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Für die einen das Brot, für die anderen Butter und Konfitüre

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ÖVP-Gesundheitssprecher Erwin Rasinger warnte jüngst vor einer „Zwei-Klassen-Medizin”. Der Trend gehe weltweit in diese Richtung - leider auch in Osterreich.

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ÖVP-Gesundheitssprecher Erwin Rasinger warnte jüngst vor einer „Zwei-Klassen-Medizin”. Der Trend gehe weltweit in diese Richtung - leider auch in Osterreich.

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Obwohl Österreich nach Meinung Rasingers im Gesundheitswesen zu den zehn besten Nationen der Welt gehört, müsse man auch bei uns Tendenzen zur „Zwei-Klassen-Medizin” entschieden entgegentreten: „Medizin soll und darf nicht vom finanziellen beziehungsweise vom beruflichen und akademischen Status des Bürgers abhängen.”

Der ÖVP-Gesujidheitssprecher nannte Beispiele für medizinische Ungleichbehandlung: Bei bestimmten Operationen würden Privatpatienten in öffentlichen Spitälern oft erheblich gegenüber „normal” Sozialversicherten bevorzugt. In Wien müssen Patienten auf eine Hüftpro-thesenoperation etwa ein Jahr warten, als Privatpatienten erhalten sie hingegen schon binnen weniger Wochen einen Termin. Dasselbe gelte für „Grauer-Star”-Augenope-rationen. Rasinger fordert daher, daß Terminbevorzugungen von den Spitalserhaltern durch Kontrollen unterbunden werden.

Der Hintergrund von Bevorzugungen Privatversicherter ist freilich verständlich. Zum einen zahlt ein Sonderklasse-Patient pro Pflegetag dem Spital etwa das Dreifache im Vergleich zum „normal” Sozialver-sicherten. Zum anderen erhalten die jeweiligen Primarii für die von ihren Abteilungen erbrachten ärztlichen Leistungen von Privatversicherten ein eigenes Privat-Honorar. Dieses Geld wird zwischen den Primarärzten und ihren nachgeordneten Kollegen aufgeteilt, oft nach dem Schlüssel 60:40, manche Primarii überlassen ihren Untergebenen aber auch einen größeren Anteil. Ferner muß man wissen: Das

Grund-Gehalt „gewöhnlicher” Spitalsärzte ist oft überraschend niedrig, weil der Dienstgeber von vornherein die zusätzlichen Einnahmen von Privatpatienten mitkalkuliert (wie ein Wirt beim niedrigen Fixum eines Kellners das Trinkgeld).

Zusatzeinnahmen zum Gehalt sind daher für viele Spitalsärzte „lebensnotwendig”, für die Primarärzte meist Butter - und oft auch feinste Konfitüre - aufs Brot. Die Primarii haben aufgrund ihrer Verantwortung (manche verwalten mehr Geld als Bankdirektoren) und ihres medizinischen Namens meist schon ein entsprechendes Grundeinkommen.

Für die Spitalserhalter (Gemeinden, Länder, Bund) sind hingegen Mehreinnahmen durch Privatpatienten im Verhältnis zu den Gesamt-kosten der Krankenhäuser weniger wichtig. Der öffentlichen Hand ist das Vertrauen der Bürger in „ihr” Sozialsystem wesentlich, Bevorzugungen bedeuten einen Mißbrauch dieses Systems.

Werner Vogt, Oberarzt im Lorenz-Böhler-Krankenhaus, Hauptakteur bei der „Bettung” von Primarius Johannes Poigenfürst, sieht im Gespräch mit der furche prinzipiellen Reformbedarf: „Es darf auch nicht sein, daß ein junger Spitalsarzt nur dadurch sein Leben finanzieren kann, indem er 120 statt 45 Stunden in der Woche arbeitet.”

Vogt glaubt, daß sowohl über Entlohnung wie auch Arbeitszeit eine breite Diskussion dringend nötig wäre. Nach derartigen Reformen würden sich viele Probleme einer „Zwei-Klassen-Medizin” von selbst erledigen. Jene Ärzte, die „in pathologischer Geldgier” ihre Arbeit nach der Finanzkraft der Patienten orientieren, seien sowieso nur eine sehr kleine Randgruppe.

Daran, daß tiefgreifende Reformen nötig sind, zweifelt heute fast niemand mehr, unser Gesundheitssystem läßt sich kaum noch finanzieren. Immer mehr alte Menschen müssen versorgt werden, immer weniger junge zahlen in den gemeinsamen Topf. Österreichs System der Sozialversicherungen mit unzähligen Funktionären ist so kompliziert wie sonst kaum irgendwo. Im riesigen Verwaltungsapparat „versickern” Unsummen.

Wäre das System durch eine entsprechende Selbstreinigung leistungsfähiger, dann gäbe es auch weniger Engpässe in der ärztlichen Behandlung. Und dann sollte der Unterschied zwischen Kassen- und Privatpatienten hauptsächlich im schöneren Zimmer oder im besseren Essen liegen.

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