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Rezept für eine Weihnachtsgans mit vier Geschmacksrichtungen. Physikalisch gekocht.

Eine Weihnachtsgans stellt eine große Herausforderung dar. Einerseits neigt Geflügel dazu, schnell auszutrocknen, wenn es zu lange erhitzt wird. Andererseits gibt es kaum etwas Unangenehmeres, als wenn das Fleisch bei den Knochen noch roh ist. Wie kommt das? Manche Freilandgänse sind "faul", andere dagegen richtig "sportlich". Das Geflügel, das sich viel bewegt, wird mehr Kollagen, also viele Sehnen bilden. Dieses Kollagen umhüllt die Fleischfasern und ist für die Zähigkeit des Geflügels verantwortlich. "Sportliche" Gänse bilden eine ausgeprägte Kollagenstruktur und müssen daher etwas länger braten als "faule" Gänse. Durch die Temperatureinwirkung wandelt sich das Kollagen in Gelatine um, das Fleisch wird dadurch mürbe. Das passiert bei Temperaturen ab 75 Grad. Leider ziehen sich die Kollagenfasern bei Temperaturen von über 80 Grad zusammen und pressen den Fleischsaft heraus. Damit das Eiweiß im Inneren der Fasern gerinnt, das Fleisch durch ist, benötigt man bei einer Gans eine Innentemperatur von rund 75 Grad.

Mit Physik klappt's

Wir müssen hier einen Kompromiss schließen. Die Weihnachtsgans darf nur so lange im Backrohr sein als unbedingt notwendig, jedoch keine Minute länger. Um das Risiko gering zu halten, dass die Gans misslingt, halten wir uns an die Physik. Mit Hilfe der Thermodynamik kann man die genaue Bratdauer berechnen, leider ist die Formel ziemlich kompliziert. Mit folgender Näherungsformel kann man sich aber ganz gut behelfen:

Die Masse m wird in Kilogramm angegeben - das Gewicht der Gans, TBA ist die eingestellte Backrohrtemperatur und TZentrum die gewünschte Innentemperatur. Empfehlenswert ist TBA = 220 Grad und TZentrum = 75 Grad. Die Konstante k muss einfach nur eingesetzt werden: k=0.0008526. Sie wurde durch das Braten von zehn Gänsen im Laufe der letzten zehn Jahre zu Weihnachten ermittelt. Setzt man in die obige Formel ein, so ergibt sich die Bratdauer in Minuten - eher unüblich in der Physik, aber praktisch für Sie. Wenn Ihnen das Ausrechnen zu lange dauert, sehen Sie einfach in der folgenden Tabelle nach:

TBA=TBA =TBA =

220 Grad200 Grad180 Grad

3.0 kg136183259

3.2 kg142191271

3.4 kg148199282

3.6 kg153207293

3.8 kg159214304

4.0 kg165222314

(min)(min)(min)

Die Formel gibt die maximale Bratdauer von gefülltem Geflügel in Minuten an. Wenn Sie die Gans nicht füllen, dann verringert sich die Bratdauer um ein Drittel. Manchen von Ihnen wird die Zeit für die Bratdauer für diese Temperaturen zu gering erscheinen. Aber die Physik lügt nicht. Die Regel: "rund eine Stunde Bratdauer pro Kilogramm" stammt noch aus einer Zeit, als die Öfen nicht so heiß und die Gänse noch "sportlich" waren. Natürlich ist diese Formel nur eine Näherung, das heißt bei niederen Temperaturen ändert sich durch verschiedene Mechanismen die Wärmeübertragung - die Formel wird dann versagen.

Die Gans sollte man rund zwei Tage vor dem Braten im Backrohr mit Salz stark einreiben, das Innere nicht vergessen, und dann im Kühlschrank lagern. Die Gans wird dabei etwas Wasser verlieren, aber das stellt kein Problem dar. Bevor die Gans zubereitet wird, sollte sie nochmals mit Salz eingerieben werden. Ohne Salz würde die Gans nicht diesen wunderbaren Geschmack bekommen.

Wie geben wir der Gans nun die unterschiedlichen Geschmäcker? Ganz einfach, mit einer Injektionsnadel und einer Spritze. Sie haben ganz richtig gehört, auch wenn Ihnen das zunächst verrückt erscheinen mag. Ich unterteile die Gans in vier gleichgroße Bereiche. In einen Sektor wird Orangenlikör, in einen anderen Weißwein und im vorletzten Bereich frischer Ananassaft (nicht aus der Dose) injiziert. Ein Bereich bleibt unbehandelt, um den Geschmack besser vergleichen zu können. Ich empfehle die Politik der tausend Nadelstiche. Der frische Ananassaft gibt der Gans nicht nur einen interessanten Geschmack - "Gans-Hawaii" -, sondern das Enzym Papain zerstört das Kollagen. Durch das Papain im Ananassaft wird die Gans schön mürbe. (...)

