schwierigkeiten und eine nicht unverständliche Scheu vor der unbekannten Handhabung solcher radioaktiver Substanzen, besonders in Kreisen mittlerer und kleiner Industrieunternehmungen, vorhanden sind, so besteht doch kein Zweifel, daß sich die neue Methode der radioaktiven Indikatoren in naher Zukunft auf breiter Basis durchsetzen wird. Vor allem jene Sparten der Industrie, die sich mit der Anfertigung von Massenartikeln befassen, werden daraus ihren Nutzen ziehen. Auf Grund der bisher gemachten Erfahrungen wird als Durchschnittsziffer die erreichbare Fertigungssteigerung mit etwa 44 Prozent angegeben. Die anfänglich geäußerten Befürchtungen hinsichtlich der Allgemeinanwendbarkeit der neuen Methoden und ihrer eventuellen Gesundheitsschädlichkeit konnten einerseits durch die große Zahl der in den Atomkraftwerken hergestellten Isotope mit entsprechend kurzen Halbwertszeiten (88 radioaktive Elemente) und andererseits durch entsprechende Schulung des Bedienungspersonals zum Schweigen gebracht werden.

Bekanntlich wurde das Phänomen der radioaktiven Strahlung 1896 von dem französischen Physiker H. Becquerel entdeckt, gelegentlich von Arbeiten, bei welchen er Uransalze verwendete. Etwas später fand das Ehepaar Curie, daß das Haupturanmineral, die Pechblende, drei-bis viermal stärker aktiv ist als das mineralische Uran. Sie zogen daraus den Schluß, daß in diesem Erz Stoffe von besonders starker Aktivität enthalten sein müßten. Die in mühsamer präparativer Arbeit gelungene Entdeckung des Poloniums, das dem Wismut gleicht, und des Radiums, das sich an das Barium anschließt, bestätigten diese Annahme.

Radioaktive Substanzen haben die Eigenschaften, unter Aussendung einer teils korpuskularen, teils wellenförmigen Strahlung spontan in Stoffe mit geringerem Molekulargewicht zu zerfallen. Man kann ganze Reihen solcher Zerfallsprodukte aufstellen, deren Lebensdauer zwischen Millionen Jahren, Stunden und wenigen Sekunden schwanken kann. Für industrielle Zwecke werden in der Hauptsache kurzlebige Präparate verwendet, die nach Erfüllung ihres Dienstes rasch wieder unwirksam werden, so daß die Verbraucher damit imprägnierter Güter durch radioaktive Strahlung nicht mehr geschädigt werden können. Interessanterweise stellen die einzelnen Glieder dieser Zerfallsreihen keine neuen chemischen Individuen dar, sondern sind, abgesehen von ihren physikalischen Eigenschaften (Radioaktivität, verschiedenes Atomgewicht), jeweils mit bestimmten, längst bekannten Dauerelementen chemisch völlig identisch. Man muß sie daher an dieselbe Stelle des periodischen Systems der Elemente setzen, die das chemisch gleiche Dauerelement einnimmt. Aus diesem Grund nennt man chemisch identische, aber physikalisch verschiedene Elemente „Isotope“ (von isos und topos =s gleicher Ort).

Die Verwendbarkeit von radioaktiven Indikatoren beruht einerseits auf ihrer chemischen Untrennbarkeit in Gemischen mit isotopen, nicht radioaktiven Dauerelementen und andererseits auf der außerordentlichen Schärfe, mit der man aktive Elemente elektroskopisch nachweisen kann, welche auch durch die subtilsten analytisch-chemischen Methoden nicht zu erreichen ist. Obwohl schon F. Paneth auf die großen Möglichkeiten dieser neuen Forschungsmethode hingewiesen hatte, konnte ihre industrielle Anwendung erst zu einem Zeitpunkt ernstlich ins Auge gefaßt werden, in welchem es, wie heute durch die Atomkraftwerke, möglich geworden war, radioaktive Isotope in ausreichender Menge künstlich herzustellen.

