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Fuzzy fährt U-Bahn

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Fuzzy Logic ist eine innovative, umkämpfte Technologie. Österreich versucht mit viel Einsatz, den Anschluß nicht zu verpassen.

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Fuzzy Logic ist eine innovative, umkämpfte Technologie. Österreich versucht mit viel Einsatz, den Anschluß nicht zu verpassen.

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Der Fuzzy Boom in Japan ist nach wie vor ungebrochen, die Zahl der angemeldeten Patente steigt exponentiell an. Die weitaus überwiegende Zahl betrifft theoretisch eher einfache Anwendungen von Fuzzy Control (siehe Kasten). Fuzzy ist zum Bestandteil des Marketing geworden (1990 war es in Japan das „Wort des Jahres”), Elektronikartikel ohne Fuzzy Komponente sind oft nur schwer verkäuflich. Die öffentliche Unterstützung ist ebenfalls enorm: das mächtige japanische Wirtschafts- und Transportministerium MITI und 48 führende Konzerne investierten seit 1989 etwa eine halbe Milliarde Schilling in das Fuzzy Forschungsinstitut „Life” in Yokohama.

In Europa und in den USA war die Forschung anfangs zumeist auf Universitäten und dort vor allem auf den theoretischen Bereich konzentriert. Die japanischen Erfolge führten jedoch zu einer verstärkten Sensibilisierung, sodaß man versuchte, den Anschluß nicht zu verlieren. So untersucht etwa die amerikanische Weltraumbehörde NASA, inwieweit Fuzzy Gontrol bei komplexen Andockmanövern eingesetzt werden kann.

Der europäische Vorreiter ist Deutschland: im kommerziellen Bereich ist vor allem eine Fuzzy Gruppe mit 15 Mitarbeitern in der Zentralen Forschung und Entwicklung von Siemens zu nennen. In Osterreich gibt es mittlerweile an praktisch jeder Universität Fachleute, die sich mit Fuzzy Logic beschäftigen. Von der Universität Linz wurde im Softwarepark Hagenberg im Mühlviertel ein eigenes Fuzzy Logic Laboratorium eingerichtet, das zur Gänze aus Drittmitteln finanziert wird.

Die meisten praktischen Anwendungen der Fuzzy Logic (vor allem in Japan) sind der Steuer- und Bege-lungstechnik, also dem Bereich von Fuzzy Control, zuzuordnen. Die wichtigsten Applikationen lassen sich in folgende besonders typische Bereiche zusammenfassen:

■ Prozeßsteuerung: Temperaturregelung, Industrieroboter, chemische und Stahlindustrie;

■ Fahrzeugtechnik: U-Bahn in der japanischen Stadt Sendai, Antiblockie-rungssysteme, Automatikgetriebe, Tempomaten, schwingungsfreie Kräne, Aufzugsysteme;

■ Foto- und Videotechnik: Autofokus, Belichtungsautomatik, Bildstabilisa -tion;

■ Haushaltsgeräte: Waschmaschine, Staubsauger, Klimaanlagen ... Konzeptuell versucht Fuzzy Control das Verhalten eines Menschen, der die zu steuernde Maschine bedient, möglichst gut abzubilden: bei der U-Bahn wird der Regler an die Handlungsweise des Lokführers angepaßt. Man könnte auch sagen, daß Fuzzy Control wie ein erfahrener Meister agieren sollte.

Zum Entwurf eines Fuzzy Reglers verwendet man anstelle von mathematischen Modellen und Gleichungen einfache Wenn-Dann-Regeln, die in natürlicher Sprache formuliert werden können. Dies erlaubt kurze Entwicklungszeiten und ermöglicht die Steuerung auch von komplexen Prozessen, für die es keine brauchbaren, in Echtzeit exekutierbaren mathematischen Modelle gibt. Der weitgehend modellfreie Ansatz führt allerdings auch zu Problemen etwa bei Stabilitätsaussagen (die bei hoben Risken ganz wesentlich sind).

Besondere Vorteile von Fuzzy Reglern sind ein geringer Entwicklungsaufwand, ein geringer Bedarf an Daten während der Steuerung sowie eine auffällige Bobustheit gegenüber Störungen und Änderungen von Parametern.