Nun haben wir eine Gans mit verschiedenen Geschmäckern. Wir wissen, wie lange wir sie braten sollen und können sie jetzt in das Backrohr schieben. Aber gemach. Vergessen wir nicht, wodurch die Gans erwärmt wird. Es muss ausreichend Dampf vorhanden sein. Das Wasser sollte nicht von der Gans kommen - trockenes Geflügel schmeckt nicht. Deshalb füllt man einen halben Liter wirklich heißes Wasser in den Gänsebräter. Aus diesem heißen Wasser bildet sich dann der Dampf. Unter einem Gänsebräter versteht man einen größeren länglichen Topf, in dem man eine Gans im Backrohr zubereitet. Der Vorteil dieser Gänsebräter besteht darin, dass man das Rohr nachher nicht umständlich reinigen muss. Zusätzlich reduziert man das effektive Volumen, das erhitzt wird. Es muss sich der Wasserdampf nicht mehr im ganzen Backrohr ausbreiten, sondern nur mehr im Gänsebräter. Die Gans würde dann teilweise kochen. Besser ist es, sich einen kleinen Rost zu besorgen, der in den Gänsebräter passt und auf dem dann die Gans ruhen kann. Sie kommt dann nur mehr mit dem Wasserdampf in Berührung. Die Gans sollte mit Öl oder heißer Butter bepinselt werden. Dadurch haben wir auf der Oberfläche ausreichend "Kühlflüssigkeit" und die Haut wird nicht verbrennen. Nun können wir die Gans im Gänsebräter ins heiße Rohr schieben. Jede halbe Stunde gehört die Gans mit warmer Butter oder Öl übergossen.

Zehn Minuten vor dem Bratende sollte man die Gans aus dem Rohr nehmen und den Deckel vom Gänsebräter entfernen. Nun kommt die schwierigste Phase. Sie brauchen Selbstvertrauen für sich selber und Durchsetzungsvermögen gegenüber der Familie. Das Selbstvertrauen ist notwendig, denn zu diesem Zeitpunkt ist die Gans noch ziemlich blass. Es fehlt die charakteristische goldbraune Färbung. Darum kümmern wir uns später. Zuerst gilt es, die Gans gegenüber den Familienmitgliedern zu verteidigen. Die Gans muss rasten - mindestens eine halbe Stunde lang!

Die Gans verteidigen

Stellen Sie sich den Duft einer wunderbaren gebratenen Gans vor, der durch die Wohnung zieht. Der Magen knurrt und am liebsten würden alle über die Gans herfallen. Aber Sie müssen standhaft bleiben, auch wenn alle schimpfen. Bereiten Sie für diese schwere Zeit des Wartens Spiele für die Familie vor, erzählen Sie Witze oder sperren Sie sich einfach in der Küche ein. Oder halten Sie Ihre Lieben mit physikalischen Erklärungen bei Laune. Letztendlich wird es Ihnen die Familie danken.

Die Gans wird etwas abkühlen. Dadurch wird auch das Kollagen entspannt. Wenn Sie die heiße Gans tranchieren, dann wird der wunderbare Saft aus der Gans herausrinnen. Der Fleischsaft ist nun auf dem Brett, aber eigentlich wäre es schön, wenn er im Fleisch bleiben würde. Deshalb lassen wir die Gans rasten. Nach rund einer halben Stunde können Sie die Gans zerlegen. Das Brett wird fast trocken und die Gans schön saftig bleiben. Ich glaube, dass dies der größte Fehler ist, den die meisten Köchinnen und Köche machen: nicht zu warten.

Die einzelnen Gänseteile können nun auf den befetteten Deckel des Gänsebräters gelegt werden. Nun gilt es, der Gans die ihr zustehende Farbe zu geben. Ich und meine Mutter empfehlen eine Mischung, bestehend aus je einem Drittel Honig, Weißwein und Orangensaft. Damit wird die Gans ausgiebig bestrichen. Dann kommt die Gans noch einmal für rund zehn Minuten bei der höchstmöglichen Temperatureinstellung in das Backrohr. Durch die hohen Temperaturen beginnt der Zucker auf der Gans zu karamellisieren, zusätzlich setzt die Maillard-Reaktion ein. Es entstehen neue Geschmacksstoffe, die Gans erhält ihre Farbe. Die hohe Temperatur wirkt bloß auf der Oberfläche, die Gans bleibt schön saftig.

Plus ein Stamperl Likör

Zur Gans empfehle ich Orangenobers. Gerade in der Weihnachtszeit gibt es genügend Süßes. Hier sollte man einen Kontrast schaffen. Schlagen Sie ein Viertel Liter Schlagobers und rühren fünf gehäufte Esslöffel Orangenmarmelade unter. Ein kleines Stamperl Orangenlikör und ein paar Orangenfilets geben dem Ganzen eine besondere Note. Gemeinsam mit der Gans ein unvergessliches Geschmackserlebnis.

Das ungekürzte Rezept inklusive Semmelteigfüllung findet man in:

Unglaublich einfach. Einfach unglaublich.

Von Werner Gruber

Ecowin Verlag, Salzburg 2006

278 Seiten, geb., Euro19,95

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