Um von der Arbeitsweise der neuen Methode eine Vorstellung zu geben, sei ein Beispiel aus der Viskoseseidefabrikation angeführt. Zur Bereitung der Spinnlösung wird Zellulose mit Schwefelkohlenstoff und Alkali versetzt. Der aus der Lösung gesponnene Faden muß durch ein Entschweflungsbad gezogen werden, weil eine möglichst restlose Entfernung des Schwefels für die Anfärb-barkeit und Festigkeit des fertigen Garnes wichtig ist. Bisher ließ sich eine Kontrolle des Restschwefels nur unter großen Sdiwierigkeiten durchführen. Mischt man aber dem oben erwähnten Schwefelkohlenstoff sein radioaktives Isotop (Schwefel — 35) bei, welches, wie schon gesagt, mit dem inaktiven Element chemisch vollkommen gleich ist, dann braucht man bloß den entschwefelten Faden an einem Strahlungsregistrierapparat (zum Beispiel Geiger-Instrument) vorbeizuführen, um aus dem Fehlen beziehungsweise aus der angezeigten Strahlungsintensität einen absolut sicheren Schluß auf die Abwesenheit oder die Menge des noch vorhandenen Schwefels ziehen zu können. Ein anderes Beispiel ist die Messung der Dicke von Überzügen und ihrer gleichmäßigen Verteilung. In der Textilindustrie ist es häufig üblich, Gewebe mit bestimmten Substanzen zu imprägnieren, wobei es auf eine möglichst gleichmäßige Verteilung des Imprägnierungsmittels ankommt. Erst auf Grund der durch die neue Indikatorenmethode gewonnenen Einblicke in den Absorptionsmechanismus war es möglich geworden, die Imprägnierlösung so zu bereiten, daß eine optimale Anlagerung an die Faser erzielt werden konnte. Auch die fortlaufende Kontrolle der Schichtdicke oder des Gewichtes pro Flächeneinheit bei der Fabrikation von Folien oder beliebigem Schichtmaterial, wie Papier, Kunststoffolien, Bleche usw., kann mit Hilfe von radioaktiven Strahlern einfach und elegant gelöst werden, indem man über dem Material eine Strah-lungsquelle und korrespondierend darunter ein Registrierinstrument anordnet. Proportional seiner Dicke (und mittelbar seines Gewichtes) wird das vorbeilaufende Material einen bestimmten Anteil der ausgesandten Strahlung absorbieren. Der Zeigerausschlag des Meßinstruments ist also ein Maß für die Dicke beziehungsweise für das Gewicht der vorbeigeführten Materialbahn. Bei kontinuierlichem Betrieb kann mit dem Meßinstrument ein Steuerungsgerät gekoppelt werden, das die Abweichungen von der gewünschten Materialstärke in einem nachfolgenden Arbeitsvorgang ausgleicht. Von großer Bedeutung ist die neue Methode in der Metallurgie. Durch sie wurde erst das Studium der Selbstdiffusion von Metallen, die bei Härtungsprozessen auftritt, ermöglicht. Aktives Material wird auf ein Werkstück aufgebracht. Aus der Abnahme der Strahlungsintensität nach der Härtung (die auf dem Eindringen von aktiven Atomen in das Metallinnere beruht) kann die Größe der Diffusion bestimmt werden. Die vielseitige Anwendbarkeit radioaktiver Präparate zeigen die folgenden Beispiele. Um das Absinken hochkorrosiver oder leicht verdampfbarer Flüssigkeiten auch bei geschlossenem Tank kontrollieren zu können, wird in einer bestimmten Höhe ein aktives Kobaltpräparat angebracht und auf der gegenüberliegenden Seite des Tanks ein Geiger-Zähler. Sinkt der Flüssigkeitsspiegel unter die festgelegte Marke, dann steigt die vom Instrument angezeigte Strahlung sprunghaft an und löst eine Alarmvorrichtung aus.

Bei dem in Amerika geübten sogenannten „water flooding“ werden große Mengen Wasser unter Druck in die Erde gepumpt, die das Erdöl aus der porösen Gesteinsschicht verdrängen. Dieses kann dann aus den umliegenden Bohrtürmen gepumpt werden. Auf diese Weise werden anscheinend gänzlich erschöpfte Felder noch gewinnbringend ausgenützt. Manchmal aber bricht das eingepumpte Wasser in einen Bohrschacht ein und wird mit dem öl heraufgefördert. Um eine solche Durchbruchsstelle rasch auffinden zu können, hat man dem Wasser ein aktives Kobalt- (60-) Isotop beigemischt. Mit einem in den Schacht hinabgelassenen Loginstrument kann die Stelle der maximalen Strahlungsintensität ermittelt werden, das ist der Punkt, an dem der Wassereinbruch stattgefunden hat. Nun gelingt es leicht, eine Zementierung der betreffenden Schadensstelle vorzunehmen.

Auch die Medizin und Biologie bedient sich der radioaktiven Isotope, um den

Weg zu studieren, ,den bestimmte, mit der Nahrung aufgenommene Elemente (beispielsweise das Element Phosphor) im lebenden Organismus nehmen.

Schon die wenigen aufgezählten Beispiele lassen die hervorragende Bedeutung der radioaktiven Isotope für Wissenschaft, Technik und Industrie erkennen. So arbeitet unser janusköpfiges Zeitalter mit immer raffinierteren Mitteln an der Vervollkommnung unserer materiellen Güter, während es gleichzeitig die Waffen zu ihrer möglichst vollständigen Vernichtung baut.

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