Generell kann man sagen, daß bei Begelstrecken, für die die klassische (meist lineare) Begelungstheorie zufriedenstellende Lösungen anbietet, Fuzzy Control keinen Qualitätsgewinn bringt. Hingegen bieten sich Prozesse für Fuzzy Control an, für die es kein exaktes mathematisches Modell gibt, die besonders komplex oder in hohem Maß nichtlinear sind, in denen die auftretenden Größen und Zusammenhänge aber verbal beschreibbar sind (Expertenwissen).

Im Fuzzy Begier werden die Werte dieser Größen dann als Fuzzy Mengen interpretiert (Fuzzifizieren) und einem Inferenz- also einem Schlußverfahren (das die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Größen repräsentiert) unterworfen, das als Ergebnis eine Fuzzy Menge liefert. Daraus wird ein repräsentativer Zahlenwert ausgewählt (Defuzzifizieren), da für technische Anwendungen meist eine numerische Begelgröße erforderlich ist.

Ein einfaches, aber wirkungsvolles Beispiel einer kommerziellen Anwendung ist die Synchronisation zweier Förderbänder durch die Firma „Om-ron”: auf einem Band kommen Werkstücke an, die in auf einem parallelen' Band transportierte Boxen verpackt werden sollen. Eingangsgrößen des Reglers sind die relative Position und die relative Geschwindigkeit der beiden Bänder, Ausgangsgröße ist die Beschleunigung des Bandes, auf dem die Boxen transportiert werden.

Diese Regelung ist sehr einfach, da sie (und das ist typisch für Fuzzy Logic) auf unnötige Präzision, die meist zeitraubend und teuer ist, verzichtet. Die Förderbänder sind jedoch auch bei variablen Bandgeschwindigkeiten synchron, was etwa zu extrem kurzen Umrüstzeiten (und damit zu niedrigeren Kosten) bei Produktumstellungen oder Betriebsstörungen führt.

Die zweite große Gruppe der Anwendungen von Fuzzy Logic sind Software-Systeme, die menschliche Experten bei ihren Entscheidungen optimal unterstützen und von Routi-netätigkeiten entlasten. Wesentlichste Forschungsgebiete sind hier

■ Diagnosesysteme: Medizin, Produktionsfehler, Kreditwürdigkeit;

■ Mustererkennung: Zeichen, Schrift, Sprache;

■ Entscheidungstheorie: Qualitätssicherung, Gruppenentscheidungen.

Ein Beispiel dafür ist ein am Fuzzy Logic Laboratorium Linz-Hagenberg im Auftrag eines internationalen Konzerns entwickeltes Softwarepaket zur Fehlererkennung in Druckbildern.

Dabei wird Fuzzy Logic sowohl bei der Erkennung etwa von Kanten (die besonders sensible Bereiche sind) als auch bei der eigentlichen Fehlerentscheidung eingesetzt und ermöglicht die Überprüfung riesiger Datenmengen (1,5 MB pro Sekunde) bei deutlich gesteigerter Treffsicherheit.

Eine oft gestellte Frage ist die nach dem Zusammenhang von Fuzzy Logic mit anderen Methoden der Künstlichen Intelligenz, wie etwa Neuronalen Netzen oder Genetischen Algorithmen. Die wesentlichsten Vorteile in der Wirkungsweise von Fuzzy Logic liegen in der Einfachheit und Transparenz der Systeme sowie im geringen Entwicklungs- und Bechenaufwand. Neuronale Netze und Genetische Algorithmen hingegen verfügen über eine gewisse Lernfähigkeit.

Ein großes Entwicklungspotential liegt in der Kombination dieser Methoden, wobei man etwa vorhandenes Wissen zum Bau eines Fuzzy Systems benützt und dieses dann mit einem lernfähigen Verfahren optimiert. Ein weiteres Gebiet, das neuerdings gelegentlich zusammen mit Fuzzy Logic genannt wird, ist die Chaos-Theorie. Der Autor ist

Professor am Institut für Mathematik der Johannes Kepler Universität Linz.

Dossier-Redaktion: Elfi Thiemer

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